• zurück

In die Zukunft ohne Zukunft

Von Lukas Vogel­sang — Man traf sich im Gare du Nord in Basel. Die Ver­anstal­tung war mit 160 Per­so­n­en aus­ge­bucht und ver­sprach nicht weniger als einen Blick in die Zukun­ft, ohne Mike-Shi­va-Prog­nosen. Selb­st Pius Knüsel war in den Zuschauer­rei­hen auszu­machen – wahrschein­lich auf Recherche-Tour für den Kul­tur­in­farkt 2.0. Man war gekom­men und die Zukun­ft der Kul­tur­förderung zu disku­tieren. Die Zukun­ft blieb aber in der Zukun­ft.

Mit dem Titel «Die Zukun­ft begin­nt heute!» hat das SKM Stu­dien­zen­trum Kul­tur­man­age­ment der Uni­ver­sität Basel einen Nerv der Zeit getrof­fen. Die Kul­tur­förderung und Kul­turszenen verän­dern sich momen­tan über­all – und nie­mand weiss so genau, was geschieht. Das SKM hat für diese Tagung 3 x 4 Prog­nosen aufgestellt, die wir hier am Schluss gerne wiedergeben um diese The­men wei­t­er­denken zu lassen. Pro­fes­sor Dr. Mar­tin Trön­dle von der Zep­pelin Uni­ver­sität in Friedrichshafen benan­nte das Prob­lem aber ziem­lich deut­lich: Solange man die Begriffe «Kul­tur» und «Kun­st» nicht gemein­sam klar­er definiere, und eine Sprache und Begrif­flichkeit finde, sei es auch nicht möglich, eine Zukun­ft für etwas zu definieren. Das war denn auch das Haupt­prob­lem dieser Tagung: Viele Red­ner und Fach­leute auf dem Podi­um, viele ver­schiedene Sichtweisen und Blick­rich­tun­gen, und wenig Gemein­samkeit­en – allem voran in der Begrif­flichkeit. Der «Blick in die Zukun­ft» blieb so undurch­schaubar wie zu Beginn.

Dabei war das «Line-Up» sen­sa­tionell gewe­sen: Philippe Bischof, Leit­er der Abteilung Kul­tur im Prä­sidi­alde­parte­ment Basel-Stadt; Hedy Graber, Lei­t­erin Direk­tion Kul­tur und Soziales beim Migros-Genossen­schafts-Bund Zürich; Guy Krne­ta, Schrift­steller und Mit­be­grün­der des Kün­st­lerIn­nen-Net­zw­erks Kun­st & Poli­tik; Sibylle Licht­en­steiger, Lei­t­erin des Stapfer­haus­es Lenzburg; Boris Nikitin, The­ater­ma­ch­er, Kura­tor und Raumde­sign­er; Dr. Thomas Pauli-Gabi, Leit­er der Abteilung Kul­tur des Kan­ton Aar­gau; Basil Rog­ger, Kul­tu­run­ternehmer; Andreas Ryser, Ver­anstal­ter, Musik­er und Labelbe­sitzer; Dr. Ben­no Schu­biger, Direk­tor der Sophie und Karl Bind­ing Stiftung; Andrea Thal, Lei­t­erin «Les Com­plices» Zürich; Prof. Dr. Mar­tin Trön­dle, Pro­fes­sor für Kul­turbe­trieb­slehre und Kun­st­forschung; Prof. Dr. Mar­tin Zim­per, Leit­er «Cast / Audio­vi­suelle Medi­en» an der ZHdK. All diese Fach­leute wur­den in Podi­ums­diskus­sio­nen geführt, das heisst, kaum jemand kon­nte eine län­gere Aus­führung zu einem The­ma machen. Das war die grosse ver­spielte Chance der Tagung, und auch etwas ent­täuschend.

