Von Morgane A. Ghilardi — Wir im 21. Jahrhundert haben den zweiten Big Bang miterlebt, und zwar den der Medien. In der Welt der Bücher, Comics, Games, Filme und des Internets können wir von Medium zu Medium springen auf der Suche nach Unterhaltung in Form simulierter Gewalt oder vorgetäuschter Liebe.
Die irrealen Multimediawelten, wie zum Beispiel die der Superhelden, verschachteln sich dank der Geldmaschinen dahinter immer mehr, so dass wir diesen Monat die Fortsetzung der Comicverfilmung «Iron Man» oder die Verfilmung des Videospiels «Prince of Persia» geniessen können. Da das Merchandising natürlich einen wichtigen Teil dieser expandierenden Medienmultiversen darstellt, werden auch bald Comics und Bücher zum Film erscheinen, die dann von den Fans auch brav gekauft werden. Kommentar von uns Zuschauern, Lesern und Spielern? Wenn es gut gemacht ist, macht es uns ja eigentlich Spass. Wir sind schliesslich die Kinder der Postmoderne, wir können mit der medialen Flut an Superhelden und anderer fiktiver Helden umgehen. Wieso eigentlich so viel darüber nachdenken?
Die Antwort: Wegen «Kick Ass», der Filmperle, welche dank praktisch nicht-existenter Werbetrommel fast völlig ignoriert wird. Der Film erzählt vom siebzehnjährigen Dave (Aaron Johnson), einem unauffälligen Highschoolschüler und Comicfan, der sich eines Tages fragt, wieso bei dem ganzen Getue um Superhelden noch niemand auf die Idee gekommen ist, selbst in ein Kostüm zu schlüpfen und für Gerechtigkeit zu sorgen. Er entschliesst sich, gleich selber zur Tat zu schreiten und als Kick Ass die Strassen von New York etwas sicherer zu machen. Dank YouTube und MySpace wird er über Nacht berühmt. Bizarrerweise trifft er tatsächlich auf andere maskierte Helden: Das zwölfjährige Hit Girl (Choë Grace Moretz), die wie Luc Bessons Mathilda im Superformat wirkt, und den Batman-Nachahmer Big Daddy (Nicolas Cage). Zusammen müssen sich die drei schlussendlich auch gegen einen gemeinsamen Feind durchsetzen, den skrupellosen Mafioso D’Amico (Marc Strong). Das ganze nach dem Motto: «This town ain’t big enough for both of us.»
Was vielleicht als Teenagerphantasie anfängt, stellt sich als die hundertmal originellere und spannendere Superheldengeschichte heraus, als es die Marvel- und DC-Verfilmungen jemals waren, weil sie in der quasirealen Welt der Handykameras und des Internetwildfeuers stattfindet. Die Stärke des Films liegt zweifellos darin, dass es sich um einen Genremix handelt, der auf allen Ebenen aufgeht. Er funktioniert als Actionfilm, Teeniekomödie, Satire und als Comicverfilmung (tatsächlich basiert der Film auf dem gleichnamigen Comic). Er kann einen durch ehrlich witzige Situationskomik Tränen in die Augen treiben, doch auch durch die teils unglaublich brutalen Prügeleien. Man wird konstant überrascht, ohne durch das Tempo völlig überfordert zu werden.
Wieso macht es solchen Spass, einer Zwölfjährigen beim Abschlachten von Gangstern zuzusehen? Weil es eben so gut gemacht ist? In seiner Machart verweist der Film auf den ästhetischen Sturm, den die sich gegenseitig beeinflussenden Medien auslösen. Hit Girls Actionsequenzen erinnern an Egoshooter-Spiele, verweisen aber auch auf die ästhetische Schule à la John Woo. Man darf den Film auch ruhig mit Tarantinos Pastichen vergleichen, wobei «Kick Ass» kein ödes Wiederkäuen des schon Vorhandenen ist, wie die letzten paar Filme des Kultregisseurs, sondern eine Kulmination unserer Erwartungen an das Kino.
Regisseur Matthew Vaughn hat mit «Kick Ass» ein Hybrid seiner Zeit erschaffen, welches mit viel Ironie und genialer Action die perfekte Unterhaltung für Comicfans bietet, aber auch für Actionliebhaber, die auf etwas so Erfrischendes wie damals «Matrix» gewartet haben. Dabei schafft er es auch noch, eine nicht zu aufdringliche Prise Sozialkritik hineinzubringen. Denn Dave alias Kick Ass versteht es, einem die Leviten zu lesen. «With no power comes no responsibility», sagt er, «Except, that wasn’t true». Spiderman widersprechend, sagt er, was er von einer Gesellschaft hält, in der Zivilcourage als Dummheit abgetan wird.
Vaughn hat übrigens schon seine nächste Comicverfilmung im Sack, denn 2011 soll er das nächste «X‑Men»-Prequel herausbringen. Man darf hoffen, dass er das Marveluniversum aufzupeppen vermag und weitere Comicfans begeistern wird. Ganz in der Tradition der Comicverfilmungen, steht natürlich auch eine «Kick Ass»-Fortsetzung auf dem Plan. Man darf hoffen.
Bild: Choë Grace Moretz alias Hit Girl / Foto: zVg.
ensuite, Juni/Juli 2010