Januar: Was ist “Wealth”?
Die Chefredaktorin des NZZ-Magazins erzählt auf Ende Jahr locker, wie ihre Großeltern einen ungerahmten Picasso im Schrank vergessen, ein Bild der amerikanischen Künstlerin Eva Hesse gratis bei einem Atelier untergestellt, und das ganze Haus voller Kunst gestopft war. Ich dachte mir nur: Tja. Journalismus und Kunst können sich nur noch Betuchte leisten. 2024 war das Jahr als alle Freien merkten: In den Medien wird nur reich, der schon mit einem Vermögen gestartet ist. Die Schweiz ist einfach reich. Dies begann schon mit den Söldnern, die von der Obrigkeit für teures Geld den Fürsten aller Welt überlassen wurden; und, nach Tod auf dem Schlachtfeld, den Obrigen eine Pension sowie ein paar Kilo schöne Seifen (aus dem Körperfett der Soldaten gewonnen) hinterliessen. Dies unter der Rubrik von “Stories, die ich noch nie publizieren konnte.” Mein Kulturjahr beginnt ja bestens, nicht wahr? Im Januar 2024 vermeldete die NZZ am Sonntag noch, dass sich der Kokainkonsum in den letzten zehn Jahren verdoppelt hat. Sammelten die Grosseltern der neuen Chefin NZZ-Magazin also noch Kunst, verpufft das viele Geld künftiger Grosseltern wohl eher in den zarten Näschen der Zürcher Schickeria. Schade eigentlich. Denn unter der Rubrik “Kulturtechnik” verbuche ich das Vergessen eines ungerahmten Picasso im Schrank als für uns alle gewinnbringender als die mit Kokain angereicherten Trinkwasserreserven rund um Zürich.
Foto von laStaempfli auf einem Trip in die Berge, irgendwo in einem Restaurant, das dies als Kunst aufhängte: Detailansicht.
Februar: Von Moskau nach Teheran zu Judith Butler
Der Oppositionsführer und Putinkritiker Alexei Nawalny hat sein politisches Engagement mit dem Leben bezahlt. Er wurde in einem der schlimmsten Straflager Russlands ermordet. “Mit Maschinenpistolen, warmen Fäustlingen und Filzstiefeln. Und mit schönen, flauschigen Schäferhunden” schrieb er ein paar Wochen vor seinem schrecklichen Ende. Dank unfähiger Medien und öffentlich-rechtlicher Institutionen im Westen wird Nawalny 2024 ebenso schnell vergessen wie die tapferen Iranerinnen im Kampf gegen die islamistischen Gotteskrieger in ihrer Regierung. Mullahs, die übrigens von der feministischen Aussenministerin Annalena Baerbock eifrig hofiert werden: Deutschland hat seine Iran-Deals in der Ampel-Amtszeit vervielfacht. Ist doch schön zu wissen, woher das Geld und die Waffen stammen, mit welchem die Mullahs Israel beschiessen und ihre terroristischen Proxis bezahlen!
Frauen von “Frau, Leben, Freiheit” werden in Teheran täglich gefoltert, vergewaltigt und sterben in den Kerkern der Islamisten während in unseren westlichen Grossstädten durchgeknallte Gendertheoretikerinnen in Basel als “Queer for Hamas” durch die Strassen ziehen und Jüdinnen und Juden bedrohen. Nur dank X – der den Woken verhasste Elon Musk-Plattform ist zu verdanken, dass wir wenigstens ab und zu davon erfahren. “Die Grenze zwischen Gut und Böse verläuft nicht zwischen Staaten, nicht zwischen Klassen, nicht zwischen Parteien – sie verläuft quer durch jedes menschliche Herz” meint Alexander Solschenizyn im “Archipel Gulag” – ein Buch, das die Genossen ebenso hassen wie die Genossinnen die antisemitische Judith Butler lieben. Die meint übrigens, dass Freiheit für Frauen völlig überschätzt sei und im Kampf gegen Unterdrückung und Kapitalismus die Massenvergewaltigung von Israelinnen durchaus gerechtfertigt sei. Judith Butler wird weiterhin an allen Schweizer Universitäten so gelehrt wie 1933 bis 1945 “Mein Kampf” von Adolf Hitler Schullektüre war. Krass? Nicht krass genug! Mein Gedicht: “Ihr wollt die Fahnen schwingen –
für eine Sache, die ihr nicht versteht? Ihr seid blind für das Leid der Unschuldigen, sprecht von Befreiung und sät Gewalt! Seht Ihr nicht, dass Ihr flicht den islamistisch-totalitären Totenkranz?” ist von Kurt Tucholskys “Sie wollen den Bürgerkrieg entfachen — (das sollten die Kommunisten mal machen!) daß der Nazi dir einen Totenkranz flicht -; Deutschland, siehst du das nicht -?” inspiriert. Tja. Die Nazis haben noch nie gemerkt, dass sie Nazis sind, sondern waren immer davon überzeugt, die wirklich Guten zu sein; hier ein Insidergruss an M.R.
