• zurück

Jacqueline, Jacoba, Jakob, Mizz Jack, Jackie O, Jack Torera, Jackie Brutsche

Von Ruth Kofmel — Es gibt Men­schen, die haben nicht das Bedürf­nis nach dop­pel­ten Böden und Fan­gleinen. Solche Men­schen wis­sen um die Zer­brech­lichkeit der Dinge und sie wis­sen, dass es nichts dage­gen auszuricht­en gibt. Lernt man das früh im Leben, macht einen das sehr wahrschein­lich ein wenig ein­sam, aber es macht einen auch immun gegen die falschen Ver­sprechen vom Schein und Kon­sens. Es schützt einen davor, das Leben als eine Vor­lage zu sehen, zusam­menge­set­zt aus Bildern aus TV und Wer­bung, die es möglichst gut auszu­malen gilt, und dann daran zu lei­den, dass dieses Aus­malen irgend­wie lang­weilig, leer und alles andere als erfül­lend ist. Es gibt Men­schen, die ver­ste­hen, dass es aber auch nicht damit gemacht ist, gegen diese Bilder zu agieren und sie ein­fach ins Gegen­teil zu kehren, weil man in diesem Gegen­teil genau so gefan­gen ist, son­dern, dass es darum geht, auszupro­bieren und mit dem, was man ger­ade hat, etwas anzustellen. Egal was. Jack­ie Brutsche ist ein solch­er Men­sch. Und sie hat sich mit ihrer Unab­hängigkeit und diesem Aus­pro­bieren zu ein­er eigen­ständi­gen und unver­wech­sel­baren Kün­stler­per­sön­lichkeit entwick­elt. In ihrem Werde­gang fügt sie ein Film-Studi­um an eines in Mode-Design, um schliesslich als Büh­nenkün­st­lerin für Furore zu sor­gen. In den bei­den Stu­di­engän­gen eignete sich Jack­ie das Handw­erk­szeug an, mit dem sie nun ihre Büh­nen­shows unter­füt­tert, sei es als Front-Frau von der Band the Jack­ets oder als Akteurin in ihrem The­ater-Stück «Die Schnau­zprinzessin».

Es ist ihr erstes Solo-Stück, das sie zusam­men mit Chris Ros­ales geschrieben hat, und es unter­hält durch Tem­po, Witz und mit sicherem Gespür für Klang und Rhyth­mus. Erzählt wird die Geschichte von den möglichen Auswirkun­gen, wenn die den Hochglanz-Pos­tillen ent­nomme­nen Träume von Erfolg und Ruhm, plöt­zlich Wirk­lichkeit wer­den. Es ist als erstes ein kri­tis­ch­er, zynis­ch­er und liebevoller Blick auf die Geschichte des Show-Geschäfts. Hin­ter dieser Geschichte liegt aber noch eine andere: «Die Schnau­zprinzessin» erzählt auch von ein­er Suche, und der Erken­nt­nis, dass eine One-Woman-Show vielle­icht genau das Richtige ist. Natür­lich kön­nen und sollen wir davon Träu­men, dass wir den lieben Gott dem­nächst am rosa Plüsch-Tele­fon haben und der uns kurz und bündig ein paar Wün­sche erfüllt. Aber wichtiger ist es, dass wir uns der­weilen etwas in den Hin­tern treten und unsere One-Woman-Show ins Leben rufen. Das heisst nicht, dass wir alleine sind, dass wir alles und jedes alleine machen. Es heisst nur, dass wir uns nicht davon abhal­ten lassen, Dinge zu tun, weil wir wis­sen, dass wir etwas nicht per­fekt kön­nen, dass es andere gibt, die es bess­er machen und, dass wir vielle­icht vol­lkom­men und grandios damit scheit­ern.

Jack­ie Brutsche scheit­ert mit ihrer Schnau­zprinzessin hinge­gen keineswegs. Obwohl sie wed­er aus­ge­bildete Schaus­pielerin noch Sän­gerin ist, gibt es keinen Moment, wo man als Zuschauerin mit hochge­zo­ge­nen Augen­brauen inner­lich rumzukrit­teln begin­nt; dafür ist sie auch ein­fach zu laut, wild, schnell und ger­ade her­aus – Rock and Roll eben. Sie singt und spielt Gitarre, stampft dazu auf zwei Ped­ale, so dass es rumpelt, und ras­selt. Diese drei gesun­genen Stücke sind dann auch die eigentlichen Perlen dieses Abends; es ist der Gänse­haut-Moment. Nicht, weil diese Lieder beson­ders intim daherkom­men. Jack­ie ver­anstal­tet auch beim Sin­gen ein gross­es Spek­takel – aber sie ist in diesen Momenten abso­lut ehrlich und echt: Sie macht genau das, was sie liebt, und lässt uns dabei zuschauen. Dass sie uns zuschauen lässt, ist vielle­icht die Entwick­lung, die für Jack­ie nicht auf der Hand lag. Sie musste mit neun­zehn überre­det wer­den, auf die Bühne zu ste­hen und in ein Mikro­fon zu brüllen. Bei diesem ersten Auftritt allerd­ings sei etwas passiert, da sei ein wildes Tier los­ge­lassen wor­den und sie wusste, das liesse sich nie mehr einsper­ren. Vom blossen Los­brüllen ist sie nach zehn Jahren Erfahrung als Front-Frau ver­schieden­er Bands auch längst weggekom­men. Sie hat eine unver­wech­sel­bare Stimme, die sie ger­ade im richti­gen Masse gezähmt hat. So weit gezähmt, dass sie damit spie­len kann, aber nicht so weit, dass diese Stimme zwar tech­nisch per­fekt, aber ohne innere Beteili­gung, ohne Emo­tion daherkommt. In Kom­bi­na­tion mit dem Rah­men, den ihr das Stück «Die Schnau­zprinzessin» bietet, der Möglichkeit, einen Song in eine Geschichte einzu­binden, trifft sie ins Schwarze.

Und man sieht es ihr an; sie ist gerne da oben. Sie mag an der Bühne beson­ders, dass sie, sobald sie oben ste­ht nicht mehr denkt, dass es ihr «tut», und das macht ihren Auftritt so erfrischend. Es hat so gar nicht diesen Touch von bewusster Selb­st­darstel­lung und Kün­stlichkeit. Die Frau gehört ein­fach auf die Bühne, obwohl, oder vielle­icht ger­ade weil sie ihr Schaf­fen als Büh­nenkün­st­lerin nie geschult hat. Rück­blick­end ist sie froh darüber. Froh, dass sie vieles nicht weiss, weil dieses Wis­sen immer auch eine Kanal­isierung, Wer­tung und Anpas­sung mit sich bringt. So kann sie losle­gen, ihre Geschichte erzählen und sich vorar­beit­en zu der Kun­st­form, wo sie all ihre Lei­den­schaften rein­pack­en kann, auch wenn es dann allen­falls keine beste­hende Kun­st­form mehr sein sollte. Sie arbeit­et weit­er­hin daran, die vorherrschen­den äusseren Merk­male von The­ater, Musik, Kun­st und Film aufzulösen und neu anzurühren, so, dass daraus ihr eigenes Uni­ver­sum entste­ht – es ist schön und belebend, darauf einen Blick wer­fen zu kön­nen.

Foto: zVg.
ensuite, Jan­u­ar 2011

Artikel online veröffentlicht: 23. Dezember 2018 – aktualisiert am 13. Januar 2019