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Kein Empfang

Von Iri­na Mahlstein — Ich bin abge­hauen, für fünf Wochen, ein­fach weg, weit weg, aus meinem Leben raus, nach Nepal. In ein Land also, wo Natel-Emp­fang und Inter­netab­deck­ung eher spär­lich sind. Nach zwei Wochen Urlaub habe ich es aufgeben, ständig nach Inter­netkaf­fees zu suchen; nach drei Wochen habe ich aufge­hört, mit meinem Natel markante Gelän­depunk­te anzu­peilen, in der Hoff­nung, dass sich das «Kein-Netz-Zeichen» endlich in «Orange» ver­wan­deln kön­nte. Nach­dem ich mich von diesen lästi­gen Gewohn­heit­en ver­ab­schiedet habe, da kam ich mir wieder wie ein Men­sch vor. Ja, men­schlich. Ich war nicht dik­tiert von meinen vie­len elek­tro­n­is­chen Geräten. Son­dern ich kon­nte nach freiem Willen entschei­den, wann ich was machte. Ohne dass mir mein Natel sim­ste, dass ich doch um sieben Uhr da und dort sein sollte und sound­so auch noch käme.

Meine Tage nah­men eine extrem sim­ple Form an, ich ver­fol­gte eigentlich nur noch die Abdeck­ung mein­er Grundbedürfnisse — namentlich: Wo, wann und was esse ich und wo schlafe ich. Bas­ta. Kein unsin­niger Freizeit­stress, kein ges­imse, kein geskype, kein gemaile, nichts. Irgend­wie schon irrsin­nig, wie wir ständig irgendwelchen aufre­gen­den Hob­bies und Freizeitbeschäf­ti­gun­gen nachren­nen, nur damit wir ein aus­ge­fülltes Leben führen kön­nen. Aber vielle­icht sind wir ja nur auf der Suche nach Ruhe. Jeden­falls kam mir mein ganzes Han­deln zu Hause plöt­zlich sehr lächer­lich vor. Aber wir leben nun mal in dieser Welt. Ich wäre nicht die erste, die in Asien zum eifrigen Schüler Bud­dhas gewor­den ist, um dann wieder zurück in der eige­nen Welt alle Vorsätze über Bord zu wer­fen.

So ist es denn auch gekom­men: Kaum zurück in Kath­man­du, suchte ich den erst­besten Emp­fang mit meinem Natel und stürmte in ein Inter­netkaf­fee. Das war wohl auch gut so. Son­st wäre die Tem­per­atur des kalten Wassers, in welch­es ich hier zu Hause sprin­gen musste, noch viel tiefer gewe­sen. Denn am Flughafen in Kath­man­du wurde mir noch ein­mal ein so her­rlich­er nepale­sis­ch­er Abschied geboten, dass es wirk­lich schw­er war, sich in der «alten» Welt wieder zurecht zu find­en. Ange­fan­gen hat es damit, dass das Sicher­heitsper­son­al am Flughafen mich mit meinem Moun­tain­bike (ver­packt in ein­er Kar­ton­schachtel!) nicht in den Check-in-Bere­ich lassen wollte. Irgend­wann ging’s dann doch.

Nach dem Eincheck­en wurde ich sogle­ich weit­erge­jagt Rich­tung Ter­mi­nals, die im oberen Stock­w­erk liegen. Aber bevor man die Roll­treppe hoch darf, muss man nochmals den Board­ing­pass zeigen, und dies, nach­dem man nur mit gültigem Flugtick­et in den Flughafen gelangt ist. Dann geht’s durch den Zoll, wo das Visa aus­gestem­pelt wird und wo man kurz den Board­ing­pass zeigen muss. Um zum Secu­ri­ty­check zu gelan­gen muss man dann kurz den Board­ing­pass zeigen. Nach­dem meine Taschen zweimal durch­leuchtet wur­den, schick­te man mich weit­er zu zwei net­ten Nepalesin­nen, die meine Tasche öffneten und nochmals alles durch­wühlten. Dabei nah­men sie mir eine Kle­berolle ab, die ich gebraucht hat­te, um mein Moun­tain­bike zu ver­pack­en, mit der Begrün­dung, dass ich damit jeman­den erwür­gen kön­nte. Eigentlich eine gute Idee, da wäre ich nie drauf gekom­men. Falls ich mal Ter­ror­istin wer­den möchte, dann werde ich mich an diesen Plan hal­ten.

Nach tiefem Wühlen in mein­er Tasche ist die nette Nepalesin auf ein Nec­es­saire mit Tam­pons gestossen, welche sie ver­dutzt anstar­rte und mich fragte, was das denn sei. Wie um Gotteswillen kann frau in diesem Land über­leben, wenn nicht mal die aller­grundle­gend­sten aller fraulichen Grundbedürfnisse gedeckt sind? Egal, ich musste ja meinen Flieger erwis­chen. Drum raus aus dem Secu­ri­ty-Bere­ich, nach­dem ich wohlge­merkt nochmals meinen Board­ing­pass zeigen musste. Dann weit­er den Gang ent­lang und dann links in die Halle mit den Ter­mi­nals, die man aber nur betreten durfte, nach­dem man den Board­ing­pass zum Vorschein brachte.

Wie die Men­schen wussten, dass es jet­zt Zeit war, um für den Flug nach Doha zu boar­d­en weiss ich nicht. Ein net­ter Nepalese hat mich darauf hingewiesen, dass dies mein Flug sei. Und nach­dem ich meinen Board­ing­pass gezeigt hat­te, durfte ich auch in den Flieger steigen. Auf dem Weg zum Flieger über­legte ich mir sogle­ich, wen ich zu Hause als erstes anrufe, was ich am näch­sten Abend machen kön­nte und wann ich wieder klet­tern gehen kann. Wel­come back!

Foto: Bar­bara Ine­ichen
ensuite, Juni/Juli 2009

Artikel online veröffentlicht: 24. August 2018