Von Karl Schüpbach — Kaum hatte ich den Schlusspunkt hinter den Artikel gesetzt, der in der letzten Ausgabe unseres Kulturmagazins ensuite erschienen ist (vgl Januar 2011), befiel mich ein Unbehagen. Nein, in keinster Weise wegen des Inhaltes an sich, ich stehe voll hinter jedem Satz, hinter jedem Wort und hinter jedem Komma. Der Grund war vielmehr die Einsicht, dass – entgegen meinem Naturell – die Kritik nicht, oder zu wenig, von konstruktiven Gegenvorschlägen begleitet war. Dazu muss ich aber sogleich zwei Dinge einwenden: diese Gegenvorschläge sind sehr wohl zwischen den Zeilen herauszulesen. Weiter, seit vielen Jahren schreibe ich für ensuite. In unzähligen Artikeln habe ich dargelegt, welche Änderungen sich in der Förderung des Berner Symphonieorchesters (BSO) und des Stadttheaters Bern (STB) nach meiner Sichtweise aufdrängen, mehr als das! Wenn Sie also, liebe Leserinnen und Leser in den folgenden Ausführungen grosse Neuigkeiten erwarten sollten, so muss ich Sie enttäuschen: alles wurde schon gesagt in irgendeinem Zusammenhang … nur gebracht hat es nichts. Der Entschluss, nochmals einen Artikel im Zusammenhang mit dem STB und dem BSO zu schreiben, war logisch und schnell gefasst. Dabei wird es im Folgenden unvermeidlich sein, Kritik zu wiederholen, ihr werden aber, immer paarweise, konstruktive Gegenvorschläge folgen. Ich spreche über die Strukturen, welche die Zusammenarbeit zwischen der Stiftung Berner Symphonieorchester und dem Orchester (die BSO und dem BSO) definieren. Später wird über das Arbeitsverhältnis BSO und STB die Rede sein. Vielleicht stellt sich die Frage, ob diese Gedankengänge kurz vor der geplanten Fusion überhaupt noch Sinn machen. Ich bejahe dies, weil die genaue Art und Weise dieser Zusammenführung nach wie vor in den Sternen geschrieben steht. Dazu kommt die traurige Voraussage, dass zwar Organigramme ändern werden, dass heute aktive Persönlichkeiten durch neue ersetzt werden. Wirklich Wesentliches wird sich nicht ändern. Um von tiefgreifenden Änderungen sprechen zu können, müsste im Falle BSO das Zusammenwirken zwischen BerufsmusikerInnen und Laien völlig neu geregelt werden. Die Zusammenarbeit mit dem STB: das Haus am Kornhausplatz muss in Bezug auf das Musiktheater seinen Platz finden zwischen Zürich Basel und Genf. Dazu ist eine völlige Unkrempelung des Spielplanes unumgänglich, es winkt das Ziel der Eroberung einer Marktlücke in der Schweiz. Über die beiden erwähnten Problemblöcke gibt es keine transparente gegen aussen geführte Diskussion, was die erwähnte Furcht vor dem Ausbleiben von Reformen, die diesen Namen auch wirklich verdienen, bekräftigt. Diese Stagnation und das Fehlen von kommunizierten Visionen, macht es legitim, die unmittelbare Zukunft mit Hilfe des Ist-Zustandes zu beurteilen. Noch ein Letztes: es mag überflüssig erscheinen, in die Zukunft gerichtete Ideen zu äussern, wenn die Meinungen zu Konzert Theater Bern (KTB) offenbar bereits gemacht sind. Erstens: der Ausgang der Abstimmung der Berner Stimmberechtigten über den Subventionsvertrag mit KTB ist offen, im Falle einer Ablehnung werden neue Diskussionen stattfinden müssen. Auch bei einer Annahme ist das Funktionieren des neuen Konstruktes keineswegs gegeben. Zweitens: ob nach 5 Jahren der Neuabschluss des Vertrages einfach durchgewinkt werden kann, ist ungewiss. Es könnte sich also durchaus als nützlich erweisen auf bereits vorhandene Ideen zurückgreifen zu können.
Kritik: die Strukturen zwischen der BSO und dem BSO Diese Strukturen sind eine einzige, schreiende Ungerechtigkeit. Da bestimmen Vertreter anderer Berufe, also Laien, in den entscheidenden Gremien über das Schicksal von Vertreterinnen und Vertretern eines akademischen Berufsstandes, ohne das dies für sie selber die geringsten beruflichen Konsequenzen nach sich ziehen würde. Gerade darüber habe ich in mich in vielen Artikeln geäussert, und ich möchte mich hier nicht wiederholen, mit Ausnahme eines Beispiels: Herr Cyrill Haering, Kulturmanager, aber ein Laie, empfiehlt in seinem in Auftrag gegebenen Bericht, die Schliessung der Sparte Ballett und Einschränkung von Aktivitäten in der Oper und im Konzertbetrieb. Mit dem eingesparten Geld singt er das Hohelied einer Qualitätssteigerung! Jeder Dritt-Liga Fussball-Verein wird attestieren, dass das Herunterfahren von Aktivitäten unweigerlich eine Einbusse an Qualität mit sich bringen muss. Nicht genug der Respektlosigkeit gegen BerufskünstlerInnen: heute noch aktive Laien-Mitglieder von Gremien, die über die Zukunft der BerufsmusikerInnen des BSO bestimmen, bezeichnen diesen Unsinn als wertvolle Diskussionsgrundlage!
