Von Dr. Regula Stämpfli — Als Rahel Reichenbach eines Morgens aus unruhigen Albträumen erwachte, fand sie sich in ihrem Schlafzimmer und sah ihren Partner in ein ungeheures Ungeziefer verwandelt. Er lag da, auf seinem panzerartig harten Rücken und sah nur noch dünne, kläglich flatternde Beinchen.
Was ist mit dem Mann geschehen, dachte sie. Es war kein Albtraum, es war eine Utopie. Denn nicht nur ihr Zimmer, die richtigen, die Männerzimmer, waren überall in der wohlbekannten Stadt mit Käfern verstreut. Rahel Reichenbach fürchtete sich davor, wieder schlafen zu gehen. Denn es könnte sein, dass die Käfer wieder Männer würden und das gesamte Elend der Männerzitate, Männerkriege, Männerliteratur, Männerwirtschaft, Männercodierung, Männergeschichten, Männerkunst so weiterginge wie zuvor: Beklatscht von jungen Weibchen, die sich nichts Besseres vorstellen können als in den Blick dieser Männer zu geraten. Oder mitgekäfert von den alten Weibchen, die ihr Leben lang in ihren Körper investiert haben und ab 40 kein anderes Thema kannten als ihre Verzweiflung darüber, dass sie je länger je mehr wie zu klein geratene Pelikane aussahen und sich über bunte Feministinnen nervten.
Nein. Rahel Reichenbach wollte nie wieder schlafen, sie ging hin und her in ihrem Schlafzimmer und erfrauschte sich an den zappelnden Beinchen, an der Sprachlosigkeit des Männchens, das sich seiner Lage bewusst wurde — und mit ihm Millionen anderer deutscher Käfer bewusst. Es gab noch ein paar Nicht-Käfer, sollte Rahel Reichenbach später in der Stadt feststellen. Das waren die Männer, die sich um Kinder und Frauen kümmerten, die lachten, die sich freuten des Lebens und der Demokratie huldigten, in der sie lebten. Die niemals sich Frauen gekauft, diese geschlagen oder auch nur irgendwie bei Frauen und Mädchen bedient hätten und die Mütter ehrten. Es waren bedenklich wenige solcher Männchenmenschen vorhanden, dafür wimmelte es vor dicken Käfern, von denen frau wusste, dass sich die Mehrheit nicht mehr aus dem Zimmer trauten.
Das ständige Frauenhassen machte die Männchen zu Käfern. Die Männchen hatten nie lieben, sondern immer nur schießen gelernt: sei es im Fußball, sei es an der Game Konsole. Dabei brauchen die Männchen doch Liebe, doch sie verbrachten ihre Zeit lieber vor dem Bildschirm als die Haustiere zu füttern. Sie arbeiteten nur, um abends ihr Bier zu trinken, ihre Käferfigur avant la lettre zu pflegen und sich dabei über die Köperformen der Weibchen abfällig zu äußern. Sie hatten auch als Männchenmenschen keine Haare mehr, aber wehe eine Frau trug eine Frisur, die ihnen nicht passte. Die musste dringend kommentiert werden.
Die Männchenkäfer erholten sich von ihrem ersten Schrecken über ihre neuerliche Metamorphose indessen schnell. Einige versuchten ihre Mütter, ihre Partnerinnen fröhlich zu stimmen, ihnen zu helfen, indem sie ihnen viel Geld, viel Macht und viel Freiheit versprachen. Doch die Mütter und die Partnerinnen merkten bald, dass die Käfer weder Bankkonten noch Computer bedienen konnten und sie ganz viel mehr Freiheit hatten, das zu tun, was schon immer getan werden musste. Die Frauen in den Parlamenten und Regierungen brachten zügig Reformen in Gang: ökologische Käferhaltungen, Schutz der Umwelt vor den Millionen von Käfern waren erste Priorität. Dies war schnell auf den Weg gebracht, dann kamen die Kinder dran, deren bedauerliche Käferkörper darauf hindeuteten, dass einige Männchen schon ganz früh Frauenhass pflegten und vom misogynen Virus infiziert waren. Bei den Käferkindern dachten einige Mütter noch sehnsuchtsvoll an Metamorphosen, doch der Impfstoff gegen Frauenhass ließ auf sich warten, schließlich galt es, zehntausend Jahre Patriarchat zu überwinden. Da lag schon sehr viel in den Genen, Synapsen, Proteinen, Bewegungen. Zudem waren sich die Weibchenmenschen gar nicht so sicher, ob sie die Käfer nicht den Männern bevorzugten: Die Käfer sahen zwar zugegebenermaßen hässlich aus, aber das war ja bei deutschen Männern spätestens ab 35 Jahren eh meist auch der Fall. Zudem ließen sich Käfer eher gesund und frauenhassfrei halten als erwachsene Männchenmenschen. Dies zeigte schon die Erfahrung.
Anders als indessen in der schrecklichen Geschichte von Kafka über Gregor Samsa dachten die Weibchenmenschen nie daran, die Käfer auch nur irgendwie zu verletzen. Denn die Infektion war Verletzung und Scham genug: Wer will denn schon als Käfer durch die Welt? Obwohl, so sagt frau, Käfer offenbar alles überstehen, sogar einen Atom-Supergau, was dann doch einige Weibchenmenschen dazu brachte, die Idee der Auslöschung der Käfer immerhin zu diskutieren. Doch sie blitzten ab, denn die Impfung gegen Frauenhass war so gut, dass sie nicht nur vor Käfer-Dasein der Männchen in Zukunft schützte, sondern vor allem den Frauenhass in seiner genetischen Ursprungsform beseitigte – so wie es der Dawkinskäfer vor seiner Metamorphose behauptet hatte. Wie die Welt dann aussah, davon wird Rahel Reichenbach sicherlich in einer anderen Kurzgeschichte erzählen.
Inspiriert von Richard Dawkins Tweet on Saturday, 5th of June 2021: “Kafka’s Metamorphosis is called a major work of literature. Why? If it’s SF it’s bad SF. If, like Animal Farm, it’s an allegory, an allegory of what? Scholarly answers range from pretentious Freudian to far-fetched feminist. I don’t get it. Where are the Emperor’ s clothes?”
Darauf antwortete die kluge Hannah Jane Parkinson: “Sounds like it really bugs you.” Und laStaempfli setzte sich an die Tastatur.