Natür­lich heisst das jet­zt nicht, dass diese Tagung nicht die Zeit wert gewe­sen wäre. Im Gegen­teil. Nur: Wer Antworten erwartete, erhielt stattdessen Fra­gen mit auf den Weg. Und dies ist ja mal nicht schlecht. Es gab auch immer wieder Ein­würfe, die es festzuhal­ten galt. Nicht sehr auf­schlussre­ich waren mit Sicher­heit die «World­cafés» – eine beliebte Form von Diskus­sion­sin­ter­ak­tion an Tagun­gen – bei der die «Thesen/Prognosen» disku­tiert wur­den. Nicht unbe­d­ingt die effizien­teste Form, da diese Grup­pe­nar­beit­en oft wenig Tief­gang erlauben. So blieb die zweite Hälfte des Tages inhaltlich wesentlich dün­ner, ungreif­bar und ober­fläch­lich.

Sehr frag­würdig war an der Ver­anstal­tung, dass fast alle Red­ner­In­nen und auch viele Teil­nehmerIn­nen sel­ber an der SKM unter­richt­en, Gast­dozen­ten sind, dort studier(t)en oder aber son­st ver­ban­delt sind. So wurde der Tag zu ein­er Art Wer­beevent für das SKM, der so gar nicht nötig wäre. Sich­er ist das eine umset­zbare Vision für die Zukun­ft, die heute begin­nen kann.

Thesen/Prognosen
(SKM UNI Basel)

GELD UND GEIST (Rah­menbe­din­gun­gen und Finanzierungsmod­elle)

  • Kul­tur­förderung wird zu Kon­sum­förderung
    Her­leitung: Kul­tur­fi­nanzierung hat sich entwick­elt von der Förderung der Kul­tur­pro­duk­tion zur Förderung der Kul­tur­or­gan­i­sa­tion zur Förderung der Kul­turver­mit­tlung. Die fol­gerichtige Weit­er­en­twick­lung ist die Förderung des Kul­turkon­sums durch die Schaf­fung von Anreiz-sys­te­men. Auf der Kon­sumenten­seite wird nach­weis­bar hoher Kul­turkon­sum durch Steuer-rabat­te angekurbelt, auf der Anbi­eter­seite wer­den beson­ders pub­likums- und quoten­wirk­same Pro­jek­te belohnt.

 

  • Kul­tur­förderung wird zu Verkaufs­förderung
    Her­leitung: Der Kampf um die Aufmerk­samkeit dauert an. Die knapp­ste Ressource im Kul­tur-bere­ich ist wed­er das Geld noch der Raum, son­dern die Aufmerk­samkeit des Pub­likums. Der Gewinn des «War of Eye­balls» wird zur kosten- und zeit­in­ten­sivsten Arbeit im Kul­tur-man­age­ment. Mar­ket­ing- und Kom­mu­nika­tions­bud­gets binden zwei Drit­tel der gesproch­enen Gelder – auf Kosten der kul­turellen Inhalte.

 

  • Kul­tur­förderung wird zu Wirtschafts­förderung
    Her­leitung: Die Kul­tur­ak­teure kon­nten sich in den ver­gan­genen Jahren erfol­gre­ich neue Finanzierungsquellen erschliessen und greifen zunehmend auf Gelder aus den Bere­ichen Bil­dung, Inte­gra­tion, Wis­senschaft oder Touris­mus zu. Aber auch die Gegen­be­we­gung ist spür­bar: die wach­sende Inanspruch­nahme von Kul­turgeldern durch Poli­tik, Wirtschaft, Medi­en etc. Alles ist Kreativwirtschaft – alles ist Kul­tur – alles hat Anspruch auf Kul­tur-för­der­mit­tel – solange nur ein ökonomis­ch­er Nutzen her­beiar­gu­men­tiert wer­den kann.
  • Kul­tur­förderung beugt sich der Crowd
    Her­leitung: Crowd­fund­ing hat es gezeigt: Der Wun­sch nach der Kon­trolle darüber, wo «mein» Fördergeld hinge­ht, ist riesig. Gle­ichzeit­ig sinkt die Bere­itschaft, mit­tels Steuergeldern oder Spenden der Kul­tur finanzielle Mit­tel zur Ver­fü­gung zu stellen, über deren Ein­satz man nicht mitbes­tim­men kann. Sowohl die öffentliche wie auch die pri­vate Kul­tur­förderung ori­en­tieren sich in ihren Förder­entschei­den an der Per­for­mance, die Pro­jek­te auf öffentlichen Wahl-Plat­tfor­men erre­ichen. Ohne eigene Basis gibt es keine Fördergelder.

