Von Hannes Liechti — In der Serie «Musik für …» wird jeweils eine Persönlichkeit aus dem Berner Kulturleben mit einer ausgewählten Playlist konfrontiert. Diesen Monat trifft es Beat Zeller aka Reverend Beat Man, Kopf der Berner Garage Punk Band The Monsters und Mastermind des Blues Trash Labels Voodoo Rhythm.
Ich treffe Reverend Beat Man am Montagmorgen in seinem Büro im Berner Breitenrainquartier zu Kaffee und Tee. Nach einem anstrengenden Wochenende ist er bereits wieder auf den Beinen, und steht zwischen der Produktion der neusten Voodoo Rhythm-Platte von Delaney Davidson und der Promoarbeit zum neuen Monsters-Album «Pop Up Yours». Beat Zeller spricht über seine musikalischen Wurzeln, und das Problem der Lautstärkebegrenzungen, das auch ihm zu schaffen macht.
Ramones
«Do You Remember Rock’n’Roll Radio?»
ab dem Album «End of the Century»
(Sire, 1980)
Den Song kenne ich seit meiner Jugend. Ich liebe die Ramones, die waren etwas vom Grössten für mich. Das Direkte und Schnörkellose ihrer Musik hat mich seit jeher fasziniert. Ich sage das auch vielen Bands von meinem Label: Wenn ihr eure Message rüberbringen wollt, dann dürft ihr nicht zu komplex werden; ihr müsst Elemente weglassen und die Musik so einfach wie möglich gestalten.
Wie lautet die Message von den Ramones?
«Do it Yourself!» Die Ramones waren die ersten, die zumindest am Anfang versucht haben, von der Tour bis zur Platte alles selber zu machen, und ihre Probleme selbst an die Hand zu nehmen. Diese Einstellung hat mich beim Aufbau von Voodoo Rhythm stark beeinflusst.
Was ist Rock’n’Roll für dich?
Genau das, was die Ramones machten: Ein Gefühl haben, und dieses ohne Scham und ohne Peinlichkeit auf die Leute loszulassen. Für etwas mit Überzeugung einstehen, auch wenn es nicht das ist, was alle anderen wollen.
Mani Matter
«Der Eskimo»
ab dem Album «I han es Zündhölzli
azündt» (Zytglogge, 1973)
Ein wunderbarer Song. Den habe ich natürlich schon tausend Mal gehört und in der Schule gelernt. Heute bin ich mit der Familie Matter sehr verbunden: Mit Manis Tochter, die Theater-regisseurin geworden ist, realisiere ich regel-
mässig Theaterprojekte.
Was gefällt dir an Mani Matter?
Das Tolle an ihm ist, dass er nicht sehr gut Gitarre spielen konnte. So musste er mit Text und Musik komplett minimal bleiben. Alles ist direkt und eindringlich, wie bei den Ramones. Genauso würde ich das auch machen.
In der Stadt Bern scheinen sich die Klubs in der Rolle des Eskimos wieder zu finden: Spielen sie Fortissimo, werden sie von Anwohnern und Behörden zwischen die Krallen genommen. Ist das nur heisse Luft oder müssen wir uns um die Berner Klubkultur ernsthafte Sorgen machen?
Ich glaube, man sollte sich um vieles Sorgen machen. Wir stellen immer mehr Regeln auf und versuchen, alles unter Kontrolle zu bekommen. Die Lautstärkebegrenzungen und das Rauchverbot sind nur zwei Beispiele. Wenn das so weitergeht, kommt es irgendwann einmal zur gros-sen Explosion.
Das heisst, du kannst die Lärmklagen von Klub-Anwohnern nicht nachvollziehen?
Nicht wirklich. Viele Leute ziehen nach Bern und wollen die schöne Altstadt geniessen. Plötzlich stellen sie fest, dass es hier laut ist. So soll es aber auch bleiben: Die Stadt muss leben, sie muss pulsieren. Es ist ja unglaublich, was in dieser kleinen Stadt alles an Kultur passiert!
The Baseballs
«Let’s Get Loud»
ab dem Album «Strike!» (Warner Music International, 2009)
Es klingt, als ob die Baseballs den Ausdruck Rock’n’Roll kennen würden. Sie kennen den Lifestyle, sie wissen, wie das alles aussieht. Wie man aber die Hose runterlässt wissen sie nicht. Obwohl die Musik natürlich grossartig aufgenommen ist. Das sind super Musiker, keine Frage. Solche Musiker habe ich bei Voodoo Rhythm nie, die sind viel zu gut für mich! (lacht)
«Let’s Get Loud». Warum braucht die Popkultur laute Musik?
Wenn zum Beispiel eine Band wie die japanische Noise Core Gruppe Melt Banana auf der Bühne steht, dann ist das wie eine kalte Dusche. Das ist wie bei einem Psycho-Doktor. Du bist durchgewaschen und fühlst dich ganz anders. Ein grossartiges Gefühl. Es geht aber auch um die Bandbreite. Ich kann mir auf der einen Seite ein Kammerorchesterkonzert und auf der anderen Seite in der Reitschule Zeni Geva anhören, die mir mit ihrer Lautstärke den Kopf wegblasen. Das sind zwei völlig unterschiedliche Dinge, die mich ganz anders motivieren. Ich brauche beides, um in meinem Alltagsleben weiterzukommen.
Laute Musik hat also etwas Reinigendes?
Ja, durchaus. Und das hat überhaupt nichts mit Ohrenschaden zu tun, das ist ein Blödsinn. Ich bin jetzt 44, mache seit 25 Jahren mit über 110 Dezibel Musik, und höre wie ein Vögelchen. Viel besser als mein zehnjähriger Sohn. (lacht)
J.B.O.
