Von Corinna Möller — Alex Truffer feiert 20 Jahre Kulturschaffen in Bern. Kulturschaffen bedeutet in seinem Fall neben einer Vielzahl von Aufgaben im Kulturbetrieb vor allem die Inszenierung und Produktion von Theaterstücken.
Er arbeitet sowohl mit Erwachsenen als auch mit Kindern und Jugendlichen zusammen, und ist Geschäftsführer der Gesamtschule für Theater Grenchen, die umfassende Aus- und Weiterbildungen im Amateur-Theaterbereich anbietet. Ausserdem gehört Alex Truffer zu den Gründern der Jungen Theaterfabrik, in der junge Theaterinteressierte die Grundlagen des Schauspiels erlernen.
Deine Vita vermittelt ein ziemlich komplexes Bild deiner Tätigkeitsbereiche. Als was würdest du dich oder deinen Beruf bezeichnen?
Ich bin Theatermacher, aber eben spezialisiert auf Bühne. Häufig bekomme ich die Frage gestellt, ob ich auch Filme mache. Irgendwie scheint das bei den Leuten so ein Thema zu sein. Aber: Nein, ich schaue mir lieber Filme an als sie zu inszenieren!
Du machst aber Musicals, wie zum Beispiel «Elternabend», das bald aufgeführt wird. Singen und Musik im Allgemeinen liegen dir also auch?
Singen kann ich nicht speziell gut. Aber ich bin sehr musikalisch und verfüge dort über das Grundwissen, wie in vielen anderen Bereichen.
Wenn ich jetzt ins Gespräch mit meinem Vocalcoach und mit meinen Sängern gehe, dann kann ich mitreden, das habe ich im Laufe meiner Aus-und Weiterbildungen mitbekommen. Ich habe selbst auch ein bisschen Gesangsunterricht genommen, und bei zwei Musicals im Hintergrund als Backing Vocal mitgewirkt. Ich finde es spannend zu spüren, was die Sänger fühlen, was sie beschäftigt – das bekommt man viel mehr mit, wenn man auch an einer Ecke aktiv mitmacht.
Ist es nicht so, dass viele Theatermachende Musicals gegenüber eher weniger positiv eingestellt sind?
Da gibt es auf jeden Fall einen ziemlichen Graben, ja. Die Leute, die aus der Klassikwelt kommen, sagen oft, Musicals sind…
Schrott?
Dieses Wort hast du gesagt. Schrott! Genau. «Es lebe die Oper!» und so weiter. Die Operette geht gerade noch, aber Musical ist Schrott. Bei Schauspielern erlebe ich das aber weniger, die können sich heute schon viel mehr mit Musical anfreunden. Es gibt immer mehr Theaterproduktionen, in denen Musik vorkommt. Das ist in den letzten Jahren gewachsen, auch auf Profi-Bühnen. Und es gibt immer mehr Schauspieler, die auch noch Gesangsunterricht nehmen, weil sie genau wissen, dass das ein Pluspunkt ist, zum Beispiel bei Auditionen. Da gibt es also nicht mehr so starke Berührungsängste.
Sind auch viele der SchauspielerInnen, mit denen du arbeitest, an Musicalarbeit interessiert?
Ich sage es mal so: Viele von ihnen haben Lust auf Singen, ich würde das jetzt gar nicht mal als Musical definieren. Vor 5 Jahren habe ich das Stück «Geierwally» inszeniert, das spielt im Tirol. Die Schauspieler hatten keine ausgebildeten Stimmen, vielleicht etwas Gesangserfahrung. Da hatten wir die Idee, ganz brachiale Jodler auf die Bühne zu bringen und mit Jodelklängen zu arbeiten, indem alle einen sogenannten Bordunteppich bildeten. Das heißt, dass jeder einen Grundton singt, der seiner Stimmlage entspricht. Wenn das 12 Leute machen, gibt es diesen schrägen Ton im Raum, das ist total spannend. Einzelne jodeln dann darüber hinweg, da bekommst du Gänsehaut. Das war ein ganz tolles Projekt, die darstellenden Leute haben es geliebt und hatten richtig Spaß daran.