BROT UND SPIELE (Pro­gramm und Pub­likum)

  • Ziel­grup­pen dik­tieren die Pro­gramme
    Her­leitung: Auch im Kul­turbere­ich wer­den die Konsument/innen wäh­lerisch­er und untreuer, ihre Bedürfnisse indi­vidu­eller, ihr Kon­sumver­ständ­nis bre­it­er und offen­er. Die Konkur­renz beste­ht nicht aus anderen Kul­tur­ange­boten son­dern aus der gesamten Freizeit‑, Unter­hal­tungs- und Sinns­tiftungsin­dus­trie sowie den sozialen Net­zw­erken. Umso wichtiger wer­den die Cus­tomiza­tion und Kun­den­bindung. Die Anbi­eter reagieren mit indi­vidu­eller Kun­den-ansprache, mit mass­geschnei­derten Ange­boten, mit per­sön­lich­er Run­dum-Betreu­ung. Der Kul­turkon­sum­ber­ater wird wie der Anlage­ber­ater in der Bank zu ein­er neuen Dien­stleis­tung in der Ziel­grup­penpflege.

 

  • Das Pub­likum sucht Halt im Realen
    Her­leitung: Die all­seits ver­füg­bare «Cul­ture on demand» führt zu schwinden­den Besucherzahlen bei kon­ven­tionellen For­mat­en und zu zeit­ver­set­ztem Kon­sum, gle­ichzeit­ig aber auch zu ein­er Wieder­ent­deck­ung des Live-Erleb­niss­es. Dieses erhält als «leib­haftiges» Zusam­men­sein mit Künstler/innen und Pub­likum eine neue Bedeu­tung: Die Aura der Authen­tiz­ität wan­dert vom Werk/Künstler zum Akt der Begeg­nung im Real-World-Erleb­nis. Dadurch entste­hen neue Kul­tur-Rit­uale und neue Raum-Bedürfnisse.

 

  • Die Gren­zen zwis­chen Pro­duk­tion und
    Rezep­tion lösen sich auf
    Her­leitung: Trans­me­di­al­ität und Gam­i­fi­ca­tion führen zu neuen, auch par­tizipa­tiv­en Mod­ellen von Kul­tur­pro­duk­tion und Kul­turkon­sum. Pro­gramme und Inhalte wer­den durch­läs­sig und entwick­lungs­fähig – Vir­tu­al­ität und Real­ität ste­hen gle­ich­berechtigt nebeneinan­der – Kul­tur-kon­sumen­t/in­nen wer­den zu Co-Autor/in­nen und diese wiederum zu Co-Kon­sumen­t/in­nen. Kurz: Pro­duk­tion und Rezep­tion von Kul­tur fall­en ineinan­der.

 

  • Nur Nis­chenkul­tur bleibt über­lebens­fähig
    Her­leitung: «Mid­dle of the Road» ist vor­bei, denn der Main­stream taugt wed­er als Zuge­hörigkeit­sange­bot noch als Abgren­zungsmerk­mal. Es gibt eine unüberblick­bare Menge an «guter Kul­tur», und sie ist unendlich aus­d­if­feren­ziert. Es gibt zahllose elitäre und pop­uläre Ange­bote in ihren jew­eili­gen Nis­chen, die ver­schieden gross, aber nie dom­i­nant sind – allerd­ings sind sie unter­schiedlich exk­lu­siv und keineswegs alle allen zugänglich. Das Auf­spüren, Füllen und Bewer­ben dieser Nis­chen wird neue Haup­tauf­gabe der Kul­turbe­triebe – sie wer­den zu Nav­i­ga­tion­shil­fen im Kul­turd­schun­gel.

