Von Guy Huracek — Von Schweden nach Kongo: Es gibt einige Filme, die mir schon nach zwanzig Sekunden sympathisch sind. «Kitchen Stories», ein Film aus Norwegen und Schweden, beginnt mit einem kurzen Einleitungsfilm: Ein Countdown schlägt von sieben auf drei. Man sieht zahlreiche Wissenschaftler, die peinlich genau Probanden beim Hantieren mit skurrilen Haushaltsgeräten beobachten. Es läuft Jazz im Hintergrund, eine hektische Frauenstimme kommentiert das Geschehen und es wird geraucht. Jeder einzelne Wissenschaftler ist auf seine Art und Weise charakteristisch. Der eine hat eine zusammengewachsene Augenbraue, eine andere mehr Nase als Gesicht. Nach diesen zwanzig Sekunden habe ich mich in den Film «Kitchen Stories» verliebt.
Das schwedische Forschungsinstitut für Heim und Haushalt hat während den 50er-Jahren in Schweden intensive Studien über das Verhalten der Hausfrauen in Küchen untersucht. Mit den Ergebnissen dieser Untersuchungen wurden moderne Küchengeräte besser in den Alltag eingebunden, unnötige Bewegungen verkürzt und die Kücheneinrichtungen neu konzipiert. Durch diesen Erfolg beflügelt, beschliesst das Institut, sich auf eine neue Zielgruppe, nämlich männliche Junggesellen, zu konzentrieren. Zu diesem Zweck werden zahlreiche Beobachter in ein kleines Dorf in Norwegen geschickt. Von einem Hochsitz aus dokumentieren die Forscher akribisch genau jede Bewegung der Freiwilligen in ihren Küchen. Davon bekommt Be-obachter Folke den kauzigen, alleinstehenden Isak zugeteilt. Während dieser Observierung ist jegliche Konversation untersagt. Isak ist von der ungewohnten Situation gar nicht begeistert und beginnt, den Beobachter Folke zu necken und zu quälen. Beispielsweise schaltet er oft das Licht aus, damit Folke im Dunkeln seine Aufzeichnungen auf Papier kritzeln muss. Mit einem nervigen Tropfen eines Wasserhahns, lautem Schmatzen und dem Aufhängen von Wäsche nagt Isak an den Nerven von Folke. Zu guter Letzt beginnt das Versuchsobjekt selbst durch ein Loch in der Decke den Beobachter zu beobachten. Den Wendepunkt dieser Feindseligkeiten löst eine leere Tabakdose aus. Folke hilft Isak, der sichtlich unter Nikotinmangel leidet, mit ein wenig Tabak aus. Es ist der Beginn ihrer Freundschaft.
Besonders interessant sind bei «Kitchen Stories» die fiktionalen Charaktere. Der Regiesseur Bent Hamer, der zugleich auch Drehbuchautor und Produzent war, gab in einem Interview im Filmmagazin «Schnitt» bekannt, dass ein Charakter dann interessant für ihn sei, wenn er gerade kein Interesse hervorrufe. Wenn man sich traue, auf das sogenannt Uninteressante, Alltägliche, hinzusehen, gebe es immer viel zu entdecken.
Die Machart des Films ist ruhig und gemütlich. Einzelne Einstellungen klingen langsam aus und es entsteht eine träge, entspannte Atmosphäre. Wer den Film «Milk» gesehen hat oder Filme von Jim Jarmusch kennt, kann sich vorstellen, von welcher Ruhe ich spreche. Auffallend ist auch die Farbkomposition des Films. In der öden, grau-blauen Landschaft stechen beispielsweise ein roter Traktor und ein rotes Holzpferd ins Auge.
Der Film ist vollgespickt mit unzähligen schrägen und ungewohnt alltäglichen Details. Unter anderem empfängt Versuchsobjekt Isak wegen seinen Silberzahnfüllungen Radio im Mund. Es wird mehr geraucht als gesprochen und sehr oft schnäuzt sich jemand die Nase, hustet oder kratzt sich irgendwo. Eine derartige ungewohnt alltagsbezogene und fast schon zu realistische Schauspielerei erinnert mich an den Film «Einer Flog über das Kuckucksnest».
Obwohl der Film als eine hinreissende Komödie beschrieben wird, lacht Bent Hammer über solche Klassifizierungen. Er verstehe, dass Verleiher zu Promotionszwecken Etiketten für Filme finden müssten. Er habe noch nie eine Komödie gedreht. Für ihn sei Humor der beste Weg, eine ernste Botschaft zu vermitteln. Entscheidend sei aber immer die Art des Humors.
Bent Hamer fand die Inspiration für den Film aus Instruktionsbüchern über glückliches Familienleben aus den 50er-Jahren. Das schwedische Forschungsinstitut (HFI) hat wirklich existiert. Zwei ehemalige Mitarbeiterinnen halfen dem Regiesseur Bent Hamer mit Hintergrundwissen. Der kurze Einleitungsfilm, die ersten 20 Sekunden, ist eine Reproduktion eines HFI-Filmes. Fiktion ist, dass die Forscher die Leute besuchten, denn es wurden nur Tests in ihren Laboratorien durchgeführt. Und sie untersuchten auch nie das Küchenverhalten von Single-Männern. Dies war die Idee von Bent Hamer.
«Die Tageszeitung» (Taz) beschrieb «Kitchen Stories» als «wunderbare Wissenschaftskritik der averbalen Art», und die «Frankfurter Rundschau» bezeichnete den Film als «wundervoll absurdes Kammerspiel — ohne Worte».
Das schwedische Forschungsinstitut für Haushalte kam zu einem faszinierenden Ergebnis: Eine Hausfrau legt in der Küche in einem Jahr eine Strecke zurück, die der zwischen Schweden und Kongo entspricht.
Foto: zVg.
ensuite, Mai 2009