Foto von laStaempfli von Mary Hassanpour anlässlich einer Ausstellung im Februar in Wien. Detailansicht.
März: Europäische Mütter der Urzeit
Stellen wir uns vor, eine, nur aus Männern bestehende Gruppe unternimmt eine lange Wanderbewegung durch verschiedene geografische Regionen und trifft auf ihrem Migrationszug auf sesshafte Völker, in denen Frauen das Sagen haben. Die Variante, dass die Männerhorden die Männchen ermorden, den Nachwuchs töten, die Frauen vergewaltigen, unterwerfen und selber mit ihnen sesshaft werden, liegt ziemlich nahe. Willkommen in der neueren Steinzeitforschung!
Es beginnt – wie immer – bei einer Frau. Die “Venus von Willendorf” ist ein Rätsel, eine umwerfend schön geformte Figur, angenehm fett und für ihre über 30.000 Jahre sehr gut erhalten. Sie wohnt in Wien, im Naturhistorischen Museum, ist viel kleiner als erwartet und hat mittlerweile viele Schwestern der europäischen Eiszeit. Sie war lange DIE Ikone der Kunstgeschichte und Archäologie. Sie wurde mal als pornografisches Objekt, mal als Muttergöttin, mal als Meisterin des Textilhandwerks gedeutet. Gebaut ist sie aus Sandstein vom Gardasee, entdeckt wurde sie 1908 von einem Bauarbeiter beim Bau der Donau-Uferbahn in der Wachau. Sie ist Ausgangspunkt neuer Geschichtsschreibung, die von Karin Bojs “Mütter Europas. Die letzten 43000 Jahre” sowie Lluis Quintana-Murci “Die grosse Odysee. Wie sich die Menschheit über die Erde verbreitet hat”, neu verhandelt wird.
Beide erzählen davon, wie sich die Migration der Urzeit bei Männern und Frauen völlig anders manifestiert und auswirkt. Ein Befund, den die Sprachwissenschaftlerin und Archäologin Marija Gimbutas (1921–1994) schon in den 1940er Jahren festhielt. Sie belegte mit den Artefakten und Sprachentwicklungen der Urzeit, ein “Alteuropa” mit matrilinearer Kultur und indogermanischen Migrationswellen, die eine stark patriarchale Kultur mit sich trugen. 2018, auf einer Tagung in Uppsala, entschuldigte sich der legendäre Colin Renfrew, Archäologe aus Cambridge – er war damals schon über achtzig Jahre alt – bei seinen Kollegen und leistete Marija Gimbutas Abbitte. “Certainly I was wrong”, meinte er bedauernd, aber in einer Größe, die den meisten Wissenschaftlern heutzutage leider abgeht.
Dass altertümliche Migration, matrifokale Kulturen und das daraus resultierende menschliche Mischmasch in der Archäologie ausgeblendet wurde, hatte zutiefst ideologische Gründe. Zunächst mochten die Nationalisten die Idee, dass ihre Kultur auf Migranten zurückgehe, überhaupt nicht. Dann wiederum verabscheuten postkoloniale Historiker die These der vergewaltigenden Männerhorden aus dem Osten. Weiter fanden “diverse” Historikerinnen, dass es in Europa nie matriarchale Kulturen gegeben haben könnte, diese seien natürlicherweise “indigenen” Stämmen vorbehalten.