MILCH UND HONIG (Arbeitsmod­elle und Organ­i­sa­tion­sstruk­turen)

  • Die Zeit des Super­in­ten­dan­ten ist abge­laufen:
    Par­tizipa­tion ist das neue Zauber­wort
    Her­leitung: Die Zukun­ft gehört dem Kollek­tiv und dem kollek­tiv­en Arbeits­gedanken. Gewichtige insti­tu­tionelle Posi­tio­nen kön­nen nicht mehr von Einzel­nen beset­zt, entwick­elt und vertreten wer­den. Das Mod­ell des Super­in­ten­dan­ten, Meis­ter­denkers oder Leit-Dra­matur­gen ist an die Gren­zen sein­er Leis­tungs­fähigkeit gelangt und wird durch neue For­men des gemein­samen autorschaftlichen Arbeit­ens, Pro­gram­mierens und Entwick­elns abgelöst.

 

  • Kom­plizen­schaft und Konkur­renz gehen
    Hand in Hand: wer heute im Wet­tbe­werb
    ste­ht, arbeit­et mor­gen zusam­men
    Her­leitung: Kul­turelle Arbeit war schon immer Arbeit in kleinen, dezen­tral organ­isierten Ein­heit­en auf Zeit. Nur wer sich agil, örtlich und zeitlich unab­hängig und ohne Berührungs-äng­ste gegenüber kom­merziellen Pro­jek­ten in diesem Markt bewegt, kann der Prekarisierungs-Falle ent­ge­hen. Die Kul­tur­ak­teure ler­nen den Umgang mit der per­ma­nen­ten Sit­u­a­tion der Gle­ichzeit­igkeit von Konkur­renz und Koop­er­a­tion in stets wech­sel­nden Pro­jek­tkon­stel­la­tio­nen.

 

  • Der Kul­tur­man­ag­er wird zum Prozess­mana-
    ger: im Fokus ste­hen Prozesse, nicht Pro­duk­te
    Her­leitung: Das Selb­stver­ständ­nis der Kul­tur­man­ag­er hat sich entwick­elt vom Kul­tur-Ermöglich­er über den Kul­tur-Unternehmer zum Kul­tur-Gestal­ter. Kün­ftig ste­hen nicht mehr die Ergeb­nisse im Zen­trum, die Aufmerk­samkeit gilt den Wegen. Das Mod­erieren der par­tizipa­tiv­en Prozesse in der Kul­tur­ar­beit wird neb­st der kura­torischen Eigen­ständigkeit zu ein­er neuen Kernkom­pe­tenz.

 

  • Die Ama­teure erobern die Szene: ihre
    Unab­hängigkeit macht sie erfol­gre­ich
    Her­leitung: Weil sinns­tif­tende Arbeit ein rares Gut ist, wird Arbeit im kul­turellen Feld begehrter denn je. Das führt zu einem neuen Selb­stver­ständ­nis des kul­turellen Sel­ber­ma­chens: Ger­ade Kul­tur macht man um ihrer selb­st Willen gut, aus Liebe und Hingabe und aus Freude an der Sache. Das Geld kann man not­falls auch anders ver­di­enen – und sich den För­der­mech­a­nis­men entziehen. Diese Aufw­er­tung des Ama­teur-Sta­tus rollt den Pro­fes­sion­al­isierungs­diskurs im Kul­tur­man­age­ment neu auf.

Weit­ere Infor­ma­tio­nen:
kulturmanagement.unibas.ch
(Menüpunkt: Kul­tur­man­age­ment im Diskurs)

Foto: zVg.
ensuite, Juni/Juli 2014

 

Artikel online veröffentlicht: 10. April 2019