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Ich. Das schmutzige Drei-Buchstaben-Wort

(Con­stan­tin Seibt) —

Neulich, bei USA Today: Die Chefe­tage teilte der Redak­tion mit, dass diese eine Kleinigkeit ändern sollte. Man habe seit 30 Jahren ja neu­tral geschrieben. Ab sofort solle man bitte per­sön­lich schreiben, kantig und kon­tro­vers. Die Damen und Her­ren Redak­toren soll­ten in Zukun­ft bitte zur unver­wech­sel­baren Marke wer­den.

Eben­falls neulich, beim Reporter­fo­rum im «Spiegel»-Gebäude in Ham­burg: In ein­er Debat­te sagten die anwe­senden Jour­nal­is­ten, dass das Wort «ich» in ihren Redak­tio­nen so ver­boten sei wie Dro­gen oder Bürodieb­stahl.

Bei­des ist absurd. Sowohl der Befehl, ab sofort charis­ma­tisch zu sein. Wie auch die frei­willige Selb­stkas­tra­tion.

Die Zeitung als Irre­nanstalt

Zwar ist der Gedanke von USA Today im Kern richtig. Die Exk­lu­siv­ität der Nachricht­en ist für immer Geschichte. Ger­ade spek­takuläre Scoops besitzt man nur wenige Minuten. Dann ste­ht die Sto­ry auf allen Web­siten der Konkur­renz. Das einzig Unkopier­bare ist heute die Art, wie eine Geschichte erzählt wird.

Trotz­dem ist der Ansatz «schreibt ab heute was Pro­voka­tives» so unbrauch­bar wie «geht raus und gewin­nt Jünger» oder auch das ruhigere «in Zukun­ft liefern wir Ori­en­tierung». Denn all das ist vom Mar­ket­ing und nicht vom Machen her gedacht.

Wirkungsvoller Jour­nal­is­mus geht von Fall zu Fall, also vom Stoff aus. Der Stil – welch­er auch immer – ist die Reak­tion darauf. Das handw­erk­liche Kern­prob­lem im Jour­nal­is­mus ist, dass die Zeitung wenig Vari­anten ken­nt. Im Grun­driss gle­ichen heutige Zeitun­gen noch immer den Irre­nanstal­ten des 19. Jahrhun­derts. Die ser­iöseren Sto­ries wer­den fast alle in die Zwangs­jacke des Nachricht­en­stils gesteckt. Und dazu gibt es die Gum­mizellen der Kolum­nen oder des Feuil­letons. Hier kann geto­bt wer­den.

Dieses Mod­ell gilt als Garant für Seriosität. In Wahrheit ist es vor allem per­fekt für die Bedürfnisse der Anstalt­sleitung kon­stru­iert – zwecks effizien­ter Organ­i­sa­tion. (Eine Zeitung ist im Kern ja eine Organ­i­sa­tions­form.)  Das Sys­tem dient der Bändi­gung der Redak­tion, aber vor allem des Wahnsinns der Welt. Es hat nur einen Nachteil: Es ist nicht nur berechen­bar – es liest sich auch so. Denn es reagiert auf alles in etwa gle­ich.

Willkom­men, liebes kleines Stück Welt, sagt das Zeitungssytem zu jedem ein­trudel­nden Ereig­nis: Hier ist deine Zwangs­jacke.

Graue Busi­ness-Anzüge

Aus drei Grün­den ist es deshalb ein grober Fehler, die Ich-Form kat­e­gorisch aus dem Reper­toire auszuschliessen:

  1. Mit dem Einkerk­ern des Sub­jek­tiv­en in die Git­ter­stäbe von Kom­men­tar und Kolumne versper­rt sich eine Zeitung ein ganzes Feld von Möglichkeit­en, auf Ereignisse zu reagieren.
  2. Sie fördert damit auch ama­teurhaftes Denken. Denn ein wirk­lich­er Profi recher­chiert auch bei Tex­ten, in denen kein einziges Mal das Wort “ich” vorkommt, immer in zwei Rich­tun­gen: Nach aussen, was die Fak­ten sind. Und nach innen, ins eigene Herz, was die Fak­ten bedeuten. (Siehe hier: Jour­nal­is­mus ist ein Exis­ten­tial­is­mus.)
  3. Und vom Handw­erk her ist der Verzicht unl­o­gisch. Immer­hin ist Schreiben eine ger­adezu absurd sub­jek­tive Angele­gen­heit: ein Men­sch, eine Tas­tatur.

