Von Luca D’Alessandro - Wer in einem gewöhnlichen Synonymwörterbuch nach dem Pendant für «Multitasking» sucht, wird wahrscheinlich keines finden. ensuite-kulturmagazin schlägt als Begriff Johannes Huppertz vor. Der Autodidakt aus Nordrhein-Westfalen ist in verschiedenen Berufsfeldern erfolgreich unterwegs: im Sozialwesen, in der grafischen Industrie und in der Musikbranche. Unter dem Künstlernamen Newton hat er seine Kompositionen auf ungezählte Elektronik und Chill Out Compilations gebracht.
Johannes Huppertz ist ein unermüdlicher Komponist und Soundtüftler. In den letzten zwei Jahren hat er rund 200 Soundkompositionen unter mehreren Pseudonymen produziert. Er stellt grosse Ansprüche an sich selbst: Stets ist er auf der Suche nach neuen Harmonieva-riationen und interessanten Klanggebilden, «die rhythmisch und melodisch «the perfect moment» erzeugen, wobei das komponierte Harmoniegebilde wesentlich wichtiger ist als einfache werksangefertigte Sounds», so Huppertz.
«Newton» ist sein aktuelles und gleichzeitig geläufigstes Pseudonym. In früheren Jahren war er in Elektronikkreisen auch als «Area 42» oder «Rouge et Noir» bekannt. «Diese Namen musste ich auf Anraten eines meiner Labels ablegen.»
ensuite-kulturmagazin wollte mehr über den Mann mit den vielen Gesichtern und dem absoluten Gehör erfahren, und hat Johannes Huppertz zum Gespräch eingeladen.
ensuite-kulturmagazin: Johannes Huppertz, du bist Sozialpädagoge von Beruf. Ganz nebenbei arbeitest du als Mediendesigner, Musiker und Produzent. Der Spagat könnte grösser nicht sein.
In meinen frühen Jahren malte ich viel. Grafiken und Schriften interessierten mich. Aus purem Wissensdurst begann ich später, Gitarre zu spielen. Schon bald schwebte mir vor: Wenn ich Platten produziere, könnte ich auch gleich die entsprechenden Cover designen. So gesehen, passen die meisten meiner Tätigkeiten sehr gut zusammen.
Bleibt dir für Design überhaupt die Zeit? Momentan stellst du einen Titel nach dem anderen her. Im Vorgespräch hat dein Verleger Peter Debusi erwähnt, du habest über zweihundert im Repertoire.
Ich kann innerhalb kurzer Zeit sehr viel produzieren. Ich setze mich an mein Keyboard, spiele für fünf Minuten, und schon sehe ich die Melodie vor Augen. Ich brauche mich dann nur noch um das Arrangement zu kümmern.
Du warst nicht immer im Elektronikgenre unterwegs.
Angefangen habe ich meine Musikkarriere als Sänger und Gitarrist in einer Rockband. Nebenbei produzierte ich regelmässig mit Gitarre, Keyboard und Computer und reicherte mir schrittweise einen «Stapel» an Sounds an. Das Schicksal wollte es, dass ich einem Bekannten von mir und Besitzer des Labels Freebeat Music, Frank Borell, mein Konzept darlegen konnte. Frank hörte sich die Proben an und war sofort begeistert.
Was geschah danach?
Er veröffentlichte fast alles, was ich ihm vorlegte. Darüber habe ich mich natürlich sehr gefreut. Bald darauf setzte bei ihm eine Durststrecke ein. Mein Soundoutput ging dennoch pausenlos weiter. Es staute sich haufenweise Material an, weshalb ich mich nach anderen Labels umsehen musste: Lemongrass, Sashimi, Mole Listening Pearls, Zyxmusic, Sinemusic, Velvet Lounge Records – sie alle haben auf meine Anfragen positiv reagiert. Ich konnte produzieren, was ich wollte, am Ende wurde ich fast jedes Stück los. In den zwanzig vergangenen Monaten habe ich, wie du bereits von Peter Debusi vernommen hast, 200 Titel produziert. Viele davon sind auf circa 65 Compilations und Alben zu finden. Heute arbeite ich zeitweise mit neun Labels zusammen.