Was ich aber noch zur Verwendung des Begriffs Musical in diesem Zusammenhang sagen möchte: Das ist Marketingtechnik. Es zieht viel mehr Leute an, wenn du schreibst: das Musical. Wenn du schreibst: ein Theaterstück mit Musik, dann tönt das nach altbacken und verstaubt, obwohl letztere Bezeichnung es besser trifft. Wenn ich es ehrlich sagen müsste, dann ist «Elternabend» ein Theaterstück mit Musik, kein Musical im eigentlichen Sinn.
Du feierst gerade 20 Jahre Theaterschaffen in Bern. Wenn du deinen Lebenslauf oder die Geschichte bis hierhin erzählen müsstest, wo würdest du beginnen?
Meine Erstausbildung war Tourismuskaufmann. Ich habe eine kaufmännische Ausbildung gemacht, weil ich wusste, dass ich irgendetwas Sicheres lernen musste.
Mein Vater ist gestorben, als ich 7 war, und meine Mutter ist so ein Dorfmädel vom Land, das in Deutschland an der Grenze zu Basel gelebt und den Krieg noch miterlebt hat. Sie wollte immer, dass ich «etwas Richtiges» lerne, etwas wie Metzger oder Schreiner, vielleicht noch Lokomotivführer – irgendetwas, was man brauchen kann. Und da stand die Frage, ob man damit Geld verdienen kann, schon bei einer kaufmännischen Arbeit im Raum. Und dann wollte ich ausgerechnet auch noch in den Tourismusbereich, ins Reisebüro! Mit Bank- oder Versicherungskaufmann hätte meine Mutter noch etwas anfangen können. Und dann auch noch mit Schauspiel kommen? Das wäre gar nicht gegangen..
Das war zu der Zeit aber eigentlich schon dein Wunsch?
Ich wusste damals schon, dass ich etwas mit der Bühne machen möchte. Und weil ich mit 16 schon sehr intensiv angefangen habe zu tanzen, dachte ich, dass ich mich mit Tanz beschäftigen, dass ich in Richtung Tänzer gehen werde. Nebenbei habe ich aber auch schon Schauspiel gemacht, z.B. im Schülertheater. Dieses Thema aber wirklich zu Hause auf den Tisch zu bringen und zu sagen, dass ich etwas Künstlerisches machen möchte, das habe ich mich nicht getraut.
Während meiner Tourismusausbildung habe ich mich dann in Marketing und PR fortgebildet, war im Aussendienst tätig usw. Kaum hatte ich die Lehre fertig, habe ich nebenbei aber schon angefangen mit der «Kulturschiene». Ich habe u.a. eine Privatausbildung in authentischer Schauspielarbeit in Basel gemacht, in der ich sehr viel im Bereich Impulsarbeit, Stimmarbeit, Pantomime gelernt habe – die eigentliche Basis des Schauspielens.
Das klingt alles sehr vernünftig …
Ja – bis vor 6 Jahren, als ich meinen Job als Marketingassistent aufgrund einer Finanzkrise meines Arbeitgebers verloren habe, bin ich eigentlich die ganze Zeit zweigleisig gefahren. Der Jobverlust war letztlich eine Art Tritt in den Hintern für mich: «Alex, jetzt hau den Lukas und geh vorwärts!» Ich hatte vorher immer diese Angst, ob komplett selbstständig sein und nur von Kultur leben überhaupt funktionieren kann. Schweizer haben dieses Bedürfnis ja sowieso sehr ausgeprägt.
Für meinen heutigen Standpunkt war dieser Weg sehr gut, denn ich habe unheimlich viel Wissen in den Bereichen Marketing und Eventorganisiation zusammengetragen, was mir heute als freischaffender Theatermann wahnsinnig viel hilft. Wenn du ein Eigenprojekt auf die Beine stellen, also wirklich die Produktionsleitung übernehmen willst, musst du ein Allrounder sein und in allen Sparten zumindest das Grundwissen besitzen. Ausführen tun die Aufgaben dann letztendlich schon auch andere: ich habe einen Bühnenbildner, jemanden, der die Website und die Flyer gestaltet usw.
Wie überlebt man 20 Jahre lang ohne finanzielle Förderung?
