Von Lukas Vogelsang — Ai Weiwei ist eine umstrittener zeitgenössischer Popkünstler – deswegen jedoch nicht minder genial. Im Gegenteil: Ai Weiweis Kunst ist nebst seinen imposanten Objekten und Ausstellungen vor allem die Kommunikation. Er weiss sehr genau, wie man sich inszeniert und damit weltweit gehört wird. Auf die Frage, als was für ein Künstler er sich selber sehe, antwortet er: «Ich sehe mich eher als einen Schachspieler. Mein Gegner macht einen Zug, ich mache einen Zug.» Dieser Fakt wird umso radikaler, wenn man sich mit dem Staat China anlegt. Ein Dokumentationsfilm bringt uns dem Künstler näher.
Bekannt ist Ai Weiwei bei uns erst seit etwa dem Jahr 2003/2004. Zusammen mit dem Schweizer Architekturbüro Herzog & Meuron gewann er den Architekturwettbewerb und gemeinsam entwarfen sie das Nationalstadion für die Olympischen Sommerspiele 2008. Das brachte Ai Weiwei weltweit viel Aufmerksamkeit. Ai Weiwei war schon zuvor bekannt – allerdings eher im asiatischen Raum. Beispielsweise provozierte er im Jahr 2000 mit der Ausstellung «Fuck you» an der Biennale von Shanghai und erhielt einige Kritiker zu hören, die ihn nur als «gierig nach Aufmerksamkeit» einstuften, oder bemängelten, dass er die Politik Chinas auf Schwarz-Weiss reduziere. Diese Kritik begleitet Ai Weiwei oft. Vielleicht trifft es zu, vielleicht müssten sich diese Kritiker nur von der Idee lösen, dass Kunst nur auf Objekte und nicht auch auf Konzepte anzuwenden ist. Auch möglich, dass es nur Gegenpropaganda sein sollte, denn einer der wesentlichen Unterschiede von westlichen Konzeptkünstlern, allgemeinen Kommunikationskünstlern und Ai Weiwei ist, dass Ai Weiwei in China aktiv ist. Was hier nicht in das System passt, wird mundtot gemacht. Und so kam es dann auch im Jahr 2011, als Ai Weiwei spurlos verschwand, um später offiziell zum vom Staat festgenommenen Steuerbetrüger erklärt zu werden. Wen wunderte es? Ein Künstler, welcher den «Stinkfinger» gegen die chinesische Macht erhebt und dies öffentlich feiert, müsste eigentlich mit Schlimmerem rechnen. Bei chinesischen Studenten reicht es bereits, in einem Blogg im Internet das falsche geschrieben zu haben. So ist es gerade die mediale Popularität, welche Ai Weiwei weltweit errungen hat, die ihn und seine Familie vor dem Schlimmsten schützt, und beispielhaft Chinas Freiheitsverständnis in aller Welt bekannt macht.
Ja, es ist gefährlich, so mit den Behörden umzugehen. Aber was noch gefährlicher ist, ist, dass es sonst niemand macht. (Ai Weiwei)
Ai Weiwei ist ein zeitgenössischer Märtyrer, ein bejubelter Kommunikationsterrorist, ein Freiheitskämpfer, oder einfach ein chinesischer Robin Hood und natürlich Vorbild für die jungen Generationen. Seine Schwäche ist seine Stärke.
Allerdings wäre eine solche Reduktion des Künstlers Ai Weiwei fatal. Sein Engagement, ob in Kunst oder Politik, ist ernst gemeint. Auch eine Mitarbeiterin meint: Ai Weiweis Arbeit habe nicht nur mit Kunst zu tun, sondern mit dem Leben. Er weiss sehr genau zwischen Spiel, Provokation und Kunst zu unterscheiden. So beginnt der Dokumentarfilm «Never Sorry» unter anderem mit der Geschichte über die Tausenden durch ein grosses Erdbeben getöteten Schulkinder, welche von der Regierung verschwiegen wurden. Ai Weiwei filmte und dokumentierte in der Provinz Sichuan und zeigte, wie die aus Billigstmaterial gebauten Schulen wie Kartenhäuschen zusammengefallen sind. Er sammelte mit Freiwilligen mühselig die Namen und veröffentlichte ein Jahr später in seinem Blog die Liste mit den 5’212 bei dem Erdbeben umgekommenen Kindern. An der Ausstellung «So sorry» erinnerten 9’000 Schulrucksäcke an der Fassade des Hauses der Kunst in München an die Schulkinder. Das war für die chinesische Regierung definitiv zuviel.
Ai Weiwei arbeitet – wenn er mal nicht multimedial über das Internet mit der Welt im Kontakt steht – auch im Studio nicht alleine. Viele HelferInnen setzen seine Ideen um. Im Dokumentarfilm erhalten diese Menschen ebenfalls eine Stimme – zum Teil erhalten wir hier Statements über Ai Weiwei, welche uns ermöglichen, mehr über diesen Popstar der Kunst zu erfahren. Intelligenterweise erhalten wir auch sehr viele Infos zu früheren Bewegungen und Geschichten der Kunstszene.
Der Film selber wurde von der jungen Regisseurin Alison Klayman gedreht. Es ist ihr erster Film. Sie war drei Jahre lang mit Ai Weiwei unterwegs und hat versucht, mehr über diesen Menschen, seine Motivation und Antriebskraft herauszufinden. Das ist grösstenteils gelungen. Allerdings war es kein leichtes Unterfangen. Im Film ist es oft schwierig, all den Themen und Texten zu folgen, sie zu verstehen. Der Filmschnitt ist zu nervös und macht noch zusätzlich Tempo. Viele Szenen sind mit wackliger Handkamera gedreht. «Never Sorry» darf man sich aber ruhig zwei Mal ansehen.
Foto: zVg.
ensuite, August 2012