Vielle­icht ger­ade wegen des let­zten Punk­ts kämpfen Redak­tio­nen so hart um Glaub­würdigkeit. Und hof­fen, diese in ihrem Kerngeschäft durch Anonymität, Normierung, Neu­tral­ität zu erre­ichen. Die Furcht dahin­ter ist, dass die Leser beim ersten sub­jek­tiv­en Wort merken, dass hier ja nur ein­er ist, der schreibt. Und dass ein­er gar nicht alles wis­sen kann. Fol­glich ver­sucht der Jour­nal­is­mus den gle­ichen Trick wie Beamte und Busi­nessleute: Seriosität durch graue Anzüge zu erre­ichen.

Nur denkt diese Strate­gie viel zu kurz: Denn seit jeher war der Augen­zeu­gen­bericht eine glaub­würdi­ge Währung. Wenig ist so ver­trauenswürdig wie eine iden­ti­fizier­bare Stimme. Zwar zweifelt das Pub­likum uni­forme Texte fast nie an. Aber das aus Gle­ichgültigkeit. Denn glauben tut es ihnen auch nicht.

Die einzige Frage, wo ich in der Zeitung auftreten soll, ist nicht das ob, son­dern das das wie.

Anwen­dung 1: Stunts

Die Antwort ist ein­fach: Das Ich ist in Tex­ten dann eine Möglichkeit, wenn mit dem­sel­ben bei der Recherche wirk­lich etwas passiert. Also nie, wenn alles okay ist. Son­dern wenn einem die Sache an den Leib oder an die Seele geht.

Das erste grosse Feld, wo ich eine starke Form ist, ist der Stunt. Diese kön­nen geplant oder unge­plant sein. Bei meinem ersten World Eco­nom­ic Forum im Jahr 2000 etwa stand ich trotz Anzug drei Mal mit den Hän­den in der Luft vor der Mün­dung ein­er Maschi­nen­pis­tole, während ich durch­sucht wurde. In den Kon­ferenz-Hotels die Sicher­heits­beamten, um Jour­nal­is­ten ohne Akkred­i­tierung wieder hin­auszuw­er­fen. Ich war offen­sichtlich uner­wün­scht. Also war die richtige Form das Ich: Das Beschreiben der dop­pel­ten Schwierigkeit,  physisch an die Sache her­anzukom­men. Und intellek­tuell zu begreifen, was hier über­haupt gespielt wurde..

Das Ich ist immer eine gute Option, wenn es unan­genehm wird. Etwa als die Jour­nal­istin Lau­ra Him­mel­re­ich vom betrunk­e­nen FDP-Wahlkampfchef Rain­er Brüder­le angemacht wurde. Und die Szene später auf­schrieb: Mit der Analyse, dass Herr Brüder­le als Fig­ur von heute nicht sehr glaub­haft sei. Aus einem nahe­liegen­den wurde so ein stark­er Text. Mit den bekan­nten Fol­gen: Sie wurde von Polit-Milieu als Ver­rä­terin ange­grif­f­en. Aber gle­ichzeit­ig erkan­nten Tausende die gle­ichen Mech­a­nis­men wieder: #auf­schrei.

Geplante Stunts sind ein wenig weniger edel. Aber dafür plan­bar. Also etwa eine Nord­po­lar­fahrt, wo die Kälte einem an die Knochen dringt. Das Dat­ing mit einem Sug­gar­dad­dy aus der Inter­net-Ver­mit­tlungsagen­tur, wo die eigene Würde auf dem Spiel bleibt. Eine Wag­n­er-Oper. Zur Beichte gehen. In Neon­azi-Kneipen herum­lungern. Seine Busse im Gefäng­nis absitzen. Bei Schweiz­er Banken Schwarzgeld anle­gen.

Stunts kön­nen auch sehr ruhige Dinge sein, wenn man bere­it ist, das Exper­i­ment ernst zu nehmen. Mein Lieblingsvor­trag am Reporter­fo­rum war der von Alex Rüh­le, der Dinge tat wie: eine Nacht in einem vol­lkom­men leeren Sta­dion zu ver­brin­gen, ein Wettwan­dern durch Deutsch­land oder den Selb­stver­such, ein halbes Jahr ohne Netz zu leben.

Kurz: Als Leser kann man Stunts zwar für eit­el hal­ten. (Und deshalb muss man sehr auf­passen, diese trock­en zu schreiben.) Aber lesen tut man sie trotz­dem. Garantiert.

Anwen­dung 2: Nieder­la­gen

Ein eis­ernes dra­matur­gis­ches Gesetz sagt: Deine Nieder­la­gen sind inter­es­sant. Deine Tri­umphe wollen nur deine Eltern hören.

