Von Ruth Kofmel — Es gibt Menschen, die haben nicht das Bedürfnis nach doppelten Böden und Fangleinen. Solche Menschen wissen um die Zerbrechlichkeit der Dinge und sie wissen, dass es nichts dagegen auszurichten gibt. Lernt man das früh im Leben, macht einen das sehr wahrscheinlich ein wenig einsam, aber es macht einen auch immun gegen die falschen Versprechen vom Schein und Konsens. Es schützt einen davor, das Leben als eine Vorlage zu sehen, zusammengesetzt aus Bildern aus TV und Werbung, die es möglichst gut auszumalen gilt, und dann daran zu leiden, dass dieses Ausmalen irgendwie langweilig, leer und alles andere als erfüllend ist. Es gibt Menschen, die verstehen, dass es aber auch nicht damit gemacht ist, gegen diese Bilder zu agieren und sie einfach ins Gegenteil zu kehren, weil man in diesem Gegenteil genau so gefangen ist, sondern, dass es darum geht, auszuprobieren und mit dem, was man gerade hat, etwas anzustellen. Egal was. Jackie Brutsche ist ein solcher Mensch. Und sie hat sich mit ihrer Unabhängigkeit und diesem Ausprobieren zu einer eigenständigen und unverwechselbaren Künstlerpersönlichkeit entwickelt. In ihrem Werdegang fügt sie ein Film-Studium an eines in Mode-Design, um schliesslich als Bühnenkünstlerin für Furore zu sorgen. In den beiden Studiengängen eignete sich Jackie das Handwerkszeug an, mit dem sie nun ihre Bühnenshows unterfüttert, sei es als Front-Frau von der Band the Jackets oder als Akteurin in ihrem Theater-Stück «Die Schnauzprinzessin».
Es ist ihr erstes Solo-Stück, das sie zusammen mit Chris Rosales geschrieben hat, und es unterhält durch Tempo, Witz und mit sicherem Gespür für Klang und Rhythmus. Erzählt wird die Geschichte von den möglichen Auswirkungen, wenn die den Hochglanz-Postillen entnommenen Träume von Erfolg und Ruhm, plötzlich Wirklichkeit werden. Es ist als erstes ein kritischer, zynischer und liebevoller Blick auf die Geschichte des Show-Geschäfts. Hinter dieser Geschichte liegt aber noch eine andere: «Die Schnauzprinzessin» erzählt auch von einer Suche, und der Erkenntnis, dass eine One-Woman-Show vielleicht genau das Richtige ist. Natürlich können und sollen wir davon Träumen, dass wir den lieben Gott demnächst am rosa Plüsch-Telefon haben und der uns kurz und bündig ein paar Wünsche erfüllt. Aber wichtiger ist es, dass wir uns derweilen etwas in den Hintern treten und unsere One-Woman-Show ins Leben rufen. Das heisst nicht, dass wir alleine sind, dass wir alles und jedes alleine machen. Es heisst nur, dass wir uns nicht davon abhalten lassen, Dinge zu tun, weil wir wissen, dass wir etwas nicht perfekt können, dass es andere gibt, die es besser machen und, dass wir vielleicht vollkommen und grandios damit scheitern.
Jackie Brutsche scheitert mit ihrer Schnauzprinzessin hingegen keineswegs. Obwohl sie weder ausgebildete Schauspielerin noch Sängerin ist, gibt es keinen Moment, wo man als Zuschauerin mit hochgezogenen Augenbrauen innerlich rumzukritteln beginnt; dafür ist sie auch einfach zu laut, wild, schnell und gerade heraus – Rock and Roll eben. Sie singt und spielt Gitarre, stampft dazu auf zwei Pedale, so dass es rumpelt, und rasselt. Diese drei gesungenen Stücke sind dann auch die eigentlichen Perlen dieses Abends; es ist der Gänsehaut-Moment. Nicht, weil diese Lieder besonders intim daherkommen. Jackie veranstaltet auch beim Singen ein grosses Spektakel – aber sie ist in diesen Momenten absolut ehrlich und echt: Sie macht genau das, was sie liebt, und lässt uns dabei zuschauen. Dass sie uns zuschauen lässt, ist vielleicht die Entwicklung, die für Jackie nicht auf der Hand lag. Sie musste mit neunzehn überredet werden, auf die Bühne zu stehen und in ein Mikrofon zu brüllen. Bei diesem ersten Auftritt allerdings sei etwas passiert, da sei ein wildes Tier losgelassen worden und sie wusste, das liesse sich nie mehr einsperren. Vom blossen Losbrüllen ist sie nach zehn Jahren Erfahrung als Front-Frau verschiedener Bands auch längst weggekommen. Sie hat eine unverwechselbare Stimme, die sie gerade im richtigen Masse gezähmt hat. So weit gezähmt, dass sie damit spielen kann, aber nicht so weit, dass diese Stimme zwar technisch perfekt, aber ohne innere Beteiligung, ohne Emotion daherkommt. In Kombination mit dem Rahmen, den ihr das Stück «Die Schnauzprinzessin» bietet, der Möglichkeit, einen Song in eine Geschichte einzubinden, trifft sie ins Schwarze.
Und man sieht es ihr an; sie ist gerne da oben. Sie mag an der Bühne besonders, dass sie, sobald sie oben steht nicht mehr denkt, dass es ihr «tut», und das macht ihren Auftritt so erfrischend. Es hat so gar nicht diesen Touch von bewusster Selbstdarstellung und Künstlichkeit. Die Frau gehört einfach auf die Bühne, obwohl, oder vielleicht gerade weil sie ihr Schaffen als Bühnenkünstlerin nie geschult hat. Rückblickend ist sie froh darüber. Froh, dass sie vieles nicht weiss, weil dieses Wissen immer auch eine Kanalisierung, Wertung und Anpassung mit sich bringt. So kann sie loslegen, ihre Geschichte erzählen und sich vorarbeiten zu der Kunstform, wo sie all ihre Leidenschaften reinpacken kann, auch wenn es dann allenfalls keine bestehende Kunstform mehr sein sollte. Sie arbeitet weiterhin daran, die vorherrschenden äusseren Merkmale von Theater, Musik, Kunst und Film aufzulösen und neu anzurühren, so, dass daraus ihr eigenes Universum entsteht – es ist schön und belebend, darauf einen Blick werfen zu können.
Foto: zVg.
ensuite, Januar 2011