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Knalltüten

Von Guy Huracek — «Zwerge Spren­gen» ist der neue Film von Christof Scherten­leib. Der Bern­er Regis­seur, Drehbuchau­tor und Cut­ter spricht mit Guy Huracek über seinen neuen Film, die Bedeu­tung von Zwer­gen und die Schweiz­er Film­poli­tik.

Christof Scherten­leib, in Ihrem Film geht es um eine Fam­i­lie, die sich trifft, um gemein­sam Zwerge zu spren­gen – eine Fam­i­lien­tra­di­tion sozusagen. Doch in diesem Herb­st ist alles anders: Die bei­den ältesten Söhne steck­en in Schwierigkeit­en, eine Fremde dro­ht die Ein­tra­cht zu stören und auch bei anderen Mit­gliedern der Fam­i­lie scheint alles auf Sand gebaut. Eine Zusam­men­fas­sung ihres Filmes?

Ja, unge­fähr so fasse ich meinen Film sel­ber zusam­men. Aber Ihre Frage zeigt, dass sich meine Filme nicht leicht zusam­men­fassen lassen, weil sie aus vie­len ver­schiede­nen Ele­menten beste­hen. Eine Zusam­men­fas­sung set­zt Schw­er­punk­te, und genau das wird auch hier gemacht. Meine Filme leben von Einzel­szenen und assozia­tiv­en Verknüp­fun­gen, in deren Mit­telpunkt immer die Haupt­fig­uren ste­hen. Bei «Zwerge spren­gen» sind das die bei­den Söhne. Das Fam­i­lien­tr­e­f­fen bildet den Kern­punkt der Geschichte. Danach richtet sich der Fokus immer mehr auf die bei­den Brüder, darauf, dass sich der eine beim anderen ein­nis­tet, Geld braucht und die ehe­ma­lige Jugend­liebe wieder ins Spiel bringt.

Sie sagten, Ihre Filme könne man nicht leicht zusam­men­fassen. Leben Ihre Filme mehr vom Moment?

Vom Moment würde ich nicht sagen. Ich gehe immer von den Fig­uren aus, entwick­le sie und ver­suche, möglichst span­nend und vielschichtig von ihnen zu erzählen. Es gibt sel­ten eine Hand­lung die von A nach B führt. Auss­er bei den Fernse­hfil­men, die eine bes­timmte dra­matur­gis­che Entwick­lung voraus­set­zen. Das lässt sich dann natür­lich viel leichter zusam­men­fassen. Auch die Kinofilme klin­gen in der Zusam­men­fas­sung ein­fach­er; wer aber nach­fragt, ob genau das der Inhalt sei, dem antworte ich, dass das immer nur einen Teil trifft. Wenn ein Jour­nal­ist meinen Film inhaltlich anders beschreibt, als ich es tun würde, dann ist diese Zusam­men­fas­sung meist eben­falls stim­mig.

«Zwerge Spren­gen» – Wollen Sie damit den Schweiz­er Bün­zli spren­gen?

Da die Frage leicht sug­ges­tiv ist, sage ich mal ja. Ich inter­pretiere das nicht – natür­lich kommt mir das zwar auch so in den Sinn – damit spiele ich auch. Ich würde das jedoch nie auf den Bün­zli allein begren­zen.

Was hat der Garten­zw­erg in Ihrem Film für eine Bedeu­tung?

Die eige­nen Filme zu inter­pretieren, finde ich immer höchst prob­lema­tisch. Die ersten Reak­tio­nen der Zuschauerin­nen und Zuschauer zeigen, dass die Bedeu­tung der Zwerge nicht nur für mich, son­dern auch all­ge­mein ein rel­a­tiv bre­ites Spek­trum hat.

Inwiefern?