Die Biologie spricht nun ein strenges Machtwort gegen diese Ideologien von links bis rechts. Gene pflegen nämlich nicht zu lügen. DNA-Analysen zeigen: Steinzeitfrauen haben andere Gene als Steinzeitmänner. Und die gefundenen Artefakte passen in diese unterschiedliche Frau-Mann-Schemata, die sich ausserdem als rituelle Unterschiede von Göttinnen-Kult und Phallus-Kult unterscheiden lassen.
Womit wir wieder bei der Venus von Willendorf wären. Nach neuerer Forschung ist sie deshalb alles andere als eine Pornovorlage für Steinzeitmänner. Sie passt zum Furchtbarkeitskult innerhalb matrilinearen Gemeinschaften, die von den indogermanischen Migrationsströmen überfallen, unterworfen und in patrifokale Gesellschaften umgebaut wurden. “Ein Teil der neuen Forschungsergebnisse deutet darauf hin, dass die indoeuropäische Einwanderungswelle tatsächlich eine Kultur mit sich brachte, die stark auf Väter und väterliche Linien ausgerichtet sind.” Die Klassikerinnen unter uns wussten dies schon längst. Denn der Mythos “Raub der Sabinerinnen” scheint viel der urzeitlichen Gesellschaftsformen zu erklären.
Genomik und Populationsgenetik beweisen nun die urmenschlichen Fabeln von Migration, Vergewaltigung und Unterwerfung in der Urzeit. Die Frage: “Woher kommen wir?” wird im Hinblick auf “Wohin gehen wir?” aber immer noch ideologisch verhandelt – Technik, Gene und Geschichtsschreibung hin oder her. Die Diversität der Genome erklärt uns nicht nur, welche Gene und daraus folgende Artefakte sich durchsetzen, sondern stellt uns Neuzeitler auch vor die Frage, welche Diversität und Artefakte wir als Menschen auch wollen. Gerade als Frauen, die in der Archäologie erstaunlicherweise noch so genannt werden dürfen, was für die Frauen in der Französischen Revolution nicht mehr gilt – die müssen jetzt ein Sternchen tragen, um überhaupt noch zitiert zu werden – also gerade als Frauen, kann es nicht egal sein, wer uns welche Artefakte zerstört, die Liebsten inklusive Nachwuchs ermordet, und eine neue patriarchale Linie beginnt, die jede matrifokale Kulturen, pardon, Horizonte ( so heißen Kulturen auf archäologisch) auslöscht. Bisher haben Nazis, Ultranationalisten, Sowjetkommunisten, Maoisten, Islamisten, Hinduisten die Geschichte lange auf ihre Art und Weise zurechtgebogen, um ihre Männerbünde, Todesmystik und Klassenideologie für ewig gültig zu erklären. Jetzt sind es postmoderne Märchenerzählerinnen, die uns weismachen wollen, dass Kulturen mit Frauenfokus, “terfige” Werke seien, die die Rechte von steinzeitlichen Transmenschen diskriminieren.
Karin Bojs räumt mit “Mütter Europas. Die letzten 43.000 Jahre” flankiert vom Biologen Lluis Quintana-Murcis “Die grosse Odyssee”, mit all diesen vergangenen und zeitgenössischen Lügengebäuden auf. Beide erzählen von einer menschlichen Vielfalt, die sich sehr stark und mächtig, entlang der bestehenden Geschlechter und viel zu oft durch männliche Gewalt, durchmischt hat. Die Geschichte der Männer unterscheidet sich biologisch und kulturell massiv von der Geschichte der Frauen. Zumindest was das Urzeit der Menschheit betrifft. Ideologisch zielen beide Bücher darauf hin, die Vielfalt als Fortschritt zu interpretieren, wobei Karin Bojs aber den Preis, den dabei die Urfrauen zu zahlen hatten, durchaus kritisch erwähnt.
- Karin Bojs, Mütter Europas. Die letzten 43.000 Jahre.
