Von Karl Schüpbach — Ein markanter Rückschritt: In der Oktober-Nummer von ensuite, habe ich unter dem Titel «Politik und Kultur – kann es je zu einem vollwertigen interdisziplinären Austausch kommen?» die leidige Tatsache beklagt, dass es zwischen Politik und Kultur keinen Austausch gibt, und dies in einer Zeit, wo fachübergreifende Gespräche immer mehr zu einem Muss werden. Dies klingt sehr allgemein, das soll es auch, aber in unserem Zusammenhang soll präzisiert werden: es geht um die Unmöglichkeit eines echten Austausches zwischen der Politik von Kanton, Stadt und umliegenden Gemeinden einerseits, und den grossen kulturellen Institut Stiftung Berner Symphonieorchester (BSO) und Stadttheater Bern (STB), neuerdings fusioniert unter dem Namen Konzert Theater Bern (KTB), andererseits. In einer ersten Fassung dieses Artikels habe ich Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, eine Anzahl von handfesten Beweisen für diese gegenseitige Verständnislosigkeit formuliert. Davon möchte ich Abstand nehmen: ich wiederhole mich in unserem Kulturmagazin immer wieder, und davon habe ich genug, umso mehr als ich feststellen muss, dass es sich immer wieder um Themenkreise der Vergangenheit, oder aber um das Zustandekommen der bereits erwähnten Fusion handelt, um es nochmals klar fest zu halten, es geht mir immer wieder um das Wie, aber nicht um die in meinen Augen klare Notwendigkeit.
Nicht viele, nur zwei Beispiele, die das Fehlen eines echten Dialoges belegen sollen Auf Seiten der Politik: der für die Fusion bei gezogene – und vielfach hochgejubelte Basler Kulturmanager (seine Vorschläge erwiesen sich für Bern als nicht brauchbar) Cyrill Haering sah es für unabdingbar an, dass an der Spitze der neu zu gründenden Institution nicht ein Künstler, sondern ein Manager zu stehen habe. Herr Hans Lauri, der Präsident der neuen Stiftung übernahm diese Forderung wie ein Dogma, eine Diskussion darüber – Künstler oder Manager wurde in der Öffentlichkeit nicht geführt. Umso grösser war das Erstaunen, dass derselbe Herr Lauri an einer Pressekonferenz den Theater-Künstler Stephan Märki als neuen Leiter von KTB vorstellte, er verlor kein Wort über die Gründe dieses gewichtigen Meinungswechsels. Ob gewollt oder nicht, er signalisierte damit, dass einzig die Politik bestimmt, wo es lang geht.
Wenn ich nun auch die andere Seite kritisiere, den Orchestervorstand des Berner Symphonieorchesters (BSO), genauer seinen gegenwärtigen Präsidenten, so geschieht dies nicht nur aus sachlicher Notwendigkeit heraus, nein, ich entgehe dadurch auch der Gefahr einer einseitigen, und somit unberechtigten Schuldzuweisung.
In den frühen 70er Jahren wurde ich als stimmberechtigter Delegierter der Musikerinnen und Musiker in das damalige Gremium des Arbeitgebers gewählt. Der damalige Arbeitgeber, der Bernische Orchesterverein, war zu Recht stolz auf die Tatsache, dass das Orchester, als einer der ersten Klangkörper unseres Landes, mit vollem Stimmrecht an den Verhandlungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern mitwirken konnte. Diese grosse soziale Errungenschaft wurde bei der Ausarbeitung der Strukturen von KTB schlicht vom Tisch gefegt, im neuen Stiftungsrat gibt es keine Vertretung von Künstlern mehr, weder vom BSO noch vom STB. Es übersteigt mein Fassungsvermögen, dass der Orchestervorstand nicht alle Hebel in Bewegung gesetzt hat, um dieses fahrlässige Zurückdrehen des Rades der Geschichte zu verhindern.
Fazit: mit der Art und Weise wie diese Fusion vorgenommen wurde, ist eine grosse Chance vertan worden, mit einer öffentlich geführten Diskussion das gespannte Verhältnis zwischen Künstlern und Politikern – lies zwischen Laien und Profis – zu entkrampfen. Es ist für mich nicht nachfühlbar, warum darüber, wenn überhaupt, nur hinter vorgehaltener Hand getuschelt wird.
Es geht auch anders, gerade in Bern wurde der Beweis dazu erbracht Am Schluss des oben erwähnten Artikels in der Oktober-Nummer von ensuite habe ich die Behauptung aufgestellt, dass die Beziehung Politik und Kultur – in unserem Falle zwischen PolitikerInnen und dem Symphonieorchester – fruchtbar gestaltet werden kann. Aus Platzgründen konnte ich darauf nicht näher eintreten. Dies sei hier nachgeholt, als Herzstück des vorliegenden Artikels.