Ein Teil ist genau so wie Sie es for­muliert haben: Er ist ein Sym­bol für eine spiess­bürg­er­liche Hal­tung. Das gilt auch für die Pfar­rers­fam­i­lie im Film, sie will sich durch diesen Brauch ein biss­chen orig­inell von dem Ort, wo sie leben, abgren­zen.

Eine Fam­i­lie, die Zwerge in die Luft sprengt, das kommt ver­mut­lich nicht sehr oft vor. Wie sind Sie auf eine solche Idee gekom­men?

Meine Inspi­ra­tion habe ich meist von konkreten Din­gen, die ich dann über­set­ze. Beim Zwerge spren­gen waren das ver­schiedene Quellen, zum Beispiel absurde Sil­vester­bräuche oder eine Garten­zw­ergverkauf­sstelle in Zäzi­wil. Wie das entste­ht, kann ich an einem ein­fachen Beispiel erläutern: Mir hat mal jemand aus­führlich die Geschichte der Ver­pack­ungs­fab­rik in Wasen erzählt. Der ursprüngliche Fam­i­lien­be­trieb geri­et nach lan­gen Jahren des Erfol­gs ins Schlingern und kam unter eine neue Geschäft­sleitung. Dies habe ich dann so in Fik­tion über­set­zt, dass dort die Jugend­liebe der Brüder als Con­trol­lerin arbeit­et und der eine Brud­er in diesem schlingern­den Betrieb die Möglichkeit sieht, Geld zu investieren und ver­di­enen. Auch bei anderen Geschicht­en braucht es für mich einen tat­säch­lichen Hin­ter­grund, damit es für mich glaub­würdig wird und es mir das Pub­likum beim Erzählen auch abn­immt. Aber natür­lich wer­den die Fig­uren und die Geschichte fik­tiv verän­dert.

Haben Sie erwartet, dass die Zuschauer­reak­tio­nen unter­schiedlich sein wer­den?

Klar, da das ja nicht mein erster Film ist, habe ich das erwartet. Meine Filme beziehen ihre Kraft aus der Beschrei­bung von Din­gen und Fig­uren, die viele Leute ken­nen, die sie mit ihren eige­nen Erfahrun­gen ver­gle­ichen, anre­ich­ern, ergänzen. Dieses Spiel lehnen manche ab, es geht ihnen zu nah, andere sind genau deswe­gen begeis­tert.

Kön­nen Sie dies über Ihre früheren Filme auch sagen?

Ja. Im Grossen betra­chtet sind sie ver­wandt. Ich kann mich als Autor nicht ver­leug­nen. Ich suche auch immer wieder den gle­ichen Ton­fall. Jedoch im Detail betra­chtet, unter­schei­den sich meine Filme. Ich erzäh­le von anderen Fig­uren und andere Geschicht­en.

Ist «Zwerge Spren­gen» ein Heimat­film?

Defin­i­tiv nicht, zumin­d­est nicht so, wie der Begriff meist ver­standen wird.

Kann man Ihren Film in gar kein Genre einord­nen?

Wenn man mich nach dem Genre fragt, um den Film zu kat­a­l­o­gisieren, dann sage ich: Es ist eine «Comédie humaine», wie in Frankre­ich viele Filme ange­priesen wer­den. Dort gilt das als eigenes Genre, das sehr stark in der Wirk­lichkeit ver­ankert ist und mit den Wider­sprüch­lichkeit­en der Men­schen spielt. Als Autor beziehe ich aus den span­nen­den oder absur­den Wider­sprüch­lichkeit­en der Men­schen den Humor. Mein Film ist keine Komödie, auch keine Tragödie, er lädt allen­falls zum Schmun­zeln ein, und dafür kenne ich keine genaue Gen­re­beze­ich­nung. Gen­re­filme passen immer in eine Schublade und daneben gibt es Filme, die in keine Schublade passen. Die Filme, die ich schnei­de, zum Beispiel die von Ulrich Sei­dl («Import Export»), passen meis­tens in gar keine Schublade. Es sind wed­er Spielfilme noch Doku­men­tarfilme.

