Von Luca D’Alessandro - Ein Gespräch mit Blues-Gitarristin Pat Wilder: Patricia «Pat» Wilder ist charmant, unkompliziert und geniesst es, wenn die Menschen auf sie zu gehen und sich die Zeit nehmen, mit ihr zu schwatzen. Vor lauter Autogramm-Abgabe und Smalltalk vergisst die texanische Blues Lady sogar ihr Abendessen. «Das macht nichts, ich lasse es mir einpacken», sagt sie mit herzhaftem Lachen am Rande eines ihrer Konzerte am diesjährigen Jazzfestival Bern im Marians Jazzroom.
Sie ist die Bandleaderin einer bunt zusammengewürfelten Truppe, die sich The Serious Business nennt. Allzu «serious» nehmen sich deren Mitglieder offenbar doch nicht. Für Klamauk auf der Bühne bietet sich immer wieder die Gelegenheit. Angezettelt von der Chefin selbst: Sie gibt den Ton an, lacht, macht Witze und flirtet mit Publikum und Band.
Pat Wilder, Paul Watzlawicks These «Man kann nicht nicht kommunizieren» trifft voll auf Sie zu.
«Oh, I like to communicate!» Mit meiner Gitarre kann ich überall das Eis brechen, Sprachbarrieren kenne ich keine. Letzte Woche waren wir in Kuba, zuvor in Australien … Wo ich auch hinkomme verstehen mich die Menschen. Sie haben Spass mit mir und meiner Band. Wenn du sprachlich nichts ausrichten kannst, bleibt dir nur noch das Instrument. Deshalb liebe ich meine Gitarre so sehr. «I can boogie with it» (lacht).
Sie sind keine traditionelle Blueserin. Ihre Wurzeln liegen im Jazz, Rock, R&B und Gospel. Trotzdem war ich erstaunt, als Sie Ihr Set mit einem Fusion Stück begannen.
Oh, das waren die Crusaders. Ich war schon früh mehreren Einflüssen ausgesetzt. Geprägt hat mich Taj Mahal, ein Freund meiner Familie: Er schenkte mir nicht nur eine Gitarre, er zeigte mir auf, welches Potenzial in mir steckt. Meine Inspirationen kommen unter anderem von Jazzgrössen wie Stan Getz oder Thelonious Monk. Ihre Grundgedanken fliessen immer wieder in die Band ein. Das macht die Arbeit gehaltvoller und für alle interessant. Bereits meine Grossmutter prophezeite mir – sie war damals 93 Jahre alt: «Pat, ich bin überzeugt – du wirst das alles im Blues vereinen können.» Sie hatte recht. Heute fahre ich einen ausgesprochen breiten Blues. Ich finde, das muss so sein.
Wieso?
Meine Band und ich sollen als Musiker und nicht «nur» als Blues Musiker bekannt sein. Mit Sugar G. Robinson an den Keyboards und Peaches an den Drums habe ich zwei Bilboard Award Nominierte mit an Bord, die von ihrem Handwerk sehr viel verstehen. Es wäre schade, das Korsett zu eng zu schnüren. Sie müssen sich ausleben können.
Sie sind von der Professionalität Ihres Ensembles überzeugt.
Oh ja. Das sind alles spezielle Charaktere. Jeder bringt das gewisse Etwas mit.
Mit Carol Mayedo haben sie ausserdem eine Violinistin im Team. Im Blues ist das doch eher eine Seltenheit.
Ich habe Carol vor etwa sieben Jahren zum ersten Mal getroffen. Sie kommt aus der klassischen Musik. Als Pädagogin unterrichtet sie auch Schüler. Auf den Blues ist sie durch mich gekommen, und heute ist sie davon nicht mehr abzubringen. Carol ist wirklich jemand Besonderes.
Vermutlich war es schwierig, sie zu integrieren.
Auf Grund ihrer Grundausbildung verfügt sie über eine eigene Technik und Methode, welche sie dem Blues anpassen musste. Es dauerte eine gewisse Zeit bis sie bühnenreif war. Inzwischen hat Carol ihren ganz eigenen Blues gefunden, den ich übrigens immer wieder geniesse. Er gibt unseren Auftritten eine aussergewöhnliche Note.
Es hat sich also gelohnt, zuzuwarten.
Auf jeden Fall. Ich wollte und konnte ihr nicht einfach sagen: «Lerne schneller». Das bringt nichts. Sie soll den Blues selber erfahren. Blues lässt sich nicht auf Papier erklären. Es braucht seine Zeit, ihn zur Reife zu bringen.
Wie reagieren die Schüler auf ihre vom Bluesfieber angesteckte Carol Mayedo?
Vermutlich spielen sie heute Vivaldi mit Südstaatenakzent (lacht).
Erlauben Sie mir eine Anekdote?
Selbstverständlich.
Iiro Rantala, der finnische Jazzpianist, sagte einst in einem Interview, er habe auf Jazz umstellen müssen, weil er mit dem Spielen klassischer Stücke nicht zurecht komme. Beim Spielen müsse er jeweils auf den Boden stampfen und mitsummen. Dieses Verhalten sei mit der Klassik nur schwer vereinbar.
(lacht) Das ist lustig, macht aber durchaus Sinn. In der Klassik hat dieser Mann gewiss nichts verloren. Eine schöne Geschichte … ja, es ist so. Man muss das finden, was für einen stimmt.
Sie sind eine energiegeladene Frau, die auf der Bühne keine Hemmungen kennt.
Ich versuche immer wieder, milde Töne anzustimmen. Allerdings kann ich mich noch so sehr bemühen: soulig und sexy wird es nie. Ich versuche es zwar und gebe mir alle Mühe. Vermutlich bin ich aber nicht der Typ dazu. Es sprudelt so aus mir heraus.
Sogar bei der Ballade konnten Sie sich kaum zurückhalten.
In der Tat (lacht). Wenn Sie das so sagen, finde ich das sogar lustig. Ich wäre gerne etwas ruhiger, aber es will mir einfach nicht gelingen. Ich vergesse es immer wieder.
Müssen Sie denn «ruhiger» werden?
Was denken Sie?
Ich finde nicht.
Ich bin froh, dass Sie diesen Aspekt ansprechen. – Ich werde alles so belassen, wie es ist. – «I won’t change» …
Und trotzdem stimmt es sie nachdenklich.
Wissen Sie: Ich höre so viele Bluesbands. Die meisten von ihnen spielen soft und ruhig. Ich aber möchte auf einen anderen Level gehen und dem Publikum eine Show bieten. Nicht nur für die Ohren, sondern auch fürs Auge. Die Leute sollen die Musik auf allen Ebenen erfahren.
Haben Sie ein neues Projekt in der Pipeline?
In etwa einem Jahr werde ich etwas mit Taj Mahal produzieren. Allerdings wird er es sein der den Kurs bestimmt. Er wird entscheiden was auf die Platte kommt.
Bei Taj Mahal müssen Sie den Lead abgeben.
Oh ja, da werde ich nicht viel zu sagen haben (lacht). Ich bin gespannt, was er von mir erwartet. Es wird bestimmt gut. Taj hat mich schliesslich auf meinen Musikgeschmack gebracht und mich in dem unterstützt, was ich heute tue.
Foto: zVg.
ensuite, Mai 2014