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“Ich produziere keine Eintagsfliegen”

Von Luca D’A­lessan­dro - «Auf enge musikalis­che Korsette ste­he ich nicht», sagte der mode­be­wusste Song­writer Char­lie Win­ston gegenüber den Jour­nal­is­ten anlässlich seines Pro­mo­tion­saufen­thaltes im Feb­ru­ar in Zürich. Dass an dieser Aus­sage tat­säch­lich etwas dran ist, belegt sein Erstlingswerk «Hobo», das auf den ersten Blick den Anschein eines klas­sis­chen Song­writer-Albums macht. Beim Anhören wird aber klar, dass es vieles mehr zu bieten hat, näm­lich Film­musik der 1960er-Jahre, Jazz, Reg­gae und Amer­i­can Folk.

«Hobo» ist eine Hom­mage an die amerikanis­chen Wan­der­ar­beit­er des neun­zehn­ten Jahrhun­derts, mit denen sich Char­lie in gewiss­er Hin­sicht ver­gle­icht: In jun­gen Jahren ver­lässt er seine Heimat­stadt Suf­folk in Südeng­land und macht sich auf nach Lon­don. Er studiert Jaz­zklavier am Kon­ser­va­to­ri­um, ver­fein­ert sein Gitar­ren­spiel, wird Teil ein­er Reg­gae-Band und beg­ibt sich nach Indi­en, wo er die Bräuche des Lan­des erforscht. Dieses Engage­ment zahlt sich aus: 2007 wird Peter Gabriel auf Char­lie aufmerk­sam und nimmt ihn mit auf Tournee.

Im Inter­view mit ensuite — kul­tur­magazin spricht Char­lie Win­ston von sein­er Begeg­nung mit Peter, über den Bezug zu seinen Namensvet­tern Char­lie Chap­lin und Win­ston Churchill und seine Bewun­derung für den «Mae­stro» der Film­musik: Ennio Mor­ri­cone.

ensuite — kul­tur­magazin: Char­lie, dein Début «Hobo» umspan­nt ein ganzes Jahrhun­dert. Es durch­streift die Zwanziger, Sechziger, Siebziger und mün­det in die Musik von heute.

Char­lie Win­ston: Ja, das stimmt. Es bietet aber noch viel mehr: Alles, was in irgen­dein­er Weise wertvoll ist und mein Ohr betört, hat mich bei der Pro­duk­tion des Albums inspiri­ert. Deshalb ist «Hobo» so reich­haltig und stilmäs­sig schw­er einzuord­nen.

Würdest du dich als zeit­los beze­ich­nen?

Jed­er Kün­stler ver­sucht, das zu tun, was er am besten kann und am lieb­sten mag. Ich beze­ichne mich als Song­writer, der in sein­er Musik Ele­mente aus ver­schiede­nen Epochen vere­int. So gese­hen kön­nen meine Songs als zeit­los gel­ten. Ich habe einen hohen Qual­ität­sanspruch und pro­duziere keine Ein­tags­fliegen. Die Inspi­ra­tion hole ich mir von den besten Song­writern, namentlich von Tom Waits, Bob Dylan…

…und Peter Gabriel. In der Doku­men­ta­tion zum Album heisst es, er habe dich mass­ge­blich unter­stützt.

Meine Zusam­me­nar­beit mit Peter Gabriel wird oft über­be­w­ertet. 2007 waren wir gemein­sam auf Tournee, und wie es unter Fre­un­den so üblich ist, haben wir uns des Öfteren bei einem Bierchen unter­hal­ten. Ich würde nicht so weit gehen und behaupten, er habe mich unter­stützt. Ich arbeite unab­hängig.

Unab­hängigkeit – dieses Stich­wort zieht sich wie ein Faden durch dein Album, welch­es im Zeichen der amerikanis­chen Wan­der­ar­beit­er des neun­zehn­ten Jahrhun­derts ste­ht. Wie kamst du auf dieses The­ma?