- Lluis Quintana-Murci. Die grosse Odyssee. Wie sich die Menschheit über die Erde verbreitet hat.
Beide C.H. Beck Verlag.
Bild stammt von laStaempfli direkt aus dem Naturhistorischen in Wien und der Text wurde im März in der Weltwoche in der Literaturbeilage abgedruckt.
April: Danielle Pamp und ihre Kunst
“Diva in Quarantine 2020”, war das Aushängeplakat zur Ausstellung im Künstlerhaus in Wien. Die visionäre zeitgenössische Künstlerin, bekannt für ihre atemberaubende Porträts, fängt die Tiefe und Komplexität menschlicher Emotionen. Ihre Werke verbinden klassische Techniken mit einer modernen Perspektive und schaffen so Kunstwerke, die tief berühren. Kürzlich hatte sie eine viel beachtete Ausstellung im Künstlerhaus in Wien, die ihre Bedeutung in der Kunstwelt weiter untermauerte. Pamps Kunst überschreitet Grenzen und bietet eine frische und eindringliche Stimme in der zeitgenössischen Porträtmalerei.
Danielle Pamp ist eine meiner besten Freundinnen aus Wien, she is just a Star! Es gibt glücklicherweise zu “Danielle’s World” einen genialen ARTE-Film von Michael Gebendorfer.
Foto von laStaempfli, ein Selfie von Regula Stämpfli und der Künstlerin Danielle Pamp in Stockholm
Mai: Bonjour Wien – Adieu Vienna.
“Wien ist eine Stadt, die man erst lieben lernen muss, und wenn man sie dann liebt, liebt man sie wie keine andere.” Dieses Zitat von Joseph Roth verbindet mich und Wien als ChronistInnen des Untergangs, der Beobachtung von Zeit, Politik und Menschen. Mit Werken wie “Radetzkymarsch” und “Hiob” schuf er literarische Meisterwerke, die Verlust, Identität und Heimatlosigkeit thematisieren – Themen, die auch heute hochaktuell sind. Als jüdischer Schriftsteller im Exil erlebte er den Aufstieg des Nationalsozialismus und starb 1939 verarmt in Paris, ein Symbol für das Vergessen, das viele seiner Zeitgenossen traf. Roths poetische, präzise Sprache und sein Blick für gesellschaftliche Brüche begleiten mich auch im Abschied von Wien – in diesem Kulturjahr, das mich heimatlos gemacht hat. Wien war immer meine neue Heimat, meine Ferien, meine Auszeit, meine Freundin – ich hab nie in Wien gearbeitet, sondern immer nur gelebt. Doch wie meinte ein bekannter französischer Autor: “l‘ amour dure trois ans” – wie in Roths Panoptikum reise ich weiter und hoffe doch sehr, nicht in einer Stadt zu landen, in der alles nur nach “Kohl” riecht.
Foto: Selfie von laStaempfli im Lieblingsanzug, irgendwo in Wien.
Juni: Heute besonders günstiges Frauenfleisch.
Heute besonders günstig: Frauenfleisch. Ein verführerisches Kiloangebot. Ich liebe diesen Essay im ENSUITE – es geht um Gemini und dessen woke Programmierung, die auf die Frage nach einem SS-Soldaten 1943 diese sexy Asiatin in Naziuniform zeigt. KI bleibt unverstanden. Sie ist nicht Intelligenz, doch Wissenstool von unerreichbaren Datensätzen, die sich die Welt so imaginieren, wie die gefütterten Daten dies gestalten. Seit Jahren ist meine Warnung nicht, dass Menschen wie Maschinen werden, sondern sich die Menschen wie Maschinen benehmen, sich deren Datensätzen anpassen und aufgrund codierter Narrativen die Welt gestalten. Im Mai war meine letzte Hannah-Arendt-Lecture, die ich an der HSG initiiert habe – Israel, Grossbritannien und die USA warten schon auf die gleichnamige Serie im nächsten Jahr. Die NZZ am Sonntag berichtete am 23.6. 2024 über “Nvidia” als “wertvollstes Unternehmen der Welt”, eine Firma, die mit KI viel mehr kann als Halbleiter herstellen, in einem Schweizer Forschungszentrum, wo mehr als 200 Personen arbeiten. Leider wurde das Thema nicht weiterverfolgt, wie so oft in den Medien heutzutage. So hören wir nichts davon, dass Microsoft eventuell eine Nuklearanlage für die KI plant oder auch Chat GPT. Eine Anfrage auf Chat GPT kostet fünfmal soviel wie eine Anfrage auf Google – elektrotechnisch gesprochen. Wir bleiben dran: Computing und Simulation bleiben für laStaempfli als Expertin für die Bertelsmann-Stiftung aktuell.
