Von Martin Sigrist — Die Sängerin Amanda Palmer veröffentlichte im vergangenen Jahr ihr drittes Album mit dem gewohnten Mix aus Cabaret, Rock und viel Drama. Im Gespräch erzählt sie von Kritikern, Regeln und Wertschätzung.
Amanda Palmer (36) aus New York City war Teil der Dresden Dolls, bevor sie 2008 ihr erstes Soloalbum veröffentlichte. Im Herbst 2012 folgte das dritte, finanziert mittels Crowdfunding. Als erste Künstlerin sammelte sie damit über 1 Million Dollar. Kritik folgt, als bekannt wurde, dass Palmer ihre Tourmusiker teilweise nicht bezahlte.
Amanda, wie geht es dir?
Ich erlebe eine krasse Tour. Die letzten Wochen benahm ich mich auf der Bühne wie eine Verrückte, mit der Energie von Iggy Pop und Mick Jagger. Normalerweise bin ich auf der Bühne hinter dem Klavier gefangen, jetzt stehe ich hinter dem Mikrofon. Das ist eine ganz neue Rolle. Ich musste zuerst lernen, eine Frontfrau zu sein. Die Hände kann ich dabei sehr kraftvoll einsetzen, diese ungeschickten aber ausdrucksvollen Instrumente des Körpers.
Du bist mit Leuten getourt, für deren Lohn du nach den Konzerten Spenden gesammelt hast. Ist das die neue Finanzierung?
Man muss vorsichtig sein, weil die Leute schon für die Tickets, vielleicht für Bier bezahlt haben. Du musst ihnen etwas Zusätzliches bieten, was sie nicht erwartet haben. Spenden habe ich für Vorgruppen gesammelt, für die ich kein Geld hatte, die aber unbedingt mitkommen wollten. Das Publikum war immer sehr grosszügig. Das zeigte mir, dass wir es richtig gemacht haben. Man muss mit dem Publikum ehrlich sein, dann kann man nichts falsch machen. Du kannst es um alles bitten, es muss es dir ja nicht geben. Deswegen bin ich gegen Regeln von aussen, was man als Künstler darf.
Du wurdest kritisiert, weil du deine Band nicht bezahlst. Hat dich das überrascht?
Ich war nicht überrascht, weil die Kritik nicht von innerhalb der Community sondern von aussen kam. Über Kickstarter kam viel Geld zusammen, darüber wurde in der Presse geschrieben. Damit wurden ich und meine Musiker Ziel allgemeiner Kritik. Diese Leute sind generell unzufrieden mit der Situation von Musikern, weil sie nicht genügend bezahlte Arbeit haben. Das verstehe ich, auch ich möchte als Musikerin bezahlt werden. Aber ich selbst bin so oft gratis aufgetreten. Die Entscheidung liegt bei den Künstlern. Ich werde wütend wenn Leute mir sagen, was ich zu tun habe, und noch mehr, wenn meinen Musikern gesagt wird, was sie zu tun haben.
Jetzt bezahlst du deine Band, ein Eingeständnis?
Nein, ich fühlte mich nicht schuldig. Ich wollte einfach die Diskussion beenden, weil zur gleichen Zeit mein Album erschienen ist. Das war wichtiger.
Warum ist dein Album 2009 entstanden, aber erst 2012 erschienen?
Es war damals schon fertig in meinem Kopf. Der Prozess zum Album war dann sehr strategisch, denn ich wollte es auf keinen Fall versauen. Ich bin alles langsam angegangen, habe Bands mit auf Tour genommen, Songs zusammengestellt und das Album herausgegeben. Es war schwierig, alles selber zu machen, ohne vorgegebenen Zeitplan. Alle grossen Entscheidungen musste ich selber treffen. Am Ende habe ich dann aber genau erhalten, was ich im Kopf hatte.
Das klingt geplant, nicht kreativ.
Ich kenne ganz unterschiedliche Künstler, organisierte und chaotische. Ich kreiere gerne einen organisierten Raum, wo Chaos passieren kann, denn ich bin sehr schnell gelangweilt. Ich will nie auf der Bühne stehen und denken, das habe ich schon mal gemacht, nie ein Album machen, das klingt wie eines davor. Ich möchte die Dinge frisch halten, sonst bin ich genervt.
Neuerdings spielst Du Ukulele. Was ist hinter dieser Geschichte?
Das hat vor vier Jahren als Witz angefangen. Ich hätte nie gedacht, dass ich die Ukulele danach benutzen würde. Aber sie gab mir die Möglichkeit, mich freier zu bewegen. Ich kann jetzt ein Konzert stehend auf der Bar oder mitten im Publikum beginnen. Daneben habe ich die Tiefe dieses Instruments entdeckt. Ich kann mit einem Instrument für 20 Dollar, das ich kaum spielen kann, 2’000 Menschen berühren. Die Ukulele ist ein mächtiges Instrument, klingt lächerlich, macht die Leute aber glücklich. Ich habe gelernt, dass es den Leuten nicht ums das Instrument sondern um die Gefühle geht. Es ist alles viel einfacher als ich gedacht habe. Die Ukulele war sozusagen mein Zen-Meister.
Du hast neulich die Band Garbage getroffen und darüber gesagt, alles sei wichtig. Was hast du damit gemeint?
Das war eine tolle Nacht, ein Wendepunkt auf meiner Tour. Ich habe Garbage auf der Bühne und dann Backstage gesehen. Kritiker meinten, dass ihr neues Album zwar gut, die Band aber nicht mehr wichtig sei. Wie sehr muss dich das als Künstler verletzten, wenn du Herz und Seele in dein Werk gesteckt hast. Es war darum toll diese grossartigen Leute zu sehen, denen das alles egal ist. Kritiker sind nicht mehr so wichtig. Eine schlechte Kritik ruiniert deine Karriere nicht mehr, die Fans sind mächtiger. Was die Leute bewegt und ihre Aufmerksamkeit weckt ist entscheidend.
Foto: Martin Sigrist
ensuite, Februar 2013