Hobos verkör­pern eine «anti­ma­te­ri­al­is­tis­che» Frei­heit. Sie strebten ein unab­hängiges Leben an und fäll­ten ihre Entschei­dun­gen von Tag zu Tag neu. Dieses Motiv habe ich in meine Lieder gestreut. Ich erkenne in der Leben­sart eines Hobos jenes Leben, das ich in den ver­gan­genen Jahren sel­ber geführt habe. Die Art, wie ich als Musik­er umher­zog und Geld ver­di­ente, hat­te eine gewisse Ähn­lichkeit mit dem All­t­ag eines Hobos. Trotz­dem würde ich mich selb­st nicht als solch­er beze­ich­nen: Ich liebe es, am Abend in meine eigene Woh­nung zurück­zukehren, schöne Klei­der zu tra­gen, und ich bin dankbar, dass mich keine finanziellen Sor­gen pla­gen. In meinem Album geht es also um den sym­bol­is­chen Charak­ter, der von einem Hobo aus­ge­ht.

Dein Kün­stler­name Char­lie Win­ston ste­ht in einem his­torischen Kon­text, zusam­menge­set­zt aus Char­lie Chap­lin und Win­ston Churchill. Wie kam es dazu?

Alle Leute meinen, Char­lie Win­ston sei mein Kün­stler­name. Ich heisse aber wirk­lich so! Meine Eltern haben mich so getauft. Sie waren Kün­stler. Ihre Welt bestand aus Volksmusik und The­ater, weshalb sie meinen bei­den Brüdern, mein­er Schwest­er und mir aus­ge­fal­l­ene Namen gaben – büh­nen­taugliche Namen, sozusagen. Mein Vater war ein gross­er
Fan von Char­lie Chap­lin. Als Büh­nenkün­stler sah er in ihm ein Idol. Win­ston Churchill hinge­gen war in den 1940er-Jahren gemein­hin eine grosse Per­sön­lichkeit. Wie so viele in Eng­land waren auch meine Eltern von ihm beein­druckt. Daher die Kom­bi­na­tion.

Churchill war ein Poli­tik­er, Chap­lin ein Enter­tain­er – beru­flich und gesellschaftlich hat­ten sie kaum Gemein­samkeit­en.

Das würde ich so nicht sagen. Bei­de haben sie ihre Epoche geprägt. In den Augen ihrer Zeitgenossen waren sie starke Fig­uren. Klar, Churchill war Poli­tik­er. Doch betra­chtet man einen Poli­tik­er etwas genauer, lassen sich Par­al­le­len zu einem Enter­tain­er erken­nen. Nehmen wir als Beispiel Tony Blair und George Bush: Obwohl sie in der Poli­tik standen, nah­men sie auch gesellschaftliche Funk­tio­nen wahr. Seien wir ehrlich: Am Ende geht es doch nur darum, einen Namen zu haben, der in der Gesellschaft so ver­ankert ist, dass das eigene Ego befriedigt wird. Das Ego an sich kann sowohl eine neg­a­tive als auch eine pos­i­tive Kon­no­ta­tion haben. Egal wie man es sieht, es bringt einen vor­wärts. Win­ston Churchill beherrschte sein Ego und kon­nte als Poli­tik­er viel bewe­gen. Char­lie eben­so, allerd­ings auf eine ganz andere Art.

Du ziehst dich an wie Chap­lin.