Juli: Islamistische Barbaren avant la lettre
Ich habe die Islamistischen Barbaren erlebt. Damals waren es die Revolutionären Garden der Französischen Revolution, die eine der wichtigsten Städe des Mittelalters in die Luft gejagt haben. Haben Sie schon mal von Cluny gehört? Nicht? Dabei war Cluny für Europa fast ebenso wichtig wie das untergegangene Römische Reich, dessen Kunst und Kultur von den neuen christlichen Herrschern ebenso vernichtet wurden wie ein paar Jahrhunderte später die Bauwerke der Christen. Ikonoklastik nennt man dies: Die Zerstörung wichtiger zivilisatorischer Errungenschaften alter durch neue Herrscher.
Cluny, diese kleine Stadt im französischen Burgund, bildete den Kern des spirituellen Zentrum Europas im Mittelalter. Mit der Gründung der Benediktinerabtei im Jahr 910 begann eine Bewegung, die die katholische Kirche bis in die Neuzeit und die umliegende Natur bis heute prägt. Die Abtei von Cluny stand für strenge Ordensregeln, liturgische Pracht und die Unabhängigkeit vom weltlichen Einfluss – ein Modell für über 1.000 Klöster in ganz Europa. Im 12. Jahrhundert war Cluny das größte und reichste Kloster der Christenheit – der Niedergang setzte mit der Reformation ein und wurde vollbracht mit der brutalen Französischen Revolution. Die Revolutionäre wüteten in Cluny wie die Taliban mit den Buddha-Statuen. Vom ehemaligen Klostergelände bleiben nur noch ein paar eindrucksvolle Steine, Türme und Gebäude übrig. “The End of Everything” fasziniert mich seitdem: Zivilisationen, auf Stein gebaut, die dann einer neuen Ideologie weichen muss, die kein Stein mehr auf dem anderen lässt.
Foto von laStaempfli irgendwo um Cluny herum: So gut wie im Burgund schmeckt übrigens kein anderer Wein.
August: Die Leichtigkeit von Kunst im öffentlichen Raum
Louise Deininger stellte im Aux Gazelles in Wien aus – die Treppe zur Maria Hilferstrasse wurde mit Tüchern kuratiert, umwerfend schön, das Wetter spielte genial mit. Louise ist nicht nur eine grosse Künstlerin, sondern Aktivistin mit eigener Charity-Organisation Gyko, die alle unterstützen sollten, weil sie jungen Menschen in Norduganda mit einer eigenen Schule, Ausbildung und Zukunft ermöglicht. Deiningers farbstarke Gemälde aus Acryl, Elefantendung und Kaurimuscheln und eben dem “Wrap” gehört zu den Menschen, die Geschichte schreiben werden; mit ihrer Kunst und ihrer Persönlichkeit. Könnten wir täglich von KünstlerInnen lesen, hören und sehen, wie sie die Welt wahrnehmen, gestalten möchten und uns Menschen verbinden, ganz ehrlich? Wir wären eine glücklichere Welt, jenseits des traditionellen Kulturbetriebs, der seit den 1960er Jahren sich als ANTI statt als Pro-Demokratie definiert.
Foto von laStaempfli Wiener Treppe von Louise Deininger „It is a wrap.“
September: “Träumen Algorithmen von der Demokratie?”
