Im Fokus Rabbi und Äbtissin: Rabbi Elis Kriminalfälle & Katharina von Zimmern

Von Dr. Reg­u­la Stämpfli - Zürich ist eine Welt­metro­pole, nur die Zürcher bleiben meist auf ihrem «welt­berühmt in Zürich» sitzen. Die Zürcherin­nen aber, ja sie, sie schreiben Welt­geschichte und rasen durch die Nahost­poli­tik. Rab­bi Eli beispiel­sweise. Die pro­gres­sive Jüdin ermit­telt nun schon im zweit­en Fall ein Ver­brechen.

Sie ist viel­sprachig, feiert die hohen Feste gle­ichzeit­ig mit den Ortho­dox­en, doch sehr unab­hängig von ihnen. Hätte C. G. Jung die Vio­line Freud abgekauft, als dieser seine Schwest­er vor dem Konzen­tra­tionslager hat­te ret­ten wollen, gin­ge es der Psy­cho­analyse heute sich­er bess­er. So wie der Name Fei­d­mann in Europa kaum mehr zu find­en ist: Feld­mann sehr wohl und meist in anti­semi­tis­chen Talk­shows in der Rolle der Jüdin, Vor­name meist Deb­o­rah. Fei­d­mann gehörte in Deutsch­land zu den häu­fig­sten Namen – bis zur Shoa. Das und Tausende andere span­nende Details erfährt man bei der schrift­stel­lerischen Neuent­deck­ung Mar­i­anne Fed­er. Ähn­lich wie Fred Var­gas, die studierte Archäolo­gin aus Frankre­ich, Kri­mi-Best­seller­autorin mit männlichem Pseu­do­nym, schreibt Mar­i­anne Fed­er ihre Krim­is rund um wahre Geschicht­en, Quellen, Fak­ten, Poli­tik und mit klugem Plot.

Rab­bi Eli in Zürich ist, als ob sich Sarah Sil­ver­man oder wahlweise Jer­ry Sein­feld mit Hitch­cock zusam­menge­tan hätte: Es resul­tiert ein höchst amüsantes, extrem gescheites Thriller-Erleb­nis, das jede und jeden packt – voller über­raschen­der Wen­dun­gen, voll feinem Humor und tief­gründi­ger Gesellschaft­skri­tik. Dieses Buch ist nicht nur ein Genuss, son­dern auch eine Ein­ladung, die jüdis­che Welt als unser aller Welt zu begreifen – klug, witzig und abso­lut unvergesslich. Obwohl, nun kom­men mir einige Zweifel. Nicht punk­to Qual­ität von Mar­i­anne Fed­ers Buch, son­dern punk­to Taub­heit und Sturheit des deutschen Lit­er­aturbe­triebes. Es ist zu befürcht­en, dass Bio-Deutsche und ‑Schweiz­er den Feder’schen Humor nicht ver­ste­hen. So wie neulich an ein­er Par­ty in München, als ich den Witz erzählte, das darf ich nur als Wahlis­raelin, dass Shlo­mo und Moshele sich trafen und laut kicherten, als sie ihre Erin­nerun­gen über Auschwitz aus­tauscht­en. JHWH (Gott) wurde furcht­bar wütend, denn über Auschwitz gebe es laut ihm über­haupt nichts zu lachen. Schlo­mo meinte, immer noch kich­ernd: «Na ja, du warst ja eben nicht dort!» Pein­lich­es Schweigen von meinen Fre­undin­nen und Fre­un­den, nur Thomas, bless him, kicherte mit. Alle andern began­nen gle­ichzeit­ig durcheinan­derzure­den. Was denn DARAN witzig sei und über­haupt, was ich mich wagen würde, und ger­ade in diesem schreck­lichen Nahostkrieg gehe so was gar nicht, ich solle doch an die «armen palästi­nen­sis­chen Babys» denken. Ich ging mit einem starken Gin Ton­ic raus und rauchte eine Zigarette und beschloss: hoff­nungs­los. Deutsche gehen zum Lachen ständig in den Keller und deshalb ist das Land manch­mal schw­er zu ertra­gen. Apro­pos: Wussten Sie, dass der Morala­pos­tel Robert Habeck alle verk­lagt, die ihn bspw. als Schwachkopf beze­ich­nen? Nicht? Passt doch, nicht wahr?