Und das unter verschiedenen Namen. Newton ist nur eine deiner zahlreichen künstlerischen Identitäten.
Newton ist mein aktuelles Pseudonym, zusammengesetzt aus den Worten Neu und Ton. Dem Sinn nach: neuer Ton.
Der Name hat also nichts mit den Newton’schen Gravitations- oder Bewegungsgesetzen zu tun?
Nein. Zuerst war ich unter dem Künstlernamen «Area 42» bekannt. Ich hatte auch unter «Panta Air» und «Rouge Et Noir» veröffentlicht, doch das Label, das mich vor zwei Jahren betreute, legte mir nahe, nach einem neuen Namen zu suchen. So kam ich zu «Newton». Heute publiziere ich fast ausschliesslich unter diesem Namen. Mit Betonung auf «fast»: Bei Mole Listening Pearls habe ich im Oktober unter meinem bürgerlichen Namen Johannes Huppertz das Album «Eternal Change» veröffentlicht.
Viele Namen – ein Mann: Spielst du beim Produzieren sämtliche Instrumente selber ein?
Ja, ich spiele alles. Mein Hauptinstrument ist die Gitarre, obwohl ich in jungen Jahren für kurze Zeit den Klavierunterricht besuchte. Ich hörte aber bald einmal auf damit. Ich hatte keine Lust auf Unterricht: Notenlesen war mir zu blöd.
Und trotzdem spielst du heute Klavier.
Ich bin ein Autodidakt: Alles, was ich in den Klavierstunden lernte, konnte ich auf die Gitarre abstrahieren. Und alles, was ich mir dann auf der Gitarre selbst beigebracht hatte, konnte ich wiederum auf das Keyboard abstrahieren. Ich weiss, wie ein Bass, ein Cello oder eine Violine klingen müssen. Dieses Gefühl übertrage ich in die Produktionen. Ich stelle mir das Resultat sehr genau vor, am Ende kommt es dann so, wie ich mir den Sound vorgestellt hatte. Das Prinzip klingt einfach, ist es aber nicht.
Betrachten wir den Track «Last Train To Rio» aus deinem Album «Roadmovie». Das Piano macht darin eine wiederholende Sequenz aus rhythmischen Akkorden …
… das ist korrekt.
Eine solche Akkordfolge zu komponieren, scheint sehr aufwendig, wenn man sich nicht an die theoretischen Grundlagen der Harmonielehre halten kann. Wie siehst du das?
Ich halte mich zuallererst an die einzelnen Akkorde. Die beherrsche ich sehr gut. Die Reihenfolge entsteht durch Ausprobieren. Ich drücke Tasten mit einer rhythmischen Bewegung, dabei entsteht der Sound. Im Übrigen brauche ich meist nicht mehr als drei bis vier Akkorde pro Stück. Das Thema basiert manchmal sogar nur auf zwei Akkorden, diese sind aber rhythmisch abwechslungsreich und bilden eine schöne Harmonie.
Du arbeitest mit Steigerungseffekten.
Das ist ein uraltes Rezept. Mozart hat es angewendet, aber auch in den bekannten Pop- und Rocknummern wird mit Steigerungen gearbeitet. Durch Spannungs- und Entspannungsbögen ergibt sich die Dramaturgie.
Viele Produzenten aus dem Elektronikbereich sind dem Minimaltechno zugetan. Minimal kommt mit simplen Spannungsbögen aus, ohne Melodien, dafür aber mit viel Rhythmus.
Minimalismus ist mir zu wenig als Musiker. Ich lege grossen Wert auf Harmonien und auf die Melodie. Nehmen wir als Beispiel den Minimaltechno des Kölner Produzenten Mike Ink: Seine Musik basiert auf Kratz- und Klicktönen und durchlaufenden Beats. Diese Art der Musik mag auf ihre Art gut sein, und es gibt auf jeden Fall Leute, die sie mögen. Mir entspricht sie nicht. Verglichen mit Mike Ink komponiere ich traditionell.