“Alle Weisheit dieser Welt ist schon ausgesprochen.” Am 26. September 2024 feierten wir die Vernissage des zauberhaften De Caro Verlags aus Einsiedeln. Ich durfte neben namhaften Autorinnen und Autoren über Hannah Arendt schreiben, hier eine kleine Leseprobe und die Aufforderung: Kauft doch das Buch. So unterstützen mich meine Fans am besten. LESEPROBE:
Wie schützen wir die Demokratie vor der Übermacht der Algorithmen? — Anleitung zur Öffentlichkeit nach Hannah Arendt
Von Regula Stämpfli
Die Geschichte der Menschheit fasst sich in Mythen, Religionen, Ideologien, Sprechakte, Narrative, Storys, Kurzfiktionen. Dies war nie anders und gilt auch heute. Das Neue daran ist, dass Daten, Algorithmen und weltumspannende Codes, also Zahlen, Storys erzählen und nicht mehr Menschen und deren Maschinen. Das Tragische daran ist: Algorithmen träumen dabei nicht von Demokratie, sondern von Häufigkeit. Was bedeutet dies für uns Menschen, unsere Demokratie, unsere Welt?
Wahrheit und Lüge sind im codierten Automatismus algorithmisch gleichgestellt. Nicht der Inhalt entscheidet über politische Partizipation, politische Entscheidung und Bindung, sondern die Frequency. Im «Zeitalter digitaler Reproduktion» sind Wahrheit und Lüge, Fakten und Verschwörung, Wirklichkeit und Fiktion gleichgestellte Codes. Es gibt keine codierte Wahrheit, nur Häufigkeit. Algorithmen kennen keine Urteilskraft; das Programm folgt automatischen Lösungsvorschlägen. Für Maschinen sind wir alle gleich: Verbrecher, Künstlerin, Faschist.
Die millionen- und milliardenfache Wiederholung von Codes, die auf TikTok, X/Twitter, Facebook, Telegram, Google, Spotify, Apps, Instagram und anderen abrufbar ist, ist nicht nach Inhalt, Fakten und Wahrheit, sondern nach algorithmischen Programmen errechnet. Diese sind nicht öffentlich und nicht entlang demokratischen Prinzipien programmiert. Codes etablieren Kommunikation und Herrschaftsgewalt. Sie tauchen in Form von Trends, Hashtags, Hyperlinks, «News» auf, sind nicht relevant, sondern nur häufig: Frequenz statt Kompetenz. Deshalb sind Codes nicht Information, sondern Repräsentation. Sie sind nicht öffentlich, sondern fiktiv.
Foto von laStaempfli zur Vernissage des Buches.
Oktober: PROPER LOVE im Belvedere
Wir hatten mal einen Amoako Boafo in unserem Wohnzimmer hängen; so wie die Familie Wittgenstein um die 1900 in Wien einen Gustav Klimt. Das Bild hat mein Leben bereichert und ich traure ihm auch Jahre nach dessen Verlust nach. Im Belvedere in Wien 2024 war die Eröffnung des Shootingstars Amoako Boafo. Der grosse Künstler aus Ghana stellt kluge Fragen zur Gegenwart und Kunst, trifft auf Klimt und Schiele und versetzt diese in seine Heimat, ins afro-amerikanische Präsens, in die grössten Kunsthäuser dieser Welt. “Warum malst du nur Blacks?” wird im letzten Raum der Ausstellung im Belvedere gefragt und von Amoako Boafo dreifach und mit Ausrufezeichen beantwortet. Er malt. Boafo ist so ein grosser Künstler, da erübrigen sich derart dumme Fragen. Seine Porträts sind im Guggenheim-Museum ebenso passend wie im Pompidou oder eben in den Wohnzimmern kunstbegeisterter Menschen. Boafo ist ein Liebes-Künstler. Seine Menschen sind so unfassbar unterschiedlich schön, lebendig, berührend, dass man sofort die Menschenliebe, die im Zynismus der Gegenwart abhandengekommen ist, wieder spürt. Boafo modelliert, malt, braucht seine Finger, um Körper zu modellieren, Gesichtern den Ausdruck zu verleihen. Er nimmt die Moderne als Versprechen nach Afrika mit, um Europa wieder auf den Weg zu schicken. Grossartig – Proper Love eben.
