Von Milena Daphinoff - Wir befinden uns mitten in der sechsten Spielzeit von Konzert Theater Bern (KTB). Da kündigt der Schauspielchef an, seinen Vertrag Ende 2019 nicht mehr zu verlängern. Keine besondere Meldung, würde man denken, wäre es nicht bereits der vierte Schauspielchef im erst sieben Jahre jungen Mehrspartenhaus KTB.
Wie tief der Riss ist, zeigt sich in der öffentlichen Stellungnahme von über einem Dutzend Mitgliedern des Ensembles. Sie schreiben, ständiger Wechsel auf der Leitungsebene bringe dem Ensemble Unsicherheit und Angst. Starke Worte, die aufrütteln. Sie sind eine Replik an die Adresse der NZZ-Theaterkritikerin Daniele Muscionico, die in ihrem Artikel zur neuerlichen Berner Rochade schrieb, Unruhe sei am Theater wichtig und inspirierend. Offenbar ein Hohn in den Augen der direkt Betroffenen. Was ist also faul im Staate Dänemark?
Seit dem Zusammenschluss von Stadttheater und Berner Symphonieorchester im Jahr 2011 hat sich das neue KTB künstlerisch wie finanziell gut entwickelt. Auch die Besucherzahlen sind gestiegen. Die Fusion kann als voller Erfolg gewertet werden. Wären da nur nicht die personellen Fluktuationen in der Sparte Schauspiel und die diesbezügliche – entweder gänzlich fehlende oder merkwürdig suggestive – Kommunikation seitens KTB.
Warum gehen die Schauspielleiter so schnell, wie sie kommen? Oder werden gar weggeschickt? Wenn sich Abgänge in derartiger Kadenz häufen, wird man stutzig. Ist etwa der Vorgesetzte das Problem? Wird sich der Konflikt mit dessen Pensionierung bald von selbst lösen? Ich glaube nein. Das Problem auf eine Person zu reduzieren, greift zu kurz.
Der Hund liegt in der Leitungsstruktur begraben: Die letzten zwei Spartenleiter haben öffentlich kundgetan, dass sie sich an den Organisationsstrukturen des Hauses gerieben haben. Wie jedes Unternehmen, welches mit hoher Fluktuation auf Leitungsebene und Kritik am Aufbau des Modells konfrontiert wird, hat auch der Stiftungsrat von KTB dies nun zu hinterfragen. Konkret: eine Strukturdiskussion zu führen und die Kompetenzverteilung auf Leitungsstufe zu evaluieren. Ein geordneter Betrieb ist letztlich im Interesse der Künstler, aber auch des grössten Subventionsgebers – der Stadt Bern und seinem Theaterpublikum.
Stiftungsratspräsident Marcel Brülhart hat bereits mitgeteilt, sich dieser Diskussion öffnen zu wollen. Jedoch will er das Führungsmodell erst im Zuge der Nachfolge des aktuellen Intendanten hinterfragen und die Strukturdiskussion mit den möglichen KandidatInnen führen. Doch zementiert dieses Vorgehen nicht direkt das Modell «Intendanz» für weitere Jahre?
Die aktuelle Hierachiestruktur sieht einen Intendanten an der Spitze des KTB vor, dem die Spartenleiter unterstellt sind. Dieses Modell garantiert den Spartenleitern zwar die künstlerische Verantwortung für ihren Bereich, es behält dem Intendanten aber die Gesamtverantwortung und somit ein Vetorecht vor. Natürlich sollte er im Idealfall gar nie davon Gebrauch machen. Es liegt jedoch in der Natur des Menschen, dass er sich dort am meisten einmischt, wo er sich am besten auskennt. Der aktuelle Intendant kommt selbst aus der Sparte Schauspiel. Und so schwelt dort der künstlerische Konfliktherd. Ersetzt man den jetzigen Intendanten durch einen neuen, so bleibt die Machtballung bei einer Person. Das Kompetenzgerangel ist weiter vorprogrammiert. Nur womöglich in einer anderen Sparte. So munkelt man aktuell, dass der nächste Intendant aus dem Musiktheater kommen solle. Zur Entlastung des geplagten Ensembles. Die Sänger dürfen sich warm anziehen.
Bevor man also nun wieder einen neuen Intendanten anstellt, muss man sich fragen, ob es einen solchen überhaupt braucht, und wenn ja, welche Machtfülle er haben darf.
Mehrspartenhäuser kennen auch andere Strukturen, die weniger hierarchisch auf eine Person zugeschnitten und überaus erfolgreich sind. Bekanntestes Beispiel ist das «Stuttgarter Modell» – ein Direktoriumsmodell mit Geschäftsführung und künstlerisch unabhängigen Spartenintendanten. Es wird in Deutschland an zahlreichen Mehrspartenhäusern erfolgreich vorgelebt: Stuttgart, Mannheim, Dortmund – um nur drei zu nennen. Auch in Bern wurde ursprünglich dieses Modell angedacht, kurz vor der Fusion 2011 jedoch zu Gunsten des aktuellen Modells verworfen. Warum, bleibt offen.
Heute ist die Zeit reif, dieser Frage nachzugehen und eine Strukturdiskussion zu führen. Im Stadtrat habe ich Anfang Mai diese Diskussion mit einem Vorstoss lanciert. Ich bin sicher, dass der Stiftungsrat den Ball aufnimmt. Denn für die designierte Stiftungsratspräsidentin Nadine Borter bedeutet sie Herausforderung und Chance zugleich.
Milena Daphinoff ist Stadträtin CVP in Bern, Kunsthistorikerin und Historikerin