Du bist also ein traditioneller Avantgardist?
Als Avantgardist würde ich mich bedingt bezeichnen. Ich muss beim Komponieren das Gefühl bekommen, dass das, was ich mache, ein bisschen besser ist als das, was der Durchschnitt macht. In anderen Worten: Ich will minimal aus dem vorgegebenen Rahmen herausragen. Ein Avantgardist hingegen setzt alles daran, Normen zu sprengen. Daher würde ich mich als Minimalavantgardist bezeichnen. (lacht)
Wie wichtig ist Tradition für dich?
Ich bin ein Andy Warhol-Fan. Pop-Art ist meine Leidenschaft. Warhols Meinung, Kommerz und Kunst dürften sich gegenseitig nicht stören, entspricht mir. Kommerz, Kunst und Traditionen müssen Hand in Hand gehen. Wenn ein Musiker dies erreicht, ist er genial. In Deutschland betrachtet man Kommerz und Kunst als Gegensatzpaare. Das ist falsch. Es gibt gewisse Hörgewohnheiten, die der Mensch von seinem Naturell und seiner Tradition her hören möchte, und dieses Gewohnheitsverhalten sollte man nicht zu sehr stören. Der Satz «The Same Old Song» kommt nicht von ungefähr.
Wo wirst du die nächsten «New Songs» publizieren?
Zum Einen arbeite ich gegenwärtig mit meinem alten Freund Tobias Krömer zusammen. Mit ihm habe ich in der Vergangenheit viele Rock- und Soul-Projekte gemacht. Er ist ein hervorragender Musiker und im Jazzbereich wesentlich versierter als ich. Zur Verstärkung werden wir ein paar Vocalists beiziehen. Wo die Publikation dieses Songwriting-Projekts erfolgen wird, ist noch nicht festgelegt: vielleicht bei Mole Listening Pearls?
Zum Anderen bewege ich mich in Richtung Fusion-Jazz. Zum Einsatz kommen Keyboards und Synthesizer; sie sollen dem Jazz die Trockenheit nehmen. Wo diese Arbeit am Ende publiziert wird, ist auch nicht klar, zumal mein Verleger, Peter Debusi, in Vertragsverhandlungen mit einem potenziell interessierten Label steckt. Fakt ist, es wird ein zweites Newton- oder Johannes Huppertz-Album sein.
Wie erlebst du aktuell die Musikbranche?
Ein hartes Pflaster: Mein Verleger versucht einen Vertrag mit einer Firma auszuhandeln, die über gute Kontakte und Vertriebswege verfügt und auch die technischen Möglichkeiten hat, Videos zu machen. Nur so lässt sich Musik an die Öffentlichkeit bringen. Das sind schwere Mechanismen, das Musikgeschäft läuft wegen der Downloadkultur im Internet sehr schlecht. Umso mehr ist es schwierig, eine Firma zu finden, die einen Vorschuss für ein Video, eine Produktion, für Werbung und Promotion leistet. Ich werde vermutlich bei den bisherigen Labels bleiben. Es kommt ganz drauf an, in welche Richtung ich mich in den nächsten Monaten bewege, und ob die Labels, die mich jetzt unter Vertrag haben, noch behalten können. Neue Töne sind allemal zu erwarten – entweder unter Johannes Huppertz oder Newton.
Newton: «Roadmovie» (Sashimi Records)
«Roadmovie» ist ein Trip um den Globus, der mit jedem Titel zu einer weiteren Station führt, durchstrukturiert bis hin zu den Namen der einzelnen Stücke: «French Kisses», «Fast Train To Rio», «Sealife», «Homerun». Sie alle verweisen auf den inhaltlichen Überbau. Das Debütalbum von Newton ist eine musikalische Entdeckungsreise durch eine Welt voller zauberhafter Momente.
Info: www.johanneshuppertz.de.tl/
Foto: Alexander Scheidt
ensuite, Januar 2010