Das stimmt nicht. Obwohl ich einen Hut trage, heisst das nicht, dass ich wie Chap­lin ausse­he. Char­lie pflegte einen Bowler zu tra­gen, ich dage­gen bevorzuge einen Tril­by-Hut. Gut gek­lei­det zu sein, ist für mich sehr wichtig. Damit zolle ich mir und anderen Men­schen Respekt. Wenn ich an eine Hochzeit gehe, ziehe ich meinen besten Anzug an. Damit sig­nal­isiere ich meinem Gast­ge­ber, dass ich es schätze, ein­ge­laden wor­den zu sein. Gle­ichzeit­ig stärkt es mein Ego: Gut ange­zo­gen füh­le ich mich als Mann. Humphrey Bog­a­rt zum Beispiel trug fan­tastis­che Klei­der. In seinem Man­tel wirk­te er sehr männlich. Ich bin immer wieder fasziniert, wenn ich jeman­den mit einem so guten Geschmack für Mode sehe.

Auch was die Musik ange­ht, bist du äusserst stil­be­wusst. In den ver­gan­genen Jahren hast du mit allen möglichen Gen­res exper­i­men­tiert. Dein Erstlingswerk ist nach offiziellen Angaben ein Song­writer-Album. Wieso hast du dich so entsch­ieden?

Musik und Kun­st waren in unser­er Fam­i­lie all­ge­gen­wär­tig. Bere­its als Vierzehn­jähriger habe ich meine ersten Arrange­ments geschrieben. Später habe ich in ein­er Reg­gae-Band gespielt, mich mit Jaz­zklavier befasst und Gitar­ren­stun­den besucht. Ich habe immer wieder neue Dinge aus­pro­biert und tue das heute noch. Wieso ich nun ein Song­writer-Album pro­duziert habe, weiss ich sel­ber nicht so genau. Mein Instinkt hat mich dazu bewegt. Ich habe keine Berührungsäng­ste, wenn es um Musik geht.
Streng genom­men ist «Hobo» kein typ­is­ches Song­writer-Album. Die Ein­flüsse aus anderen Stil­rich­tun­gen sind, so denke ich, doch klar zu erken­nen.

Die Auf­nah­men für das Album haben in Paris stattge­fun­den. Begleit­et wur­dest du vom berühmten Pro­duzen­ten Mark Plati, der unter anderem auch schon Auf­nah­men mit David Bowie, Alain Bashung, Louise Attaque und The Cure gemacht hat. Wie hast du Mark erlebt?

Mark ist ein alter Hase im Musik­busi­ness. Wie kein ander­er weiss er über die Bedürfnisse von uns Musik­ern Bescheid. Dies zeigt sich schon darin, wie er sich dein­er annimmt. Als ich mit mein­er Band für die Auf­nah­men nach Paris fuhr, hat­te ich klare Vorstel­lun­gen über die Zusam­men­stel­lung und den Inhalt des bevorste­hen­den Albums. Mark hat meine Ideen respek­tiert und mir einen grossen Spiel­raum gelassen. Dadurch kon­nte ich mich mit meinen Musik­ern selb­st organ­isieren. Während der Auf­nah­men habe ich die Ein­sätze der Instru­mente koor­diniert. Mark musste uns nicht anleit­en. Da-rüber war er am Ende gar nicht so unglück­lich, da er sich nur noch um die Qual­ität der Auf­nah­men zu küm­mern brauchte. Das Resul­tat lässt sich entsprechend hören. Ich habe es geschätzt, mit einem Profi zusam­me­nar­beit­en zu dür­fen, der nicht nur das Busi­ness in- und auswendig ken­nt, son­dern auch mit viel Gespür sein­er Arbeit nachge­ht.

Seit etwa einem Jahr ist in Frankre­ich ein Trend in Rich­tung Amer­i­can Folk Music zu spüren. Philippe Cohen-Solal von Gotan Project zum Beispiel hat erst kür­zlich ein Solo­pro­jekt ges­tartet mit dem Titel «The Moon­shine Ses­sions». Es inspiri­ert sich am Coun­try und dem Amer­i­can Way Of Life. Deine CD scheint sich auch daran zu ori­en­tieren. Hast du dich während deines Arbeit­saufen­thaltes in Paris bee­in­flussen lassen?