Vorgeschichte Ich habe in verschiedenen Ausgaben von ensuite immer wieder darauf hingewiesen, dass ich ab 1964, meinem Amtsantritt in Bern, nicht «nur» als Geiger für das Orchester gearbeitet habe, sondern dass ich mich, bis zu meiner Pensionierung, mit allen Kräften auch kulturpolitischen Fragen zugewandt habe. Dabei war es mir ein grosses Anliegen, den Kampf gegen die eben beschriebene Misere im Verhältnis Politik Orchestermusiker aufzunehmen. Ich merkte bald einmal, dass mir ein umfassendes Wissen um die Probleme der Alltagspolitik fehlte, weshalb schlicht mein Verständnis bedrohlich hinten nachhinkte. Als Folge trat ich in die SP meiner Wohngemeinde Worb ein, wo ich sehr schnell das Präsidium der Partei übernahm. Sehr bald ergab sich ein enger Kontakt mit dem Gemeindepräsidenten von Worb. Unsere Gespräche drehten sich um das mühsame Prozedere der Subventionen der Agglomerationen an die grossen kulturellen Institutionen der Stadt Bern, die für uns lebenswichtig waren und sind. Den Höhepunkt unserer Gespräche bildete eine Aussage, die mir bis heute unvergesslich bleibt:
«Ihr habt keine Wahl, Ihr müsst Euch politisieren» Beim ersten Anhören klang dies wie eine Einbahnstrasse: wir MusikerInnen müssen uns auf die PolitikerInnen zubewegen. Dem war aber nicht so: Herr Bernasconi präzisierte, dass Politiker und Künstler lernen müssen, in einen unverkrampften, von gegenseitigem Respekt geprägten, Dialog zu treten. Wir liessen den Worten gleich Taten folgen: 1992 fand nach enger Zusammenarbeit zwischen politischen Behörden, Sponsoren und dem Orchester in Worb das erste Konzert einer Konzertserie statt, die wir «Die Kammerformation des Berner Symphonieorchesters spielt in der Agglomeration» nannten. Im Zeitraum von 3 Jahren sind wir in über 15 Gemeinden aufgetreten, in mehreren nicht nur einmal. Das klingt so leicht und selbstverständlich, was trügt: die Verhandlungen mit den Gemeindebehörden und Sponsoren waren oft sehr zeitraubend und brauchten viel Geduld.
Ich möchte Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, an Hand eines besonders typischen Beispiels, den Nutzen für eine Gemeindebehörde, das Publikum und das BSO vor Augen führen: wir wussten von einer wichtigen Vorortsgemeinde, dass dort die Zustimmung der Gemeindeversammlung für die Subvention an das BSO an einem Faden hing, wir waren auch dahingehend orientiert, dass der Gemeinde-präsident selber dagegen war. Unser Zeitplan liess es zu, dass wir vor der Versammlung mit ihrer Abstimmung in der betreffenden Gemeinde auftreten konnten, es war übrigens ein besonders gelungenes Konzert. Es ist dem Gemeindepräsidenten hoch anzurechnen, dass er mir nach dem Konzert seine Zweifel offen darlegte, was es mir möglich machte, ihn auf Missverständnisse und falsche Einschätzungen aufmerksam zu machen. Er wiederum versprach mir, seine Meinung zu ändern und sich an der Gemeindeversammlung zu Gunsten der Subvention einzusetzen. An der Gemeindeversammlung konnte ich natürlich nicht teilnehmen, aber ich habe aus zuverlässiger Quelle vernommen, dass er sein Wort gehalten hat, die Abstimmung verlief positiv, und die Gemeindebehörden ernteten von der Bevölkerung viel Beifall für das ausserordentliche Konzert. Sie sehen, es gab an diesem Abend nur Gewinner.
Was ist davon übrig geblieben? Leider nichts. Nach zunehmenden Quereleien einer kleinen Minderheit innerhalb des Orchesters, und nach wachsenden Meinungsverschiedenheiten mit der Verwaltung (nicht etwa mit der heutigen), habe ich das Handtuch geworfen.
Es wäre höchst ungerecht, wenn ich die Anstrengungen der jetzt arbeitenden Orchester-Administration, die auch auf die Annäherung von Politik, Publikum und Orchester zum Ziel haben, nicht dankbar erwähnen würde, etwa die Musikvermittlung und den Konzertbus.
Leider aber doch:
Die abschliessende bange Frage an Politiker und den Orchestervorstand Es gelingt mir nicht, die hässlichen Nebengeräusche während der Entstehungsgeschichte von KTB zu vergessen: arrogante Äusserungen von Politikern in der Presse (z.B. der Herr Stadtpräsident sinngemäss: wenn die beiden Institution BSO und STB jetzt nicht endlich spuren, werden wir den Geldhahn zudrehen), eine unqualifizierbare Berichterstattung der Bernischen Presse, mit ihren unobjektiven, einseitigen Schuldzuweisungen in Richtung Stiftung BSO, oder eine Kommunikation, die den einfachsten Anforderungen nicht gerecht zu werden vermochte. Unsere Zeit, mit extrem kurzem Gedächtnis, wird einwenden: Schnee von gestern. Ich streite dies entschieden ab, ich bin überzeugt, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen diesen Misstönen und der oben beschriebenen verhängnisvollen Beschneidung der vertraglichen Rechte der KünstlerInnen von BSO und STB gibt.
So gesehen: kann dies auf die Dauer gut gehen?
Foto: zVg.
ensuite, November 2011