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Irgendwie politisch sein

Von Fabi­enne Naegeli – Weltalm mit «Balka­n­musik» von Daniel Mezger:  «Schreib doch mal was Poli­tis­ches. Weisst du, so ein welthaltiges Stück über die wirk­lich wichti­gen, grossen The­men des Lebens wie Liebe, Krieg, Tod oder Rev­o­lu­tion.» Solche Forderun­gen an Autoren ken­nt auch Daniel Mezger. «Balka­n­musik» ist die Antwort des Dra­matik­ers, Musik­ers und Schaus­piel­ers darauf. Uraufge­führt zu Beginn dieses Jahres am Staat­sthe­ater Mainz fol­gt nun in Zusam­me­nar­beit mit Manuel Bür­gin und der vor allem durch Kinder- und Jugendthe­ater bekan­nten Gruppe «Weltalm» die Schweiz­er Erstauf­führung von «Balka­n­musik». So ver­heis­sungsvoll und klis­chee­be­laden der Titel klingt, das Stück han­delt nicht vom Balkan, son­dern von uns Wes­teu­ropäern, unserem Selb­st­bild, unseren Wün­schen und Sehn­sücht­en. Der Balkan dient in der Komödie als Pro­jek­tions­fläche, als eine uns eher unbekan­nte, von Kon­flik­ten und Krisen zer­rüt­tete Region im Südosten Europas. Drei junge, poli­tisch inter­essierte, erfol­glose Musik­er – der Schlagzeuger Robert, Niklas, der Gitar­rist, sowie der Band­leader, Bassist und Sänger Moritz – alle im Alter zwis­chen Mitte 20 und Mitte 30 Jahren reisen nach Ex-Jugoslaw­ien, um auf einem Fes­ti­val aufzutreten. Auf­grund der anges­pan­nten poli­tis­chen Sit­u­a­tion wurde das Fes­ti­val jedoch bere­its abge­sagt, was die Band erst vor Ort von Istvàn erfährt. Der bald 45-Jährige, der Wirtschaft in St. Gallen studierte und zur neuen Gen­er­a­tion der osteu­ropäis­chen Elite gehört, nimmt die Musik­er in sein Dorf mit, das sich sehr bald als gefährlich­es Rebel­len­camp her­ausstellt. Die Rebellen, deren Anführer Istvàn ist, wollen die Regierung stürzen, die einzel­nen Staat­en des Balka­ns wieder zusam­men­fü­gen, den Kom­mu­nis­mus ein­führen sowie den Kap­i­tal­is­mus und die Glob­al­isierung abschaf­fen, wenn nötig durch Gewalt und Krieg. Die drei Jungs, welche sich als berühmte Band aus­geben, wer­den von den Rebellen für ihre Zwecke instru­men­tal­isiert. Bevor sie abreisen kön­nen wer­den sie gezwun­gen dem Frei­heit­skampf der Rev­o­lu­tionäre eine Hymne zu schreiben, die sie beim grossen Dorffest spie­len sollen. Der All­t­ag im Rebel­len­camp bietet der Band, die sich am Auflösen ist und deren Balka­n­reise einen let­zter Ret­tungsver­such darstellt, viel Rei­bungs­fläche, wodurch sie auf sich selb­st zurück­ge­wor­fen wer­den. Sie wollen mit ihrer Musik gegen das west­liche Sys­tem ansin­gen und auch so eine Art Rebellen sein. Sie sind antikap­i­tal­is­tisch eingestellt und irgend­wie gegen die Glob­al­isierung. Sie möcht­en gerne etwas sagen mit ihrer Musik, haben den Wun­sch poli­tisch etwas zu bewe­gen, einzuste­hen für «echte», bedeut­same Anliegen, doch haben sie bish­er keine plaka­tiv­en Aus­sagen gefun­den und auch eine klare Mei­n­ung fehlt ihnen. Ihr dif­feren­ziertes Denken, die X‑tausend, aus­tauschbaren Optio­nen und sich rel­a­tivieren­den Diskurse hal­ten sie gefan­gen auf ihrer Suche nach etwas Authen­tis­chem, nach Sinn, Inhal­ten und dem «echt­en» Leben. In der über­raschen­den Kon­fronta­tion mit der realen Rev­o­lu­tion­ssi­t­u­a­tion und den Kamp­fansagen der Rebellen wer­den die pseu­do-radikalen Hal­tun­gen und Wohl­stand­sprob­leme der Wohlfühlrev­oluzzer aus der über­be­hüteten Welt hart auf die Probe gestellt. Sie müssen sich posi­tion­ieren und erken­nen die Schwierigkeit Entschei­dun­gen über Fre­und- oder Feind­schaft, Gut oder Böse zu tre­f­fen. Ein­er der Jungs, der ein wenig naiv immer ein guter Men­sch sein will, wird dadurch radikalisiert. Der Zyniker der Band lehnt die Rebellen ab und set­zt sich aktiv gegen sie zur Wehr, was schlimme Fol­gen für ihn hat. Und der Ide­ologe der drei find­et ein zu Hause bei den Rebellen, fasziniert von deren konkreten Zie­len. Die Tochter des Rebel­len­führers, Mir­jana, nimmt er dabei sehr gerne an. Die kleine Loli­ta mit ihrem antiquierten Deutsch will weg vom Krieg und ihrem despo­tis­chen Vater. Sie träumt von einem Deutsch­land zu Goethes Zeit­en und möchte deshalb nach Weimar, wozu ihr viele Mit­tel recht sind. Nach aussen hin naiv wirk­end manip­uliert sie die Jungs und spin­nt geschickt Intri­gen, um zu fliehen. Eben­so wie Mir­jana ihr Deutsch­land fan­tasiert, reden sich die drei Musik­er in ihrer selt­sam roman­tisieren­den Sehn­sucht nach Versehrtheit und «echt­en» Prob­le­men den Balkan her­bei. Alle nutzen sie fremde Ide­ale, um Aus­brüche aus ihrer Real­ität zu ver­suchen. Im Spiel mit erdacht­en Orten, Vorstel­lun­gen des Frem­den und ver­schiede­nen Wirk­lichkeit­en the­ma­tisiert «Balka­n­musik» den Wun­sch, in unser­er heuti­gen Gesellschaft ein poli­tis­ch­er Men­sch zu sein, und lässt seine Fig­uren sich auf sprach­musikalis­che Weise in den Osten spie­len – dabei dür­fen die oblig­at­en Balkan­beats natür­lich nicht fehlen.

Foto: zVg.
ensuite, Dezem­ber 2011

 

Artikel online veröffentlicht: 6. März 2019