Nein, denn ich fokussiere mich nicht auf das, was zurzeit ange­sagt ist. Ich bin ein offen­er Men­sch und inter­essiere mich für alle möglichen Stile, ver­gan­gene und mod­erne. Es gibt so viel gute Musik auf der Welt, dass es schade wäre, sich nur auf Trends zu konzen­tri­eren. Wenn ich in die Ver­gan­gen­heit blicke stosse ich auf Namen wie Louis Arm­strong oder Kei­th Jar­rett. Bei­de sind sie grossar­tig und haben dem Jazz eine beson­dere Note gegeben. Auch Zeitgenossen wie Eminem verblüf­fen mich, da sie neue Zeichen set­zen. Kurzum: Ich bin offen für alle Stile. Ich betra­chte sie als Teile eines Puz­zles, das es zusam­men­zuset­zen gilt. Es gibt kaum jeman­den, der zu Hause in seinem CD-Regal auss­chliesslich Musik von ein­er einzi­gen Band hat. Jede Samm­lung, sei sie noch so klein, set­zt sich aus min­destens zwei bis drei Gen­res zusam­men: Pop-Rock, Elek­tron­ik und eventuell noch ein wenig Klas­sik. So vielfältig die Vor­lieben der Hörerin­nen und Hör­er auch sind, so abwech­slungsre­ich soll­ten auch wir Musik­er sein. Diesem Bedürf­nis trägt mein Album Rech­nung. Es bietet für jede und jeden etwas.

Und es bietet auch die eine oder andere Trou­vaille: Der Titel­song «Hobo» hat in den ersten Tak­ten etwas von einem Italow­est­ern. Lieb­st du West­ern?

Ja. (lacht) Beson­ders den Film­musik-Kom­pon­is­ten Ennio Mor­ri­cone. Die Art, wie er das Kino geprägt hat in den 1960er-Jahren, ist leg­endär. Heutige Filme kom­men ohne Explo­sio­nen, Schüsse und überdi­men­sion­ierte Effek­te nicht aus. Mor­ri­cone
hinge­gen kon­nte mit sub­tilen Klang­bildern eine unge­heure Span­nung erzeu­gen. Er ist ein Unikum und sich dessen auch bewusst. Ein Jour­nal­ist hat ihn ein­mal gefragt, wie es zum Spaghet­ti­west­ern gekom­men sei. Mor­ri­cone war über den Begriff so belei­digt, dass er das Inter­view abbrach. «Spaghet­ti
hört man nicht. Spaghet­ti haben auch nichts auf ein­er Lein­wand zu suchen, man isst sie», sagte er. Er ist ein stolz­er Mann, der abfäl­lige Bemerkun­gen über seine Arbeit nicht toleriert. Mir gefällt das.

Was gefällt dir noch?

Neb­st der Film­musik habe ich viel für südspanis­che Tra­di­tio­nen übrig: Fla­men­co zum Beispiel. Die ganze Perkus­sion, das Gitar­ren­spiel, die Fülle, die Kom­plex­ität und gle­ichzeit­ig die Wärme, die von dieser Musik aus­ge­ht – all dies ist sehr anre­gend.

«Hobo» ist soeben raus­gekom­men und schon geht es weit­er. Was kommt als Näch­stes?

Gegen­wär­tig befasse ich mich mit der Ver­schmelzung von Film und Musik. Wie passt Musik am besten in einen Film hinein? Diese Frage inter­essiert mich. Da ich fort­laufend exper­i­men­tiere und dabei Neues ent­decke, kann ich nicht sagen, wie mein näch­stes Album aus­fall­en wird. Sich­er ist, dass ich auf meine Intu­ition hören werde.

Aktuelle CD:
Char­lie Win­ston – Hobo / Label: Atmo­sphériques

Foto: zVg. / Atmo­sphériques
ensuite, März 2009

Artikel online veröffentlicht: 13. August 2018