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Kleines, cooles Zeug

(Con­stan­tin Seibt) —

Als Stu­dent klebte ich mir eine 50-Wort-Liste mit allen denkbaren Kon­junk­tio­nen an die Wand hin­ter den Schreibtisch. Also mit Wörtern wie

deshalb, hinge­gen, also, wenn auch, nichts­destotrotz, ganz im Gegen­teil, gle­ichzeit­ig, etc.

Und mit kon­junk­tion­sähn­lichen Hochsta­pler-Formeln wie

a impliziert b

was in der  The­o­rie «wenn a, dann b» hiess, aber in der Prax­is, dass a und b auf eine undefinier­bare, aber mut­masslich ursäch­liche Art zusam­men­hin­gen.

Diese Liste half, unsortierte Gedanken in min­i­maler Zeit in eine akademis­che Arbeit zu ver­wan­deln – ein­fach, indem man sie mit den richti­gen Kon­junk­tio­nen verknüpfte. Alles blieb logisch, obwohl man Slalom fuhr.

Heute, als Jour­nal­ist, scheint mir das weniger möglich. Vielle­icht, weil ich ser­iös­er wurde. Vielle­icht auch nur aus Man­gel an unsortierten Gedanken. (Oder ist das das­selbe?)

Trotz­dem habe ich auch im Jour­nal­is­mus eine Liste, nur ist sie etwas klein­er.

Sie beschäftigt sich haupt­säch­lich mit zwei Prob­le­men, die Jour­nal­is­mus von Lit­er­atur tren­nen. Diese Tren­nung beste­ht natür­lich nicht in der Unter­schei­dung von Fak­ten und Fik­tion. (An eine scharfe Tren­nung dazwis­chen glauben nur berufs­ferne Leute.) Son­dern in zwei ästhetis­chen Beschränkun­gen, die im Jour­nal­is­mus unver­mei­dlich sind:

  1. Der Man­gel an Platz. Im Print beschränken einen die Quadratzen­time­ter, im Netz das Zeit­bud­get.
  2. Der Man­gel an Aufmerk­samkeit. Jour­nal­is­mus ist prak­tisch immer nur eine Zugabe: zu Kaf­fee, Pause oder Nahverkehr. Die Leser sind hal­bkonzen­tri­ert. Man kann sich in dem Meti­er keine schweben­den Kon­struk­tio­nen leis­ten. Klarheit ist Pflicht. Während Lit­er­atur Aquarell malen darf, muss der Jour­nal­is­mus wie ein Kind alles schwarz umran­den.

Kurz: Man muss Tem­po, Kon­trast und Klarheit her­stellen.

Dazu hier ein paar sim­ple Werkzeuge:

1. Ori­en­tierung

Bei län­geren Beschrei­bun­gen, Zusam­men­fas­sun­gen, Argu­men­ta­tio­nen driftet der Leser fast immer etwas weg. Sein Kopf bum­melt, die Sache ver­schwimmt. Einen schar­fen schwarzen Rand set­zt man hin­ter eine län­gere Pas­sage mit ein­er Wen­dung wie…

Kurz,

Kein Wun­der, dass …

In einem Wort: (Und hier nur ein Wort brin­gen!)

Das Faz­it:

Die Bilanz:

… und fasst die Sache in einem Satz noch ein­mal zusam­men. Dieser Satz sollte die Wucht eines Fall­beils haben. Er muss den Leser gle­ichzeit­ig informieren und weck­en.

Also: Wenn man etwa länger darüber referiert hat, dass es unsin­nig ist, zu glauben, dass nach dem Rück­tritt von Top­man­agern etwas anders wird, weil nun die ehe­ma­li­gen Num­mern 3 und 4 des Konz­erns das Kom­man­do übernehmen, die zwar unauf­fäl­liger sind, aber die gle­iche Philoso­phie vertreten, weckt man den Leser mit einem Satz wie:

Kurz: Die Köpfe wech­seln, aber die Gehirne bleiben die gle­ichen.

Oder man beschreibt die extrem lockere Geld­poli­tik des US-Noten­bankchefs Alan Greenspan und endet mit:

Sein Rezept? Dr. Greenspan bekämpfte jeden Kater an der Börse mit einem Kar­ton Schnaps.

