Von François Lilienfeld — Die aus Esslingen stammende Geigerin Isabelle Faust hat ihre Karriere nicht auf Glamour, Glanz und Gloria aufgebaut, sondern mit Sorgfalt und einem soliden musikwissenschaftlichen Fundament. Auch die prestigeträchtigen Wettbewerbssiege und Nominierungen (Paganini-Wettberwerb Genua 1993, Gramophone Young Artist of the Year 1997 u. a.) haben sie zum Glück nicht von ihrem Weg abgebracht. Bevor sie ein Werk spielt, beschäftigt sie sich intensiv mit seiner Entstehung und der Geschichte seiner Interpretation. Genaues Quellenstudium verleiht ihren Darbietungen Authentizität, oft auch überraschende Aspekte.
Dies wird besonders deutlich auf einer CD, die zwei Werken von Brahms gewidmet ist: Dem Violinkonzert und dem Streichsextett Nr. 2. Schon diese Zusammenstellung ist typisch für eine Künstlerin, der Orchesterwerke ebenso am Herzen liegen wie Kammermusik.
Das 2. Brahms-Sextett ist äußerst schwierig zu spielen: Ständige rhythmische Veränderungen, komplexe Harmonien und Stimmführungen, und eine oft vorherrschende mysteriös-melancholische Stimmung stellen die Interpreten vor knifflige Aufgaben und waren wohl auch für den Misserfolg bei der Uraufführung in Wien verantwortlich (1867). Inzwischen gehört das Stück zum Stammrepertoire und kann, zumal wenn es so großartig gespielt wird wie auf dieser CD, mit begeistertem Publikumszuspruch rechnen. Isabelle Faust und Julia-Maria Kretz (Geigen), Stefan Fehlandt und Pauline Sachse (Bratschen) sowie Christoph Richter und Xenia Jankovic (Celli) betonen das Nachdenkliche dieser Musik; dadurch erhalten die forscheren Stellen, insbesondere das rustikale Trio im Scherzo, eine noch stärkere Wirkung.
Wer das Brahms-Konzert spielen will, muss sich mit seinem Widmungsträger Joseph Joachim (1831–1907) beschäftigen. Isabelle Faust hat das intensiv getan und schreibt darüber sehr interessant im Beiheft. Sie spielt das Stück mit nie erlahmender Spannung, einem unglaublich breiten Dynamikspektrum und einem gezielt (!) eingesetzten Vibrato, das weder falsche Sentimentalität noch «weißen» Klang kennt. Das rasant gespielte Finale versetzt den Hörer in atemlose Bewunderung.
Auf dieser Aufnahme kann man die faszinierende Kadenz von Ferrucio Busoni hören, die neben der Solostimme eine Paukenpartie enthält (wie die Originalkadenz Beethovens zur Klavierversion seines Violinkonzertes!). Kurz vor Ende der Kadenz setzen auch Streicherstimmen ein; eine originelle und überzeugende Kuriosität!
Das Mahler Chamber Orchestra unter dem differenziert leitenden Daniel Harding erweist sich als idealer, aufmerksam mitgehender Partner, was in diesem mehr symphonischen als konzertanten Stück besonders willkommen ist. Die relativ kleine Anzahl Streicher (zehn erste Geigen) ermöglicht einen sehr transparenten Klang, der Brahmsens genialer Instrumentationskunst besonders gerecht wird.
Ebenso trefflich unterstützt wird Isabelle Faust vom Orchestra Mozart unter Claudio Abbado auf einer CD, welche die Konzerte von Beethoven und Berg enthält. Auch dieses Programm entspricht einem Credo der Künstlerin – dem Brückenschlag über die Jahrhunderte: Ihr Repertoire umfasst die Zeit vom Barock bis zur Gegenwart.
Was für Brahms gilt, wird auch im Beethoven-Konzert deutlich: Eine durchdachte Interpretation, geprägt von klanglichem Reichtum und musikalischer Intelligenz.
Das Violinkonzert von Alban Berg, gewidmet «dem Andenken eines Engels», ist wohl das populärste Stück der Zweiten Wiener Schule. Die Widmung gilt der erst 18-jährig verstorbenen Manon Gropius, der Berg in tiefer Zuneigung verbunden war.
In diesem Stück wird Bergs Suche nach einer melodisch und gar tonal gefärbten Zwölftonmusik besonders spürbar. Die zugrunde liegende Reihe besteht aus Terzschritten und einem Bach-Choral-Zitat … Auffallend auch im ersten Satz das kurze Auftauchen einer Kärntner Volksmelodie, im zweiten das bereits erwähnte Choralmotiv in Bachs Harmonisierung. Die sanfte, meditative Interpretation von Isabelle Faust und Claudio Abbado betont das romantische Element, außer natürlich im schmerzlichen Ausbruch Mitte des zweiten Satzes.
Weitab vom Standardrepertoire bewegt sich eine Carl Maria von Weber gewidmete CD: Als 6 Sonates progressives pour le Piano-Forte avec Violon obligé, composées et dédiées aux amateurs ist Webers op. 10 betitelt. Danach könnte man ein zwar pädagogisch wertvolles, für den Zuhörer jedoch nicht besonders fesselndes Werk erwarten. Weit gefehlt! Diese kammermusikalischen Miniaturen sind unterhaltsam, melodisch und abwechslungsreich; so findet man etwa ein Air Russe, ein Carratere Espagnolo, ein Air Polonais oder ein Thema aus Webers Oper Silvana. Außerdem enthält die CD ein Klavierquartett, dessen Bekanntschaft man mit großer Freude macht! Auch hier lässt die Interpretation keinen Wunsch offen (Isabelle Faust, Geige; Alexander Melnikov, Fortepiano; Boris Faust, Bratsche; Wolfgang Emanuel Schmidt, Violoncello).
Konzerte von Beethoven und Berg:
harmonia mundi HMC 902 105
Konzert und Sextett von Brahms:
harmonia mundi HMC 902 075
Kammermusik von Weber:
harmonia mundi HMC 902 108
Foto: zVg.
ensuite, Mai 2013