Wenn seitens der BSO in Anspruch genommen wird, die Laien im Stiftungsrat würden die Mitglieder des BSO nie und nimmer bevormunden, ist nicht einzusehen, warum die Statuten nicht einer modernen Realität angepasst werden.
Konstruktiver Gegenvorschlag In meinem letzten Artikel habe ich eine prominente Stimme einer völlig anders gearteten Struktur, als sie in Bern vorherrscht, zu Wort kommen lassen, den Geschäftsführer der Wiener Philharmoniker, ein damals aktives Orchestermitglied, und guter Kenner der Schweizerischen Orchester-Szene: «Ihr könnt unsere langjährige Tradition eines sich selbst verwaltenden Orchesters nicht von heute auf morgen übernehmen. Aber Euer System mit von Laien beherrschten Kommissionen hat keine Zukunft. Darum solltet Ihr lieber gestern als heute Änderungen an die Hand nehmen!» In der Tat: für die MusikerInnen des BSO anlässlich der Gründung der Institution KTB übergangslos eine Selbstbestimmung zu fordern, wäre naiv und weltfremd. Als gewaltigen Fortschritt würde ich es aber bezeichnen, wenn das Orchester, die neue Stiftung KTB und die Politik sich zu dem Grundsatzentscheid durchringen könnten, Gespräche über eine paritätische Besetzung der beschlussfassenden Gremien aufzunehmen. Wenn Herr Lauri, der Vorsitzende der vorbereitenden Kommission für die Gründung von KTB, in der kein einziger Künstler vertreten ist, am Podiumsgespräch vom 18. Januar im Berner Rathaus beteuert, Fachleute würden für die Entscheidungsfindung beigezogen, kann dies nicht befriedigen. Beigezogen werden heisst doch, mit beratender Stimme mit zu arbeiten, aber ohne Mitbestimmungsrecht!
Kritik: die Zusammenarbeit zwischen BSO und STB Provoziert und alarmiert durch die desolate Finanzlage des STB, zusammen mit eklatanten Führungsschwächen auf der Direktions-Ebene, hat die Politik die Fusion zwischen BSO und STB erzwungen. Herr Stadtpräsident, ich darf Ihre Haltung, die Sie von Anbeginn eingenommen und mehrfach in der Presse geäussert haben, mit einem Zitat aus dem Erlkönig umschreiben: «Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt», lies, der Finanzhahn wird zugedreht. Ob man es wahr haben will oder nicht, es ist legitim, dass die Politiker die Probleme einzig aus der Perspektive von Finanzen und Organisationen lösen wollen. Seit Jahrzehnten betreiben die Verantwortlichen in Bern, was den Spielplan anbelangt, eine Möchtegern Zürich, Basel und Genf Politik; anders ausgedrückt: von vereinzelten Ausnahmen abgesehen hat das Musiktheater in Bern, wie bereits oben erwähnt, seinen Platz in der Schweizerischen Opern-Szene bis zum heutigen Tag nicht gefunden. Es werden Opern aufgeführt, die in den drei Häusern angesichts des Platzangebotes im Orchesterraum problemlos aufgeführt werden können, in Bern aber, wegen des viel zu kleinen Orchestergrabens, in mehrerer Hinsicht in einem Fiasko enden müssen. Aus unzähligen möglichen Beispielen beschränke ich mich auf drei: «L’Amour des trois Oranges», «Die tote Stadt» und, für die nächste Spielzeit vorgesehen, «Der fliegende Holländer». Das Problem wird nicht richtig wahr genommen. Stellen Sie sich vor: die MusikerInnen müssen bei solchen Werken immer wieder Hörschutzpfropfen benützen, Schallwände aus Plastik müssen aufgestellt werden, was die ohnehin prekären Raumverhältnisse noch zusätzlich verschärft. Wen wundert es, dass die Mitglieder des Orchesters nach solchen Vorstellungen das Theater frustriert und aggressiv verlassen? Hier liegt ein grosser Konfliktstoff zwischen BSO und STB. Es würde der Bernischen Presse wohl anstehen, darüber einmal ausführlich zu berichten, und sich nicht nur auf die skandalösen Lohnunterschiede zu beschränken, wie in jüngster Zeit geschehen.
Konstruktiver Gegenvorschlag Noch einmal, und mit Nachdruck: Bern müsste sich zum Entschluss durchringen, innerhalb der Schweizerischen Opern-Szene eine Sonderstellung zu erobern, mit selten gespielten Werken, die in dem Orchestergraben adäquat aufgeführt werden können. Es gibt in der Geschichte des STB zwei vorerst völlig unbekannte Opern, die von Bern aus zu einem wahren Triumphzug in die ganze Welt aufbrachen: «Ascanio in Alba» von Mozart und «Moses» von Rossini. Natürlich kann sich ein Spielplan nicht nur auf solche Glücksfälle beschränken. Opern von Mozart, Verdi (nicht «Othello»), Rossini, Donizetti, eventuell auch Zeitgenössische Werke können in Bern ohne Probleme aufgeführt werden. Und die grosse Oper? Wer erinnert sich nicht an die grossartigen konzertanten Aufführungen von Opern des Welt-Repertoires im Casino-Saal unter der Leitung von Nello Santi und – es ist noch nicht lange her – unter der Stabführung von Dmitrij Kitajenko?
Foto: zVg.
ensuite, Februar 2011