Foto von laStaempfli aus der Belvedere-Ausstellung
November: Reform our Institutions or How Democracies fail
In der “Die Podcastin” von Isabel Rohner und Regula Stämpfli wird nicht nur sprechend gedacht oder denkend gesprochen, sondern es werden lauter neue Thesen, Theorien und Welterklärungen produziert. So auch kurz vor Jahresende in “Die Podcastin” – einem der weitreichensten Frauenpodcasts und einem Podcast, der sich endlich mal nicht um Frauenthemen wie Schminke, Psyche, Diät kümmert, sondern um Politik, Kultur, Wissenschaft, Zukunft und Kapital. Donald Trump wurde gewählt – wer “Die Podcastin” gehört hatte, war davon alles andere als überrascht. laStaempfli hat die Wahlanlyse zu Trump über das Jahr entwickelt, auch den Umstand, dass Trumps Aufstieg im Versagen der öffentlich-rechtlichen Institutionen und der codegetriebenen Medien liegt. Bitter wurde laStaempfli nur angesichts der internationalen Organisationen! Jahrzehntelang kämpfte sie für das internationale Völkerrecht, als junge Mutter wurde sie sogar zum IKRK eingeladen, musste da leider absagen – einer der grössten Fehler in ihrer Karriere. Und nun stellt sie fest: Die UNO wird von Diktaturen, Autokraten und der VR China manipuliert, von Genossen und Genossinnen zum Schrecken des Westens revolutioniert und huldigt totalitären Ideologien wie damals, Sie wissen schon wann! Das IKRK ist ein Hamas-Kuschlerverein geworden – so meine Meinung – dies nicht zuletzt, weil sowohl Präsidentin als auch Generalsekretär eine UNRWA-Vergangenheit haben, die umstrittene Organisation, deren Terrornähe nachgesagt wird. Die Stadt Zürich hat 380.000 Franken Steuergeld an die UNRWA überwiesen und weitere 200.000 Franken direkt nach Gaza geschickt. Journalistische Recherchen zu “Weshalb, Wer, Wie und an Wen Genau?” – Fehlanzeige! Schweizer Medien publizieren Kilowatt Codes zu Trump und Musk, aber zu den wirklich wichtigen Themen, die uns Bürger und Bürgerinnen INTERESSIEREN MÜSSEN, werden nicht recherchiert. Der einzige Trost 2024 in der gesamten Nahost-Story war, ohne Seich, der israelische Geheimdienst “Mossad.” Es gibt ein geniales “60 Minutes” dazu – nicht im Verdacht, besonders pro-israelisch zu sein. Hört es alle nach, denn in europäischen Leitmedien wurde die heroische Aktion schreiend laut BESCHWIEGEN.
Bild von laStaempflis KI
Dezember: Deutscher (Un)Kulturbetrieb
Was die ARD-Verantwortlichen bewogen hat, Thilo Mischke zum Nachfolger von Max Moor für ttt – titel, thesen, temperamente – zu ernennen, bleibt ein Rätsel. Nach ersten Kritiken zum “umstrittenen” Moderatoren, meinte die ARD am 27.12.2024 selbstverständlich: Wir freuen uns auf Mischkes “ttt”-Moderation und “seine Sicht auf Kultur.” Am 4.1.2025 wurde dann bekannt, dass die Freude kurzer Dauer war und Thilo Mischke “ttt” nun doch nicht moderieren darf.
Thilo Mischke ist Autor des 2010 publizierten Buches “In 80 Frauen um die Welt.” Sie haben richtig gelesen. Es ist “in 80 Frauen” – meaning, sich durch 80 Frauen vögeln, um dann hoffentlich die große Liebe zu finden. Es geht um eine Macho-Männerwette: Der Titelheld Thilo soll eine Weltreise machen und 80 Frauen zu verführen. Ist er erfolgreich, bezahlen die Freunde den Trip. Das Buch ist schnell geschrieben, der Typ ein Frauenfeind; im Tonfall, im Besitzanspruch, in der Haltung, dass Frauen keine Individuen, sondern als Gruppe fuckabel sind.