Any­way. Rab­bi Eli parkt ihre Harley in Zürich neben der Kirche beim Brun­nen, an den Lin­den­baum gelehnt, entsper­rt den Sicher­heitscode beim Tem­pel, nimmt die Trep­pen­stufen gerne zwei auf ein­mal. Ihr Helm wird fix durch Kip­pa erset­zt, die Tels­fransen an den Lip­pen, flüstert sie die Broche. «Pes­sach for Begin­ners» stand auf dem Pro­gramm: und willkom­men in Rab­bi Elis Welt – ein Must-Read für uns Auser­wählte, denn die Serie, darauf ver­wette ich meine Heimat, wird in ein paar Jahren einen Kult­sta­tus ähn­lich wie «Emi­ly in Paris» auf Net­flix haben; die Stadt Zürich muss dann Mar­i­anne Fed­er mit unzäh­li­gen Preisen über­häufen, nur um nicht pein­lich zu sein, was freue ich mich doch darauf!

Was mich zur Äbtissin Katha­ri­na von Zim­mern, deren faszinieren­der Sto­ry und zu schon fast staubig-religiös verehren­der Stadt­präsi­dentin­nen-Huldigung in Zürich bringt. Katha­ri­na von Zim­mern (1478–1547) war extrem schillernd, stammte aus ein­er faszinieren­den Fam­i­lie mit hochin­tel­li­gen­ter Mut­ter, traf aber aus typ­isch weib­lich-ver­söhn­lich­er Sicht einen der antifem­i­nis­tis­chsten Entschei­de ever: Sie über­gab gratis, franko und wahnsin­nig brav aus­gerech­net den hohen Her­ren von Zürich die Ver­fü­gungs­ge­walt über den wahnsin­nig reichen «Frauen­stift» – das Fraumün­sterk­loster in Zürich. Dann heiratete sie Eber­hard von Reis­chach, I mean, welch eine Ver­schwen­dung aus heutiger Sicht! Zumal die Her­ren diese grosszügige Geste mit dem sys­tem­a­tis­chen Vergessen der Gön­ner­in Katha­ri­na von Zim­mern dank­ten. Bis heute ist über ihre Tätigkeit als Äbtissin wenig bekan­nt, auss­er dass Katha­ri­na von Zim­mern gegen den Wider­stand ihrer Mitschwest­ern an die Spitze gestellt wurde. Vielle­icht weil die Schwest­ern den Ver­rat von Katha­ri­na von Zim­mern vorausah­n­ten? Sie machte das Kloster mit Kun­st und Kul­tur, raren Schriften und reich deko­ri­erten Zim­mern sowie der Mod­ernisierung der Klosterkirche reich. Der Refor­ma­tor Ulrich Zwingli wid­mete Katha­ri­na von Zim­mern per­sön­lich seine 1523 erschienene Refor­ma­tion­ss­chrift – nach­dem das Fraumün­ster übergeben wor­den war, notabene. Dass sie auf «Amt und Würde» verzichtete, recht­fer­tigte die Adelige mit dem Ziel, «grosse Unruhe und Ungemach» zu ver­mei­den. Für ihren Ver­rat oder ihre staats­bürg­er­liche Weit­sicht, je nach­dem wie man dies beurteilen will, belohnte der Zürcher Rat sie mit ein­er Leibrente sowie mit lebenslänglichem Wohn­recht im Kloster, das zum Amt­shaus trans­formiert wurde. 1536 wohnte sie aber im Haus «zum Brack­en», später im ehe­ma­li­gen Haus «zum Mohrenkopf» am Neu­markt.

Fem­i­nis­tisch aus­ge­graben und wieder­ent­deckt wurde Katha­ri­na von Zim­mern in den 1980er-Jahren und wurde nun als grosse Friedenss­tifterin verehrt, nach­dem der böse Neffe Froben Christoph von Zim­mern sein­er Tante vorge­wor­fen hat­te, auf die Abtei «unloblich» verzichtet zu haben. 2004 schuf Anna-Maria Bauer (Bild­hauerin) ein Denkmal für sie im ehe­ma­li­gen Kreuz­gang der Fraumün­ster­abtei.

