Von Irina Mahlstein — Da sitze ich am Flughafen in Denver mit meinem neuen Netbook und sehe aus wie die geborene Karrierefrau. Nach zwei Wochen NCAR, beziehungsweise Bouldern, haben sich nun einige Karriere-Flausen in meinen Kopf gesetzt. Im Moment kämpft in meinem Kopf allerdings mein Rationalismus eine unerbittliche Schlacht gegen die Flugangst, die mir versucht einzureden, dass dies meine letzten Buchstaben sind, die ich in meinem Leben tippe, und dass sie sowieso niemand lesen wird, weil ich und mein neues Netbook bald zerschellen werden — irgendwo über dem Great Plain der Staaten. Vielleicht knallt das ganze Flugzeug direkt in eine der grossen Schweinefarmen und ich liege da, kaputt mit meinem Netbook, zwischen all den Ferkeln. Ein schönes Ende. Aber wenn Sie diese Kolumne lesen, dann ist es nicht soweit gekommen.
Noch vor zwei Wochen kam ich am denselben Flughafen todmüde an, ohne zu erahnen, dass mir der ganze Klimaolymp einen Einblick gewähren wird. Fast sämtliche Forschungsikonen verbrachten einen Teil ihrer Zeit am NCAR oder sind immer noch am NCAR. Und genau diese sitzen jetzt mit mir am Mittagstisch und beobachten, wie ich ungeschickt versuche, ohne zu kleckern mein Meatball-Sandwich in meinen Mund zu schieben. Mir fehlt da etwas die Routine, wie in vielen anderen Bereichen auch. Wie ich feststellen muss. Allerdings haben die zwei letzten Jahre so viel geholfen, dass ich nun wenigstens verstehe, von was gesprochen wird. Auch wenn ich kaum wage, einen eigenen Gedanken auszusprechen. Immerhin haben sich die vielen Staatsgelder, die die lieben Steuerzahler mir und meiner Ausbildung zukommen lassen, in diesem Sinne gelohnt. Aber wie sollte man sich auch getrauen, einen Pieps von sich zu geben, wenn Susan Solomon vor einem sitzt.
Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich noch in meinem Studium in einem Kurs etwa einmal pro Vorlesung die Referenz «Brasseur & Solomon» zu hören bekam. Und nun sitzt also genau diese Susan Solomon vor mir und lächelt mich an und hört mir interessiert dabei zu, wie ich ihr meine Resultate erkläre. Nach fünf Stunden wissenschaftlicher Unterhaltung (ohne Pause und ohne Essen!) skizziert Susan kurz auf einer Serviette, wie das Projekt weiter zu verfolgen ist, schenkt mir einen IPCC-Report und eines ihrer Bücher (mit der schönsten Widmung für mich, die ich je gelesen habe; obwohl, dies ist das erste Buch, das ich mit Widmung bekommen habe…) und verabschiedet sich wieder. Todmüde sacke ich in mir zusammen. Ich empfinde es sowieso als absolut unmöglich, länger als drei Stunden bei Tageslicht ohne Nahrung leben zu müssen. Und dazu noch angestrengt denken. Nach dem nahrungslosen Denkmarathon, den ich gerade hinter mich gebracht habe, befindet sich mein Zuckerspiegel auf einem Rekordminimum. Was vielleicht auch ein wenig darauf zurück zu führen ist, dass ich am Abend zuvor mit einem sehr attraktiven Engländer, der auch am NCAR auf Besuch ist, ein paar Bierchen zu viel getrunken habe, weshalb ich deshalb die Nacht teilweise über der Kloschüssel verbracht habe. Ja, ich weiss bereits, dass ich ein unvernünftiger Schusel bin.
Und nun sitze ich also schon wieder am Flughafen, um meinen Flug nach Montreal zu erwischen, um an der MOCA-Konferenz teilzunehmen. Ich kämpfe mit meiner Flugangst und warte darauf, dass die ganze klimatische Intelligenz sich am Gate einfinden wird. Man stelle sich vor: Da Boulder ja wie gesagt den Klimaolymp schlechthin darstellt und nun ein wichtiges Meeting ist, dann werden all die Superleute genau auf diesem Flug sein, um nach Montreal zu gelangen. Deshalb reduziert sich meine Flugangst wieder ein stückweit. Denn es kann ja nicht sein, dass der Pilot es wagen sollte, die gesamte Klimagemeinschaft in eine Schweinefarm zu setzen. Nein, unmöglich! Ich werde schon sicher nach Montreal gelangen. Und da halte ich meinen ersten Konferenzvortrag. Weiter geht’s also, mit dem Klimaolymp.
Foto: zVg.
ensuite, September 2009