Von Belinda Meier — Hans Christian Andersens Märchen «Die Schneekönigin» wird seit Mitte November 2010 unter der Regie von Ingrid Gündisch am Stadttheater Bern aufgeführt. Dieses vielschichtige Märchen über Glück, Liebe und Verstand lässt sowohl Klein als auch Gross das Hier und Jetzt vergessen.
Das Kunstmärchen «Die Schneekönigin» des dänischen Schriftstellers H.C. Andersen
(1805–1875) wurde zahlreiche Male verfilmt und als Theaterstück, Musical und Kinderoper für die Bühne inszeniert. Zusammen mit Märchen wie «Däumelinchen», «Die Prinzessin auf der Erbse», «Die kleine Meerjungfrau», «Das hässliche Entlein», «Die roten Schuhe», «Herzeleid» und vielen mehr, hat «Die Schneekönigin» Andersens Weltruhm besiegelt. Seine Märchen gehören mittlerweile zur Weltliteratur, sind zeitlos und haben Generationen geprägt.
Der teuflische Spiegel «Die Schneekönigin» erzählt die abenteuerliche Geschichte von den eng befreundeten Kindern Gerda und Kay, gespielt von Mona Kloos und Fabian Guggisberg. Aufgrund eines teuflischen Spiegelsplitters werden die beiden für lange Zeit getrennt. Der Splitter trifft Kay nämlich direkt ins Auge. Seither ist er gefühlsarm, gemein und alles erscheint ihm nur noch böse und hässlich. Seine Zuneigung zu Gerda erlischt urplötzlich. Fasziniert von der Geometrie der Eiskristalle und der ihm erschienenen Schneekönigin (Liliane Steffen), hat sein Leben seine Bestimmung gefunden: Er will der Spur dieser geheimnisvollen Herrin weit in den hohen Norden hinauf folgen.
Das Rätsel Im Eispalast angekommen hat Kay die Aufgabe, das Geheimnis des Lebens zu entschlüsseln. Gelingt ihm dies, schenkt ihm die Schneekönigin die ganze Welt und ein paar Schlittschuhe dazu. Die Zeit drängt, denn jeder Kuss der Schneekönigin lässt Kays Herz mehr erkalten. Gerda beschliesst, ihn zu suchen.
«Nun bekommst du keine Küsse mehr, […] denn sonst küsse ich dich tot!»
Komik, Abenteuer und Traumwelten In Ingrid Gündischs Inszenierung fühlen die Zuschauerinnen und Zuschauer das Schicksal von Gerda und Kay hautnah mit und verfolgen mit Spannung die abenteuerliche Reise Gerdas. Sie, die von Mona Kloos gekonnt als verspieltes, vorwitziges und mutiges Mädchen dargestellt wird, trifft unterwegs auf die sonderbarsten Charaktere und Gestalten. Ingrid Gündischs Umsetzung und Darstellung dieser Figuren bringen die Kinder zum Lachen und Staunen und lassen sie sogar aktiv am Geschehen teilhaben, wenn es etwa darum geht, lauthals nach Kay zu rufen oder «wäh» in die Menge zu schreien, wenn sie beim Anblick der sich küssenden Raben der Ekel packt. Angefangen bei einem kauzigen und bizarren Gärtner (Stefano Wenk) inmitten eines prächtig blühenden Gartens, begegnet Gerda auf ihrem Weg in den Norden zwei schrägen Vögeln (Liliane Steffen und Stefano Wenk), einer Prinzessin (Laura Kolbe) und einem Prinzen (Fabian Guggisberg), die ein verträumtes Schloss bewohnen, das so bunt und verspielt ist, wie es sich Kinder in ihrer Fantasie nur vorstellen können. Später wird sie von einer tölpelhaften Räuberbande gefangen genommen, kommt allerdings wieder frei und findet letztlich in Begleitung eines lispelnden Rentiers (Stefano Wenk) den Weg zum Eispalast der Schneekönigin. Hier angekommen, gelingt es Gerda, Kay vom Splitter zu befreien, das Rätsel zu lösen und ihm damit die Freiheit zurückzuschenken.
«Er betrachtete sie, und sie sang […]. Da brach Kay in Tränen aus; er weinte, dass das Spiegelkörnchen aus dem Auge schwamm, er erkannte sie und jubelte […].»
Die Kraft der Liebe «Die Schneekönigin» bietet alles, was man von einem Märchen erwartet: sprechende Flüsse, Blumen und Tiere, gute Menschen ebenso wie Bösewichte, eine Prinzessin, einen Fluch und damit die Umkehr des Guten ins Böse, die Liebe, das Glück, den Glauben und am Ende schliesslich die erwartete Wende zurück zum Guten. In Ingrid Gündischs Inszenierung ziehen die Figuren und deren Schicksal in Kombination mit den zum Staunen arrangierten Bühnenbildern (Bühne und Kostüme: Helke Hasse) die Zuschauer mitten ins Geschehen hinein, lassen sie nicht mehr los, bis Gerda und Kay wieder glücklich vereint sind. Des Rätsels Lösung, die Liebe, die als Geheimnis des Lebens entziffert wird, erlöst schliesslich Kay und macht zugleich deutlich, dass die Liebe als unfassbare Kraft und Macht der reinen Intellektualität ebenbürtig gegenüber steht.
Foto: Annette Boutellier
ensuite, Januar 2011