Meine beiden aktuellen bzw. kommenden Stücke, «Der Gott des Gemetzels» und «Elternabend», finanziere ich mit Geldern aus der Wirtschaft, also durch Sponsoring. Man kann auch bei Stiftungen anfragen. Von überall kommt dann ein bisschen Geld in die Kasse, das hat bisher eigentlich immer so funktioniert, das Glück habe und hatte ich. Aus finanziellen Gründen ist noch kein Stück ausgefallen, dafür habe ich auch zu viel Ehrgeiz, nach dem Motto «ghaue oder gstoche». Viel hat auch damit zu tun, wie flexibel die Mitprotagonisten eines solchen Projekts sind. Russisch Roulette mit drei Kugeln im Lauf, sozusagen, dann funktioniert es auch.
Kannst du nachvollziehen, warum Amateurtheater nicht gefördert wird?
Nachvollziehen kann ich es nicht, aber darüber ärgere ich mich nicht, denn das wusste ich von Anfang an, und sich darüber aufzuregen wäre verlorene Zeit und Energie. Man muss sich auch immer bewusst sein, dass das Amateurtheater eine ganz andere Herkunft hat. Es ist aus dem Volkstheater entstanden, das hatte etwas Soziales. Die Ausgangslage, die Urversion ist in etwa: Irgendwo im Berner Oberland, in irgendeinem Dorf veranstaltet der Jodlerklub jedes Jahr ein großes Fest. Und dann gibt es da noch eine kleine Gruppe, die ein Theaterstück aufführt. Zu diesem Fest kommen dann alle Leute zusammen, auch aus der Umgebung. So trifft man sich und lernt sich kennen, da haben schon viele ihre Frau oder ihren Mann gefunden. Das Amateurtheater hatte die Funktion der Zusammenführung, das soziale Miteinander stand im Zentrum. Das hat einen ganz anderen Hintergrund, ganz andere Wurzeln.
Und empfindest du das immer noch so?
Ja, und das soll auch so bleiben! Toffen ist da für mich so ein absolutes Vorzeigebeispiel. Dort wird alle drei oder vier Jahre ein riesengroßes Freilichtspektakel veranstaltet, in das buchstäblich das halbe Dorf involviert ist, sei es auf der Bühne, in der Technik, im Bühnenbau oder im Catering – da helfen alle mit! Aus anderen Dörfern kommen dann die Menschen, um sich das anzusehen. Das ist ein extrem verbindendes Element, und das spürt man in diesem Dorf auch.
Gibt es im Amateurbereich das Streben nach oder die Entwicklung hin zu immer professionellerer Theaterarbeit?
Es gibt rund 4000 Theatervereine und Vereinstheater in der Schweiz – die meisten davon in der Deutschschweiz –, und eine entsprechend große Anzahl an Amateur- und Laientheaterleuten. In den Ballungszentren pushen sich die Vereine in ihrem Level natürlich gegenseitig hoch, gerade auch im Raum Bern. Das ist dann auch der Boden, den ich als Profi-Regisseur nutze: Die Leute wollen immer besser werden, nehmen Kurse, lassen sich in allen möglichen Bereichen ausbilden, und ziehen dann einen Profi-Regisseur hinzu, damit das Stück besser inszeniert wird, lassen die Werbung von einem Profi machen, ziehen vielleicht noch einen Bühnenbildner bei. Auf der einen Seite lebe ich letztendlich davon, auf der anderen Seite ist diese Entwicklung aber auch gefährlich, denn Leute, ich sage mal die Laiendarsteller, die pure Freude am Spielen und sozialen Miteinander haben, vielleicht aber nicht so super gut sind, können untergehen. Das ist die negative Seite daran.
Du bezeichnest dich also als Profi-Regisseur? Wo zieht man da die Grenze, ab wann ist man ein «Profi»?
