Von Ralf Wetzel — Ein bericht über eine einzigartige Wissenschafts-Beratungs-Theater-Kooperation in Bern: Wir leben offenkundig in veränderungsversessenen Zeiten. Selten zuvor wurde so nach Wandel, nach Innovation, nach Abweichung gerufen wie heute. Kann man sich noch vorstellen, dass (gerade jetzt) ein neu berufener Manager (unabhängig ob in einer Hochschule, einem Unternehmen, einem Krankenhaus oder einer Armee) auf dem ersten Meeting verkündet, er liesse alles beim Alten? Kann man sich noch vorstellen, dass eine Organisationsberaterin nach eingehender Diagnose von Problem, Struktur und Kultur der betroffenen Organisation ihren Dienst mit dem Statement quittiert, es sei alles bestens? Diese Versessenheit reicht vielfach bis in die letzten Zipfel unseres Alltags hinein. Es existiert kaum noch eine alltägliche Situation, in der nicht irgendjemand sagen könnte: «So geht das aber nicht, wir müssen etwas tun!» Und schlimmer noch. Sobald jemand Einspruch erhebt, vor Verlusten warnt, oder auch nur zur Vorsicht mahnt, wird dies allzu oft als «Widerstand» interpretiert, der Erklärungsbedarf, ja oft sogar Angriffswut und Verteidigungshaltungen erzwingt. Dabei versichern wir uns laufend, wie gut wir im Stande sind, ihn, den Wandel, zu gestalten. Das nennt man dann Changemanagement. Oder ihn vorwegzunehmen: Das nennt man dann Prävention. Mit etwas Distanz jedoch entsteht nicht selten der Eindruck, als ob nicht wir den Wandel, sondern er uns gestaltet. Wir hecheln laufend einem seltsam stilisierten Veränderungsmythos nach und übersehen dabei allzu gern, wie sehr er uns über genau dieses Muster fest im Griff hat. Er, den wir mit allerlei Rhetorik in dieser Präsenz und Rasanz selber erst erzeugen. Das nennt man dann selbsterfüllende Prophezeiung. Oder kürzer: Illusion. Das Fatale daran ist, dass wir den Terror der alltäglichen Zumutung des Wandels — vor allem in Organisationen — in vielen Fällen gar nicht mehr als etwas Besonderes oder gar Vermeidbares beobachten. Laufend gibt es Umstrukturierungen, Einführung von neuen Konzepten, Moden und Tools, Auftritte der nächsten Organisations‑, IT‑, Kommunikationsberater, etc. All dies beeinflusst unseren Arbeitsalltag. Man schafft es kaum noch, damit einen reflektierten Umgang zu finden, geschweige denn, dem zu entkommen. Man steckt im Käfig — der vom Ergebnis her betrachtet nicht selten einem Laufrad für Hamster gleicht. In diesem Käfig stecken wir mittlerweile fast alle, wir sind durchweg betroffen.
Man muss mittlerweile schon einige Verfremdung und Verdichtung erzeugen, um auf die oft anzutreffende Absurdität dieses alltäglichen Thea-ters noch aufmerksam zu werden und um nach vernünftigen Auswegen zu suchen. Einen derartigen verfremderischen und verdichteten Weg hat eine junge, grenzüberschreitende Kooperation von Wissenschaftlern, Beratern und Künstlern gefunden. Die Kooperation zwischen der Hochschule der Künste Bern (HKB), dem Beratungsunternehmen FESTO Didactic (D) und dem Kompetenzzentrum Unternehmensführung der Berner Fachhochschule nähert sich dem Alltag des Wandels, indem sie genau die Alltäglichkeit auf eine Bühne holt, als Theater inszeniert. Dabei treten nicht nur die unmittelbar Beteiligten, sprich die Mitarbeitenden auf. Auch die «Change-Agenten» — Beratung und Wissenschaft -, die nur temporär auftreten oder ihn komplett aus dem Hintergrund heraus betreiben, kommen zum Vorschein. Oder nein, auch sie werden inszeniert.
Schauspielstudierende der HKB inszenieren dabei unter der Regie von Stefan Saborowski typische alltägliche Szenen aus dem betrieblichen Veränderungsprozess einer mittelständischen Firma. Diese Szenen werden von einem Berater (Holger Regber, Festo) und einem Wissenschaftler (Ralf Wetzel, BFH) zugespitzt, zuweilen überzeichnet, kommentiert. Klar wird dabei, wie beschränkt, zumindest wie begrenzt die Sichtweisen aller drei Beoachtungswelten, wie hoch die systematischen Hürden eines Verstehens, wie fern die Möglichkeit eines effektiven Zusammenarbeitens sind. Die Alltäglichkeit des Scheiterns von Veränderungsvorhaben tritt ebenso unmissverständlich hervor und wird buchstäblich einsichtig wie die merkwürdig rhetorische Überdeckung dieses Scheiterns durch alle Beteiligten. Aber scheinbar sind es genau diese euphemischen, rhetorischen Überdeckungen des Scheiterns, die auf kleine «Exits» aus dem Käfig hindeuten. Vielleicht hat der harte Change-Käfig hier und da brüchige Stellen, eher stille, fast subkutane, über die man sich heimlich und wenigstens für kurze Zeit aus dem Staub machen kann. Diese Exits kann man — so die Hoffnung auch in dieser Kooperation – gezielter suchen und finden, auch um allen Beteiligten Atempausen, und sei es nur für den Moment eines Schmunzelns, zu gestatten. In Bern kombiniert sich die dafür notwendige Lust mit vielversprechenden Ansätzen, auf allen drei Seiten.
Foto: André Kozik, Chemnitz (D)
ensuite, Mai 2009