Wenn es um Filmgelder geht, beisst man auf beim Bun­de­samt für Kul­tur oft auf Gran­it. Auch Ihr Film wurde zweimal abgelehnt. Wieso ist es Ihrer Mei­n­ung nach in der Schweiz so schwierig, finanzielle Mit­tel für einen Film zu bekom­men?

Das grösste Prob­lem ist, dass zu wenig Geld ver­füg­bar ist. In der Schweiz müssen vier oder fünf Kom­mis­sio­nen zusagen, bevor ein Spielfilm finanziert ist. Das führt zwangsläu­fig zu Prob­le­men. Den einen gefällt dies nicht, den anderen das. Man muss die Leute von fünf Kom­mis­sio­nen überzeu­gen, bis es einen Film gibt. So wie die eid­genös­sis­che Film­poli­tik jet­zt geprägt ist, wird ver­sucht, auf der einen Seite grosse Loko­mo­tiv­en zu machen und auf der anderen Seite Fes­ti­val-Erfolge. Das ver­hin­dert eine gewisse Bre­ite. Wenn es keine Bre­ite gibt, müssen die geförderten Filme auf jeden Fall Erfolge wer­den. Und das ist ein grund­sät­zlich­es Prob­lem. Auch in Hol­ly­wood set­zt sich nur jed­er zehnte Film durch, obwohl alle als Erfolg geplant wur­den. Wird die Bre­ite ein­schränkt, gibt es weniger Vielfalt, das Haupt­prob­lem aber ist tat­säch­lich, dass es zu wenig Geld für eine qual­i­ta­tiv hochste­hende Spielfilmkul­tur hat. Entwed­er schafft es ein Film und läuft über Wochen im Kino und erre­icht über 100 000 Zuschauer – was rel­a­tiv sel­ten gewor­den ist, oder aber dann ver­schwindet ein Film in vie­len Fällen nach kurz­er Zeit aus dem Kino. Das Kino­geschäft hat sich in den let­zten Jahren sehr verän­dert.

Ursprünglich haben Sie Ger­man­is­tik, Jour­nal­is­tik und Psy­cholo­gie studiert. Was hat Sie bewegt, Filme zu machen?

Ich wollte ursprünglich Filmkri­tik­er wer­den. Ich schrieb bei der «Bern­er Tag­wacht» und beim «Bund». Die Film­schule in Wien besuchte ich, weil ich als Filmkri­tik­er die tech­nis­che Seite ken­nen­ler­nen wollte. Auf dem Weg zum Filmkri­tik­er hat ein Wech­sel stattge­fun­den und ich begann, mich mehr für die andere Seite, die hin­ter der Kam­era, zu inter­essieren.

Die Medi­en­land­schaft hat sich sei­ther stark verän­dert. Viele Zeitun­gen existieren nicht mehr, einige Rubriken wur­den abgeschafft – gibt es heute noch vielschichtige Filmkri­tik?

Es gibt nicht mehr viele Filmkri­tik­erin­nen und Filmkri­tik­er. Vor 20 Jahren war dies anders. Bei meinen ersten in Solothurn gezeigten Stu­den­ten­film sind unge­fähr zehn ver­schiedene Filmkri­tiken erschienen. Bei einem halb­stündi­gen Film! Wenn ich heute bei «Zwerge Spren­gen» – abge­se­hen von Inter­views und Vorschauen – richtige, aus­führliche Filmkri­tiken suche, dann muss ich froh sein, wenn es mehr als zwei sind. Die Medi­en­si­t­u­a­tion ist heute völ­lig anders. Ich weiss nicht, wie viele Filmkri­tik­er in der Schweiz noch von ihrer Arbeit leben kön­nen. Ver­mut­lich noch fünf bis zehn.

 

Foto: zVg.
ensuite, April 2010