Tat­säch­lich sind Nieder­la­gen der ide­ale Stoff für Ich-Geschicht­en – so lange es ern­sthafte Nieder­la­gen sind. Ich-Geschicht­en gehorchen naturgemäss noch stärk­er lit­er­arischen Geset­zen als der restliche Jour­nal­is­mus: Weil die Nachricht darin nach Nachricht­enkri­te­rien irrel­e­vant ist. Und für lit­er­arisches Schreiben gibt es eine Faus­tregel – bei schw­eren, aber auch bei Zuck­er­guss-Tex­ten: Schreib über das, was dich schmerzt. Über Pein­lichkeit­en, Scheit­ern, Angst. Und über nichts anderes.

Eine erste, sehr erfreuliche Folge ist, dass gescheit­erte Recherchen nicht mehr in den Papierko­rb gewor­fen wer­den müssen: So erlebten mein Kol­lege H. und ich ein­mal eine grosse Bla­m­age, als der Böögg (ein riesiger Schnee­mann der hiesi­gen Zün­ftler) sen­sas­tionell von Anar­chis­ten ent­führt wurde. Und ein Infor­mant sein Ver­steck ver­rat­en wollte. Darauf wur­den wir von diesem durch die halbe Schweiz gejagt. Ab Abend standen wir dann vor einem beset­zten Haus, dem ange­blichen Ver­steck. Zwei sehr junge Punkerin­nen öffneten. Und dann lacht­en sie uns aus: Laut ihnen waren nach «Blick» und NZZ die drit­ten, die den Par­cours bewältigt hat­ten.

«Blick» und NZZ schwiegen; wir macht­en aus der Bla­m­age ein Feuil­leton.

Oder das katas­trophale Inter­view mit Daniel Cohn-Ben­dit, der während vier gemein­samen Stun­den Zug­fahrt nur am Tele­fon hing, wo er wichtigeren Jour­nal­is­ten Inter­views gab: Daraus liess sich ein pass­ables Porträt kochen. Oder das intellek­tuelle Scheit­ern am oben genan­nten WEF – im Jahr 2003, dies­mal mit Akkred­i­tierung –, wo man in ein­er Woche Kon­ferenz-Talk die Ori­en­tierung ver­lor, worum es  ging: als Sto­ry des Scheit­erns war sie wieder inter­es­sant.

Das Erfreuliche am Jour­nal­is­mus ist: Sobald es im Leben Ärg­er gibt, hat man im Beruf­sleben Stoff. Eigentlich lässt sich aus jed­er Pein­lichkeit, Bla­m­age, allem Scheit­ern – mit eini­gen Jahren Abstand – ein Text machen. Aus dem jahre­lan­gen Scheit­ern bei den Mäd­chen: eine Seite Feuil­leton. Aus der Art, wie ich einen Kak­tus, die einzige Pflanze, die ich je liebte, tötete: indem ich sie goss — eine Anek­dote. Dem para­noiden Woch­enende unter Kokain — ein Abschnitt in einem Artikel über Ver­schwörungs­theretik­er. Das Ver­passen ein­er Infor­matik­erkar­riere: Noch eine Kolumne. Der Klein­herzigkeit in der Liebe: zwei Short Sto­ries. Langjährige chro­nis­che Unpünk­tlichkeit: ein Artikel unter Pseu­do­nym.

Denn Makel und Nieder­la­gen sind in Zukun­ft gutes Geld. Den gescheit­erten Ver­such, in einem Berlin­er Bor­dell meine Unschuld zu ver­lieren, verkaufte ich später gle­ich mehrmals: erst als Feuil­leton, dann in ein­er Kolumne, dann in ein­er Short Sto­ry. Als ich das getan hat­te, rech­nete ich das Hon­o­rar aus und kam darauf: Ich hat­te damit etwa das Zehn­fache ver­di­ent als ich im Bor­dell gezahlt hat­te. Und dachte sehr zufrieden: Du bist noch die begabtere Nutte.

Lese ich den let­zten Abschnitt, finde ich ihn nicht sehr sym­pa­thisch. Kein Wun­der: Tri­umphe sind das nicht. Das Beschreiben von Erfol­gen ist öde – selb­st im Film oder in der Lit­er­atur inter­essiert eigentlich nur der Kampf davor. Die Geschichte wird zwar von den Siegern geschrieben, aber die Stoffe liefern die Ver­lier­er.

Deshalb nur noch ein Gedanke. Vielle­icht war es ein Fehler, dass ich fast immer nur ver­gan­gene Zweifel, Bla­m­a­gen, Nieder­la­gen waren, die ich als The­ma nahm.

Ich schrieb über meine Nar­ben, nicht über meine Wun­den.

Hier kön­nte man radikaler wer­den. Das Beken­nt­nis ist ein Genre, an das sich im Jour­nal­is­mus fast noch nie­mand getraut hat. Ein dun­kles Land, ein weiss­er Fleck. Man kön­nte dem Leser den Atem rauben.

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