2010 war eine andere Zeit. Als ich von der “Pornografisierung des Alltags” schrieb, wurde ich vom Tagi-Magi und der damaligen Redakteurin Birgit Schmid, die sich aktuell in antifeministischen Texten bei der “NZZ am Sonntag” bei Altmännern beliebt zu machen versucht – oder war es nun “Die Weltwoche?”, egal, ich muss auch nicht immer alles richtig wissen, richtig, es ist die “NZZ am Sonntag”, also damals wurde ich von ihr als “prüde” geschimpft.
2010 war Analsex, Intimrasur, multiple Orgasmen durch Dildos (wie die Schwulen, die übrigens auch “Sex and the City” schrieben – unglaublich beliebt damals) omnithematisch in den Medien versudelt. Mischke konnte ja nicht ahnen, dass 15 Jahre später die Stimmung etwas anders ist: “Wie ein ständig erregter Playboy” notiert Mischke seine Beobachtungen, zugleich versucht er den seltsamen Spagat zwischen potentem Eroberer und Frauenversteher. “Du darfst eine Japanerin niemals in den Nacken küssen, wenn du sie nicht kennst. Das ist ungefähr so, als würdest du eine fremde Frau auf der Straße fragen: Na? Lust auf Analverkehr?” (Besprechung von Rollingstone 3.1.2025) Alles war damals auf Porno, Sex und Geschlechtsverkehr getrimmt – erst zehn Jahre später kommen dieselben Kulturfritzen, die damals derbe gelacht haben, darauf, dass dies vielleicht nicht immer so cool und links gelaufen ist, wie sie es damals interpretiert haben. Thilo Mischke ging 2012 dann noch: “Unter fremden Decken – Auf der Suche nach dem besten Sex der Welt” für Pro Sieben auf Sendung. “Was hatte ich nicht für abstruse Ideen, wie ich untermauern könnte, dass ich Sex hatte. Von Lackmusstreifen, die ich in ein Buch einklebe, mit verschiedenen PH-Werten und Namen daneben, bis zu Excel Tabellen, die einen Körper so genau beschreiben, dass ich es mir nicht hätte ausdenken können. Ich wollte Fingerabdrücke nehmen, heimlich Nacktfotos machen, Tonbandaufnahmen vom jeweiligen Sex. Alles unpraktisch, alles viel zu grob, dachte ich immer.”
Unappetitlich, nicht wahr? Trotzdem dachte sich die ARD-Kulturleitung, die sonst bei allem “sexistisch, islamophob und hilfe, das hilft den Nazis” schreit auf die Idee, einen solchen Mann zu promoten? Ein Mann, der allen Ernstes in einem Podcast behauptet, der Urmensch sei ausgestorben, weil er “zu zärtlich zu Frauen gewesen sei” und der Homo sapiens stattdessen die Frauen vergewaltigt hätte. Überhaupt Vergewaltigung. Diese ist nach Thilo Mischke “urmännlich” und den Jungs leider nur durch die Zivilisation “abgewöhnt” worden.
Tja. Ich schreibe seit über 25 Jahren über die Pornografisierung der Welt. Als Antwort auf den im Schweizer Journalismus immer noch sehr satten Autoren XY (Namen verändert), der auch von Vergewaltigungsgenen und explodierenden Vulven schrieb, meinte ich schon damals sehr trocken: “Wenn der Penis nur noch tröpfeln kann.” Die biopolitische Sexualisierung und Privatisierung unserer westlichen Kulturen, die codiert auf Porno-Datenmaterial zurückgreifen, weil dies die ersten Daten waren, die in großen Mengen die Digitalisierung puschten, grassiert überall, wird nicht wirklich unter erwachsenen Frauen diskutiert, sondern in alten, linken Männerschemata von freiem Sex und prüder Mutter verhandelt. Das MUSS JA SCHIEF GEHEN.
Langer Suada der kurze Sinn: Lest endlich Frauen. Und zwar die, die nicht ständig über Sex, Depression, Kinder kriegen oder “wie Karriere als Frau machen”, schreiben, sondern die, die über alles und Grosses schreiben. Auf ein neues Jahr, möge das Alte endlich positiv überholt werden!
Foto von laStaempfli : Kunstwerk von Janice Gondor “75 Jahre Grundgesetz.”