Ab dem Punkt, wo man sein Geld damit verdient, kann man sich als Profi bezeichnen, denke ich. Ich bin kein ausgebildeter Regisseur, mache aber trotzdem seit über 20 Jahren Regie und verdiene mein Geld ausschließlich durch die Kunst. Ob ich jetzt Schauspiel- oder Regieunterricht gebe oder als Regisseur engagiert werde – sobald ich davon lebe, ist das professionell, eben meine Profession. Genauso habe ich eine «Definition» für Laien- und Amateurschauspieler: Ein Amateur kann auf der Bühne genauso gut sein wie ein Profi. Er hat sich in seinem Bereich genauso ausgebildet und unzählige Stunden in Privatausbildungen und Workshops investiert. Der Amateur hat ein riesiges Wissen und setzt es um, aber er verdient kein Geld damit, er verlangt für diese Arbeit nichts. «Der Gott des Gemetzels» ist da ein Beispiel. Die vier SchauspielerInnen sind Amateure, die alle noch ganz normal ihre Berufe, aber ein sehr hohes Spielniveau haben. Der Laie hingegen ist der, der etwas auf gut Glück tut, weil er keine Ahnung hat von der ganzen Sache. Wenn er Glück hat, kommt es dann gut.
Gehst du selbst viel ins Amateurtheater?
Ich gehe unheimlich viel ins Theater, sowohl als auch. Es gibt Momente, da denke ich mir: Ich habe jetzt einfach die Schnauze voll von Amateurtheater, jetzt muss ich wieder mal Profi-Bühne sehen! Basel hat tolle Produktionen mit einem tollen Ensemble und tollen Stücken im Programm. Biel Solothurn finde ich auch total gut, die spielen wirklich tolles Theater.
Du arbeitest zur Zeit an zwei Produktionen, in denen es um das Elternsein und die Erziehung geht. Hast du ein spezielles Interesse an diesen Themen, oder war das Zufall?
Es gibt Lebensabschnitte, in denen man von bestimmten Themen begleitet wird. Es ist durchaus möglich, dass das jetzt auch mit meinem Alter zu tun hat. Ich werde 50 und habe keine Kinder, beschäftige mich in den letzten 5 Jahren aber immer intensiver mit Kindern und Jugendlichen und mache mit ihnen Theater. Das gab es vorher nicht, das habe ich schon beobachtet. Überall um mich herum gibt es Kinder, und lustig ist, dass manchmal plötzlich die Kinder der Menschen, mit denen ich zusammenarbeite, in meine Gruppen kommen. Ich kann das Elternsein auf diese Weise ganz distanziert beobachten und habe eine ganz exklusive Position, indem die Kinder mir ihre Geschichten von zu Hause erzählen und wir diese dann zu Szenen verarbeiten können.
Grundsätzlich interessieren mich gesellschaftskritische Themen und Stücke, in denen es um zwischenmenschliche Beziehungen geht. In «Fucking Åmål» zum Beispiel ging es um überhöhten Alkoholkonsum unter Jugendlichen und eine lesbische Liebe. Was ich nicht gerne mache, sind reine Boulevard-Komödien. Wenn es lustige Sachen sein sollen, dann finde ich eher Satire spannend, weil es da wieder so bissig wird.
Gibt es etwas, das du gerne noch machen würdest?
Es gibt ganz viele Sachen, die ich gerne noch machen würde. Vor allem aber würde ich gerne mal ein Musical auf einer ganz großen Bühne, einer Stadttheaterbühne umsetzen.
Du meinst Theater mit Musik ?
Theater mit Musik, genau!
Und wie könnte es dazu kommen?
Eigentlich nur, indem irgendein Intendant auf mich zukommt und sagt: Ich will dich. Mit einer Bewerbung kommt man bei der Vielzahl an Bewerbungen von Meier und Müller nicht weit. So etwas läuft nur mit Beziehungen, wenn jemand meine Arbeit toll findet, mich beobachtet hat und mich dann fragt. Das wäre ein ganz großer Wunsch. Aber grundsätzlich in der Kultur sein, das ist nicht mein Beruf, das ist meine Berufung, da will ich auf alle Fälle bleiben.
Und, um nochmal darauf zurück zu kommen, warum ich keine Filme mache: Im Theater ist jeder Abend eine neue Herausforderung, ein neues Erlebnis mit Ängsten und Freuden, ein neuer Absturz, ein neuer Erfolg. Man fängt immer wieder bei Null an und muss immer wieder ein neues Publikum in seinen Bann ziehen. Da ist so viel Lebendigkeit drin, das ist doch toll!
Hast du dir überlegt, wie lange du noch Theater machen möchtest?
Mein ganzes Leben lang. Ich sterbe irgendwo in einem Theaterraum!
Foto: zVg.
ensuite, Oktober 2013