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Ingeborg Bachmann und Max Frisch: Grosse, unmögliche Liebe

By Stephanie Rebon­ati

Sie, eine der bedeu­tend­sten deutschsprachi­gen Lyrik­erin­nen und Prosaschrift­stel­lerin­nen des 20. Jahrhun­derts, und er, der mit “Andor­ra», “Stiller» und “Homo faber» Ein­gang in den Schulka­non gefun­den hat­te, waren einan­der von 1958 bis 1962 die wichtig­sten Per­so­n­en. Inge­borg Bach­mann und Max Frisch liebten und lit­ten, sie lebten zusam­men in Zürich und Rom, “vier Jahre, das ist lange für einen Sturzflug», sagte Frisch in ein­er Auf­nahme, die 2001, zehn Jahre nach seinem Tod, im Schweiz­er Fernse­hen aus­ges­trahlt wurde. Er denke oft an sie, träume von ihr, nicht ver­bun­den mit Schuldge­fühlen, son­dern mit Reue.

Die deutsche Schrift­stel­lerin Inge­borg Gle­ichauf erzählt in “Inge­borg Bach­mann und Max Frisch. Eine Liebe zwis­chen Intim­ität und Öffentlichkeit» die Geschichte ein­er so grossen wie unmöglichen Liebe, im Okto­ber dieses Jahres im Piper Ver­lag erschienen. Im Rah­men des Lit­er­atur­fes­ti­vals Zürich liest las Gle­ichauf in der Buch­hand­lung Zum Bücher­paradies im Seefeld. Die Autorin sagte: “Die Erben von Inge­borg Bach­mann sind überzeugt, dass Max Frisch sie in Rom umge­bracht hat.» Im Pub­likum raunte jemand: “Dummes Gschnurr, das bringt uns jet­zt ja auch nichts».

Der Lesung ging eine Stadt­führung mit Ger­man­ist Wal­ter Obgschlager, ein klein­er Mann mit war­men Augen und wip­pen­der Gan­gart, voran, er leit­ete während 27 Jahren das Max Frisch Archiv an der ETH Zürich. Den ersten Halt machte die bunte Gruppe – kahlgeschoren­er Mann mit Son­nen­brille und Kinder­wa­gen, Stu­dentin mit Notizheft und Led­er­ruck­sack, Paar mit Horn­brille, Chi­no­hose und Tweed­sakko – an der Kirch­gasse 33, wenige Gehminuten vom Kun­sthaus ent­fer­nt. Hier lebte Got­tfried Keller, 1861 bis 1875 als Staatss­chreiber. Wie die Bach­mann aber im Okto­ber 1959 an diese Woh­nung herangekom­men sei, wisse er also wirk­lich nicht, sagte Obschlager lachend. Die Traube um ihn herum lachte mit.

“Jöh!» und “Ah!»

Nach der Kirch­gasse der Heim­platz, “von dem die meis­ten Zürcher nicht wis­sen, dass er so heisst, alle nen­nen ihn Pfauen», sagte Obschlager. Leute beklagten sich, dass er zu leise spreche, er forderte sie auf, näher her­anzurück­en. Ein Raunen ging durch die Menge, “unmöglich ist das, eine Stadt­führung ohne Mikro­fon». Obschlager erk­lärte, dass der Heim­platz dem Deutschen Ignaz Heim gewid­met sei, dieser zog 1850 nach Zürich, leit­ete Gesangsvere­ine und dirigierte Kirchenchöre, “er kam hier­her, als die Schweiz noch poli­tis­che Flüchtlinge auf­nahm», sagte der Stadt­führer lachend. Die Traube ver­zog keine Miene. Obschlager hat­te mehr Erfolg mit der näch­sten Anek­dote: Der Heim­platz wurde früher Schatz­platz genan­nt, weil er zwis­chen dem Knaben- und dem Mäd­chengym­na­si­um lag. Die Gruppe sagte “Jöh!» und “Ah!».