Mit­tler­weile gibt es Filme, Dokus und Büch­er zu Katha­ri­na von Zim­mern – ich möchte hier Irene Gysels Werk empfehlen. Es ist nüchtern genug, um his­torisch standzuhal­ten, und so far­big erzählt, um Mate­r­i­al für einen grossen Roman zu bieten. Was für einen Roman dies gäbe! Alles wäre drin: Sex, Crime, Rock ’n’ Roll, Schwest­ern­stre­it, kriegslüsterne Män­ner, religiöse Fanatik­er sowie die Enteig­nung von Frauen, der Armen sowieso. Gysel erzählt köstlich über die dama­lige Zeit: «Gross­mün­ster und Fraumün­ster standen in ein­er andauern­den Konkur­renz, die zum Teil selt­same Blüten trieb. So musste der Zürcher Rat entschei­den, dass am Felix-und-Reg­u­la-Tag beim Auf­gang zum Lin­den­hof die Reliquien­särge des Gross­mün­sters den Vor­rang hät­ten, beim Abgang die Särge des Fraumün­sters.» Und Gysel schreibt über sex­uelle Gewalt in Orig­inal­tex­ten: «1 March bar Hein­rich Krämer von des frävels und unzucht wegen, so er an Fowe von Helf­fen­stein zu frowen­m­müster began­gen hät.» Der «Pred­i­tor» Hein­rich Krämer musste also eine March Sil­ber als Strafe für «sex­uelle Beläs­ti­gung» bezahlen. Ach, wenn dies doch nur in Gross­bri­tan­nien im 21. Jahrhun­dert auch möglich wäre! Dort erschüt­tert der Rape-Gang-Skan­dal die gegen­wär­tige Labour-Regierung, unter deren Ver­ant­wor­tung die mus­lim­is­che Wäh­ler­schaft behal­ten wurde, indem man jahrzehn­te­lang schw­er­ste sex­uelle Folter von Pak­istani-Gangs an weis­sen Unter­schichtsmäd­chen – Tausende von Fällen sind doku­men­tiert – ver­schwiegen, ver­harm­lost und rel­a­tiviert hat, bis heute. Doch damals wie heute stand davon nichts in den Main­stream-Medi­en, also in den hoheitsvollen Ver­laut­barun­gen, son­dern die Fälle wer­den erst durch entsprechende Gericht­sak­ten ent­deckt. Und zum Schreck­en aller Frauen bracht­en die Ref­or­ma­tion und die grosse Geste der Äbtissin von Zim­mern keine Besserung der weib­lichen Stel­lung ins­ge­samt. Das Gegen­teil war der Fall: abgrundtief und fürchter­lich. Die Reformierten heiligten keine Frauen mehr, die Mut­ter des Gottes­sohns wurde zur Gebärerin der heili­gen Ware her­abgestuft, jede Göt­tin­nen­verehrung, die Tausende von Jahren in Europa selb­stver­ständlich war, durch die «vernün­fti­gen» Schrift­män­ner mit grösster Bru­tal­ität getil­gt. Agatha Stud­lerin bspw. wurde als erste Hexe von den Reformierten hin­gerichtet. Ihr Ver­brechen? Sie war ver­mö­gend. Deshalb führte die Klage wegen Hex­erei zur sofor­ti­gen Enteig­nung – ach, wie bleiben diese Geschicht­en doch mod­ern! Am 27. Feb­ru­ar 1546 wurde sie mit gross­er Medi­en­präsenz und in der Öffentlichkeit ertränkt. Die Reformierten liebten solche Hin­rich­tun­gen, über 80 soll­ten fol­gen. All dies find­et man in Irene Gysels gut recher­chiertem Buch – schade nur, dass ein Vor­wort von Stadt­präsi­dentin Corine Mauch drin­ste­ht. Es trieft nur so von Diver­si­ty-Match, getränkt mit pseu­do­fem­i­nis­tis­chen Phrasen. Doch den Schock der ersten Polit-Seit­en über­wun­den, lohnt sich das Buch von Irene Gysel alle­mal. Und Rab­bi Eli? Drin­gend lesen. Wirk­lich drin­gend, denn: Manch­mal braucht es keine Rev­o­lu­tion, keinen Auf­s­tand, keinen grossen Knall – manch­mal genügt eine radikale, uner­wartet pack­ende Geschichte, die wie ein Molo­tow­cock­tail direkt ins Hirn trifft, um die fest­ge­fahre­nen, betonierten Welt­bilder der Selb­stzufrieden­heit zum Ein­sturz zu brin­gen. Dies bietet Rab­bi Eli in jedem Fall. Die Krim­i­nalfälle fressen sich durch Schicht­en aus Igno­ranz, Bequem­lichkeit und Zynis­mus, bis sie das frei­le­gen, was lange ver­schüt­tet war: die Fähigkeit, die Welt jüdisch, fem­i­nis­tisch, demokratisch zu sehen.

Mar­i­anne Fed­er: shush shalom. Rab­bi Elis erster Fall. Edi­tion Königsstuhl 2024.
Mar­i­anne Fed­er: Die Kur. Rab­bi Elis zweit­er Fall. Edi­tion Königstuhl 2025.
Irene Gysel: Katha­ri­na von Zim­mern. Flüchtlingskind, Äbtissin, Bürg­erin von Zürich. The­ol­o­gis­ch­er Ver­lag Zürich 2024.

Artikel online veröffentlicht: 1. Februar 2025 – aktualisiert am 19. März 2025