«Ich will Lärm»
ab dem Album «Rosa Armee Fraktion» (Lawine, 2002)
J.B.O. singt davon, wie ihn in verschiedenen Umgebungen – Oktoberfest, Urlaub auf Jamaika und in der Oper – das Verlangen nach Lärm überkommt.
Haha, grossartig! Dieses Gefühl kenne ich sehr gut: Ich kann mich erinnern, als ich als Teenager immer in Discos musste. Ich dachte mir dann jeweils: «Es ist zwar alles schön und eigentlich ganz perfekt, die Frauen sind gut angezogen und tanzen; aber trotzdem vermisse ich irgendetwas.» Dann kam Punk und Heavy Metal auf, und ich wusste, was mir fehlte. Auch wenn ich heute an die Orte gehe, wo Chart-Hits gespielt werden, halte ich das eine Stunde lang aus und dann brauche ich etwas, was mir gegen den Kopf tritt. (lacht)
Kann es für dich überhaupt einmal zu laut sein?
Es gibt Konzerte mit 110 Dezibel, die ich als viel zu laut empfinde. Wenn zum Beispiel ein schlechter Tonmischer die Höhen viel zu hoch schraubt. Dann gibt es Mischer wie den unsrigen, die 110 Dezibel oder mehr hinkriegen, ohne dass es weh tut. Auf der anderen Seite gibt es wieder Bands wie Herpes Ö DeLuxe, die bewusst mit jenen Tönen arbeiten, die Schmerzen bereiten. Dann denkst du dir im selben Moment «ah, fuck» und «yeah, geil».
Simon & Garfunkel
«Sound of Silence»
ab dem Album
«Sound of Silence» (Columbia, 1966)
Dieser Song, das Schlagzeug und die Gitarren sind einfach fantastisch aufgenommen. Ende der 60er-Jahre ist man von der Zweispur-Aufnahmetechnik zu den Mehrspurgeräten übergegangen. Wenn man das mit Aufnahmen aus den 40er- oder 50er-Jahren vergleicht, wo man alles mit einem einzigen Mikrofon aufnehmen musste, dann ist das hier eine ganz neue Welt. Plötzlich ist alles möglich geworden und man konnte richtig experimentieren im Studio. Ich kriege bei dieser Musik eine Art Heimatgefühl. Wenn ich zum Beispiel mit einer Freundin auf eine Südseeinsel in die Ferien muss und andauernd nur House und dergleichen höre, fühle ich mich richtig zuhause, wenn ich eine Aufnahme wie «Sound of Silence» zu Ohren bekomme.
Wie hast du es mit der Stille?
Ich glaube, die Stille ist für mich wirklich ein Problem. (lacht) Ich habe es damit schon mehrmals versucht, aber es funktioniert nicht wirklich. Wenn bei mir keine Musik läuft, dann mache ich entweder selbst Musik oder mein Sohn ist da und schreit. Wenn ich nach draus-sen gehe, besuche ich ein Konzert. Irgendetwas muss immer sein. Keine Ahnung, ob es Ablenkung oder Inspiration ist. Heute würde man das wahrscheinlich ADHS (Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom) nennen. In den 60er-Jahren diagnostizierte man das aber noch nicht. Ich denke, ADHS hat mich enorm weitergebracht.
The Monsters
«Blow Um Mau Mau»
ab dem Album «Pop Up Yours» (Voodoo Rhythm, 2011)
Der Song besteht nur aus einem einzigen Griff auf der Gitarre. Meine Songideen, die ich jeweils den Jungs im Bandraum vorlege, werden immer gnadenlos bis zum kompletten Minimum gekürzt. Am Schluss klingt das dann so. Gar nicht so schlecht, wie ich finde.
«Blow Um Mau Mau». Das ist der ganze Text des Stücks – was ist die Message dahinter?
Der Text spielt nur eine kleine Rolle, er könnte auch auf Russisch sein. Es geht um Rock’n’Roll. Die Message ist: «Lass es raus, gib alles, was du kannst.» Im Rock’n’Roll wurden Phrasen wie «Baby I Love You» gesungen und du hast genau gemerkt: Jetzt wird die ganze Welt verändert. «Wir vermischen uns mit den Schwarzen. Die Schwarzen mit den Weissen, es ist Rassenrevolution, es ist fertig mit dem Trennen.» Das war die Aussage von Rock’n’Roll. Und das hat niemand gesungen, aber alle wussten, um was es geht.
Mit den Monsters spielst du ausdrücklich nur noch Shows mit einer Lautstärke von mindestens 110 Dezibel. Bedeuten die Schweizer Lautstärkebeschränkungen auf 93 Dezibel den baldigen Abschied von den Schweizer Bühnen nach über 20 Jahren?
Schon alleine das Schlagzeug bringt es unverstärkt auf 100 Dezibel! Wie soll man da eine Band mit 93 Dezibel vernünftig abmischen können? Das ist unmöglich! Für die Plattentaufe unseres neuen Albums haben wir fast keinen Ort gefunden. Die Clubs haben alle Angst vor dem Gesetz, die Behörden könnten ja die Lokale schliessen. Die beiden Plattentaufen spielen wir für die Bussen, die die Clubs für die Lautstärkeübertretung wahrscheinlich einfangen werden. Wenn das so weitergeht, können wir in der Schweiz tatsächlich nicht mehr spielen. Wie gesagt, angefangen hat es beim Rauchverbot – und als nächstes kommt der Alkohol an die Reihe.
Foto: zVg.
ensuite, Oktober 2011