Eine Frau mit rotem Haar und roten Lip­pen, bei ihrem Part­ner am Arm einge­hängt, sagte diesem: “In Oer­likon wird ja der Max-Frisch-Platz gebaut, warum die alle dort draussen sind, Sophie-Täu­ber-Strasse, Max-Bill-Platz, weiss ja auch nie­mand.» Der Mann antwortete mit “shhh». Obschlager gab der Gruppe erneut Anlass zur Empörung, mit dem Bus ging es an den Heg­ibach­platz. “Und wenn man kein Bil­lett hat?», fragte jemand und wurde ignori­ert. Drei Minuten vom Heg­ibach­platz ent­fer­nt, an der Heliosstrasse 31, wurde Max Frisch geboren, “auf der Frauen­seite». Die Hau­se­ingänge der Num­mern 31 und 33 liegen direkt nebeneinan­der, über der 31 ein weib­lich­er Steinkopf, daneben ein männlich­er. Wal­ter Obschlager las aus Frisch’ Rede, die er 1974 im “ram­melvollen» Schaus­piel­haus, “das kann man sich heutzu­tage ja gar nicht mehr vorstellen!», anlässlich der Ver­lei­hung des Schiller­preis­es gab. Damals, am 12. Jan­u­ar 1974, sagte Max Frisch: “Eine Ehrung aus der Heimat, und so sehe ich diesen Anlass, weckt vor allem die Frage, was eigentlich unter Heimat zu ver­ste­hen ist.» Obschlager zitierte den Anfang der Rede: “Liebe Land­sleute, ich bin an der Heliosstrasse geboren, Quarti­er als Heimat». Der Traube gefiel das.

An der Feldeg­gstrasse 21, vor einem blass hell­blauen Haus, blieb die Gruppe zum let­zten Mal ste­hen. Dies war Inge­borg Bach­manns erstes Zuhause in Zürich. Nach­dem sie und Max Frisch sich in Paris ken­nen­gel­ernt hat­ten, er war damals noch ver­heiratet, sie eben getren­nt vom Lyrik­er Paul Celan, organ­isierte er diese Woh­nung für sie – im Haus von Got­tfried Honeg­gers Vater. Lange blieb sie nicht, “rasch ver­stösst sie gegen die Zürcher Sit­ten», würde Inge­borg Gle­ichauf eine Vier­tel­stunde später in der Buch­hand­lung Zum Bücher­paradies vor­lesen.

Mit Ernst bei der Sache

Gle­ichauf wählte eine frag­würdi­ge Stelle aus ihrem Buch. Klar, es machte Sinn einen Bezug zu Zürich herzustellen, da die Traube, die vorher eine Stunde durch Zürich gelaufen war, nun in ein­er Zürcher Buch­hand­lung sass. Die Autorin las über “die man­gel­nde Erre­gungs­fähigkeit des Zürcher The­ater­pub­likums» und über “staubge­saugte Wiesen und polierte Berge». Inge­borg Bach­mann mochte Zürich nicht, gewiss. Gle­ichauf las: “Für seinen Heimat- und Sehn­sucht­sort hat Frischs Geliebte kein gutes Wort übrig» oder “Man sei mit Ernst bei der Sache in der Schweiz, gelacht werde nicht sehr viel».

Dem Zürcher Pub­likum gefiel das nicht. Eine Frau schüt­telte den Kopf, “diese Deutschen wieder» und ein Mann eine Rei­he hin­ter ihr sagte “shhh». Die grosse, unmögliche Liebe zwis­chen Inge­borg Bach­mann und Max Frisch spürte man an diesem Tag nicht. Vielle­icht auch, weil man nicht wirk­lich viel über sie weiss, schliesslich gibt es keine gemein­samen Fotos, in der Öffentlichkeit trat­en sie sel­ten gemein­sam auf, vielmehr wird über die Beziehung spekuliert, in Werken der bei­den nach Hin­weisen gesucht. Sie waren von 1958 bis 1962 einan­der die wichtig­sten Per­so­n­en, gewiss, denn auch danach haben sie nicht aufge­hört, sich in ihren Werken aufeinan­der zu beziehen. Der Briefwech­sel zwis­chen Inge­borg Bach­mann und Max Frisch ist allerd­ings ges­per­rt, solange sich die Rechtein­hab­er, das sind die Bach­mann-Erben und die Max Frisch Stiftung, nicht über eine Veröf­fentlichung eini­gen kön­nen. Erst eine Briefedi­tion wird über diese Liebe Auf­schluss geben.

“Inge­borg Bach­mann und Max Frisch. Eine Liebe zwis­chen Intim­ität und Öffentlichkeit», Inge­borg Gle­ichauf, Piper Ver­lag, Okto­ber 2013.

: http://www.kulturkritik.ch/2013/auf-den-spuren-von-ingeborg-bachmann-max-frisch/