Auch wenn einem kein ganz her­vor­ra­gen­der Slo­gan ein­fällt: Nach ein­er län­geren Pas­sage ist ein kurzes Faz­it fäl­lig. Denn der Leser bewegt sich in einem Text wie ein Tourist in ein­er unbekan­nten Stadt. Und wie jed­er Tourist ist er froh um eine gele­gentliche Karte mit einem Pfeil, auf dem ste­ht: Sie befind­en sich hier.

2. Eins, zwei drei!

In einem Kom­men­tar diese Woche im «Tages-Anzeiger» schrieb Lil­iana Minor Fol­gen­des:

Dem Zürcher Sozialvorste­her ist ein geschick­ter Schachzug geglückt: Noch bevor sich die Geg­n­er der Per­so­n­en­freizügigkeit für die Abstim­mung vom Feb­ru­ar in Posi­tion brin­gen, entkräftet er eines ihrer ver­meintlich besten Argu­mente: Die Zuwan­der­er aus der EU belas­ten unser Sozial­sys­tem nicht. Damit bringt er die Befür­worter offen­sichtlich ins Schwim­men. Denn sie greifen zu den Argu­menten der­er, die keine Argu­mente haben.

Erstens: Sie wer­fen Was­er vor, er lief­ere Zahlen unge­fragt. Als ob das nicht erlaubt wäre. Zweit­ens: Sie reden das The­ma klein. Dabei ste­ht es in ihrem eige­nen Argu­men­tar­i­um ganz oben. Drit­tens: Sie fra­gen, wie viele der Schweiz­er in der Sozial­hil­fe «echt» sind — als ob Einge­bürg­erte öfter Sozial­hil­fe beziehen wür­den. Viertens: Sie behaupten, EU-Bürg­er drängten andere in die Sozial­hil­fe. Fün­ftens: Sie behaupten, was nicht eingetrof­fen sei, komme schon noch. Irgend­wann in fern­er Zukun­ft. Einen Beleg für diese let­zten drei Behaup­tun­gen bleiben sie aber schuldig.

Auch wenn ver­ständlich ist, dass die Befür­worter zu ret­ten ver­suchen, was zu ret­ten ist: Das ist bil­lig.

Das handw­erk­lich Inter­es­sante daran ist der Abschnitt zwei. Er ist von gross­er Dichte, gross­er Kom­plex­ität, aber auch von gross­er Klarheit. Bei Argu­men­ta­tio­nen (oder auch Zusam­men­fas­sun­gen von ange­le­sen­em Stoff) kann man enorm Platz sparen, indem man die Struk­tur erstens, zweit­ens, drit­tens ver­wen­det. Der Grund: Man killt die Übergänge und gewin­nt Über­sicht.

Wenig macht mehr Tem­po als dieser Trick. Ganze Lebensleis­tun­gen lassen sich so in Kürze zusam­men­fassen:

Gerold Bührers poli­tis­ches Cre­do ist seit zwanzig Jahren gle­ich: 1. Mehr Markt. 2. Steuern runter. 3. Sparen.

Es gibt keine Struk­tur, die für Jour­nal­is­ten hil­fre­ich­er ist.

3. Ein­gelegte Dialoge

Bei Por­traits und Reporta­gen geht es nicht nur um Tem­po, son­dern auch darum, dieses zu vari­eren. Sehr cool zur Drosselung sind ein­gelegte Dialoge, also Mini-Inter­viewfet­zen oder Mini-The­ater­szenen mit­ten in der Beschrei­bung. Das kön­nen lange, aber auch kürzere Pas­sagen sein, wie in einem Por­trait von Jean Ziegler:

Ziegler: «Es gibt ein Wort von Karl Kraus, das ich in meinem Arbeit­sz­im­mer hän­gen habe: Er schiesst häu­fig über das Ziel hin­aus, aber sel­ten daneben.»

WoZ: «War Karl Kraus nicht auch der, der sagte, dass er für ein falsch geset­ztes Kom­ma die ewige Ver­damm­nis aussprechen würde?»

Ziegler: «Ich ziehe trotz­dem das erste Zitat vor.»

Dialoge fressen zwar Platz, brechen aber den Rhyth­mus. Sie funk­tion­ieren wie der O‑Ton in einem Radio-Fea­ture. Als Beweis, dass man da war.

Soweit meine drei Lieblings­stan­dard­tricks. Jet­zt ken­nen Sie alle Geheimnisse.

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