Von Fabienne Naegeli – Nach den riesigen Maskottchen in «Mascots» und «Mascots II – Sie kommen nicht zur Ruhe» wird Schauplatz International in ihrem neuen Stück «Sehnsucht nach Familie Krause» winzig klein und begibt sich in die Welt der Preiser Modellfiguren. Die Firma Preiser stellt seit 1949 im fränkischen Steinsfeld und auf Mauritius Tausende von realistisch aussehenden Menschen in Miniaturformat her, die in verschiedensten Lebenslagen, bei Freizeitaktivitäten, in diversen Berufen und Epochen gezeigt werden und unzählige idyllische Eisenbahnlandschaften, Architekturmodelle sowie Dioramen bevölkern. Die Preiser-Figürchen im Massstab H0 verkörpern eine bessere Welt voller Ruhe, Frieden und beruhigender Normalität. Jede Figur dieser utopischen Gesellschaft hat ihr Kostüm, ihre Pose und ihre Aufgabe. Alles ist festgelegt, übersichtlich angeordnet und wiegt sich in vollkommener Sicherheit und Sorglosigkeit. Ein Figuren-Set im Sortiment der Firma ist die in den 60er Jahren entstandene Familie Krause. Schauplatz International macht sich in «Sehnsucht nach Familie Krause» auf die Suche nach dieser Drei-Generationen-Familie und taucht so in eine Ideal-Welt ein, die gleichzeitig ein Abbild unserer Realität darstellen soll. Welche Möglichkeiten hat diese schöne, andere Welt und welche Sehnsüchte und Träume gehen dort in Erfüllung? Die 1999 gegründete, deutsch-schweizerische Gruppe besuchte den Familienbetrieb und den Schöpfer der Preiserleins, erforschte die Produktion der Modellfiguren, traf nach einigen Recherchen die Erfinderin der Krauses und versuchte selbst in den Preiser Modellbaukatalog zu gelangen. Doch welche Kleidung soll man tragen, wenn einem das ewige Leben geschenkt wird? Welche starre Haltung in dieser tödlichen Freeze-Position einnehmen? Wer sind wir als Künstlergruppe eigentlich und welches Potenzial steckt in diesem Innehalten? Diesen Fragen mussten sich Schauplatz International bei ihrem Versuch Unsterblichkeit, Objektivierung und ewiger Stillstand zu erlangen stellen. Im Stück, das ans diesjährige Figurenfestival in Erlangen eingeladen wurde, sitzen die Mitglieder von Schauplatz International um ein massstabsgetreues Raummodell, das von Videokameras umgeben ist, und schaffen gottgleich mit den scheinbar bühnenuntauglichen Minimenschen ein Paralleluniversum. Den Fall der Berliner Mauer, eine Begegnung mit der Grossmutter wie auch eine Indienreise und andere sehr persönliche Augenblicke aus dem Leben jedes Einzelnen der Gruppe werden erinnert, nachgestellt, eingefroren und schnappschussartig festgehalten. In der Aneinanderreihung dieser wichtigen Momentaufnahmen tauchen vermeintlich immer wieder irgendwo die Krauses auf. Weitere, im realen Theaterraum verteilte Kameras fangen wie für eine Überwachungsgesellschaft typisch das Publikum ein und lassen dieses dank moderner Schnitttechnik an der konstruierten Heile-Welt-Wirklichkeit teilhaben. Dabei löst sich langsam die Grenze zwischen Realität und Fiktion auf. Die tatsächlichen und nachgestellten Räume, Körper und Bilder verschmelzen verwirrend bis zur Unkenntlichkeit, und möglicherweise erfüllt sich die hoffnungslos anmutende Sehnsucht von Schauplatz International, auf der Suche nach der Normalität der echten Familie Krause zu begegnen.
Foto: zVg.
ensuite, Februar 2011