Von Sonja Wenger — In seinen Geschichten hat der deutsche Comiczeichner Ralf König (51) noch nie ein Blatt vor den Mund genommen. Seit dreissig Jahren zeichnet und schreibt König humorvolle, treffende, informative und explizite Comics – längst nicht mehr nur über Schwule. Erotische Phantasiegestalten und ein deftiger Naturalismus sind sein Markenzeichen, egal ob es um die (sexuellen) Sorgen und Nöte von Mann und Frau oder um Glaube und Religion geht. Sein unschlagbares Gespür fürs Absurde und Witzige paart er mit einer schonungslosen Offenheit und einer schlauen Bissigkeit.
Umso mehr überrascht, dass König ein enorm zurückhaltender, bescheiden und fast schüchtern auftretender Mensch ist. Im Karo-
Hemd und mit dem Flair eines Handwerkers führte er Anfang September durch die Ausstellung «Gottes Werk und Königs Beitrag», die noch bis Ende Oktober im Cartoonmuseum Basel zu sehen ist. Dabei erzählte er von Einsichten: «Ich bin eigentlich ein fauler Mensch, deshalb zeichne ich nicht gerne Hintergründe», Rücksichten: «Beim Buch ‹Prototyp› über Adam und Eva im Paradies war ich viel zu vorsichtig, das ärgert mich», und Aussichten: «Ich will mich nicht mehr mit Religion auseinandersetzten, das macht schlechte Laune.»
Auch beim anschliessenden Gespräch mit Ensuite hielt er sich nicht zurück. Tabus über persönliche Themen habe er nicht, sagt König. Gerade mit den Phantasien und den peinlichen Dingen im Leben könnten sich viele seiner Leser und vor allem auch Leserinnen identifizieren.
Ralf König, man nennt Sie eine «Koryphäe», Sie seien ein Wegbereiter für die gesellschaftliche Akzeptanz der Schwulen und «Chronist der Schwulenbewegung»: Wie geht man mit solchen Superlativen um?
Ralf König: Na ja, das klingt so wichtig, aber ich hab das mit dem Chronisten nie angestrebt. Es ergab sich zwangsläufig, weil ich seit immerhin dreissig Jahren zeichne. Als ich anfing, wollte ich nur lustige Geschichten erzählen für meine Freunde oder für linkspolitische Zeitschriften. Mir ging es nicht um Aufklärung oder darum, jemanden zu belehren, das war nie mein Ding. Auch die Kritik an der Schwulenszene floss einfach in die Geschichten mit ein, weil ich die Community immer aus einem Schritt Abstand gesehen habe und vieles daran nervig fand. In den schwulen Medien herrscht eine gewisse Oberflächlichkeit, der Schönheitskult, das Unpolitische oder dieser ewige Sexismus. Da war mir immer zu viel Schablone dabei: Wie man sich als Schwuler anzieht oder welche Musik man hört, nämlich entweder Madonna, Abba oder dramatische Oper. Ok, heute heisst Madonna Lady Gaga, aber sonst ändert sich nicht viel. Als ob es keine guten Bands gäbe! Ich habe nie verstanden, wieso man etwa als Schwuler auf aufgespritzte Diven stehen soll, und ich glaube, dass diese Haltung gerade auch viele Schwule als wohltuend empfinden, die sich im Mainstream nicht wieder finden. Allerdings hab ich auch 380 Euro für Barbra Streisand live in Berlin berappt, so unschwul bin ich dann doch nicht.
Hat sich dieses Kritische irgendwann verselbständigt?
Das war 1987 mit dem Erfolg von «Der bewegte Mann», da hatte ich schlagartig ein anderes Publikum. Bei der Geschichte versuchte ich zu erzählen, wie ein heterosexueller Mann eher unfreiwillig in die Schwulenszene gerät, und ihn die Eindrücke überrumpeln. Das war natürlich Kalkül: Ich wollte einen Charakter zeichnen, mit dem sich viele heterosexuelle Leser, die bis dahin nichts mit Schwulen zu tun hatten, identifizieren konnten. Trotzdem ist in diesem Comicroman der Schwule die Hauptfigur. Was übrigens später bei der Verfilmung anders gemacht wurde, zu meinem Frust. Da spielte Till Schweiger als Hetero Axel die Hauptrolle, und die Schwulen sind eher so die komischen Nudeln nebenbei.
Ich bin zur Zeit von «Der bewegte Mann» aber bereits zweigleisig gefahren im Sinne, dass ich die quasi ungefilterten Insidergeschichten für kleinere schwule Verlage gemacht habe. Für den grossen Publikumsverlag Rowohlt dachte ich erst, ich müsste ein bisschen allgemein verständlicher werden, habe dann aber festgestellt, dass alle, die meine Comics mögen, auch alles lesen – egal, bei welchem Verlag ich ein Buch herausbringe. Es gibt kaum Trennung zwischen schwul und nicht-schwul. Aber belehren wollte ich nie – auch wenn ich natürlich zwischen den Sprechblasen immer wieder mal etwas unauffällig eingebracht habe von dem ich dachte, das muss jetzt mal verkündet werden.
Das Buch «Superparadise», bei dem es um die Thematik HIV und Aids geht, ist ein Paradebeispiel für Ihre Art des Erzählens, bei der Sie Kritik und Information witzig verpacken. Wie kamen Sie zu diesem Thema?
Ja, «Superparadise» halte ich für mein wichtigstes Buch, auch weil es sehr persönlich ist. Ein Freund von mir, Dieter, war damals an Aids gestorben, und ich war sehr nah dran, monatelang täglich im Krankenhaus und so. Es war für mich die erste Begegnung mit so etwas lähmend Fürchterlichem. Zuvor hatte ich mich mit den Comics an das Thema Aids nicht herangetraut. In den Jahren damals starben die Jungs wie die Fliegen. Ich wusste nicht, wie ich mit Humor dieses Thema hätte angehen sollen, denn ich wollte niemanden verletzen oder etwas banalisieren.
Aber als Dieter gestorben war, hatte ich das Gefühl, aus Erfahrung mitreden zu können und habe in einer Art Befreiungsschlag «Superparadise» gezeichnet. Das Buch hält die Waage zwischen lustig und ernst – und Tragikomik ist ja der beste Humor. Natürlich erwarten die Leser, dass meine Geschichten spassig sind, aber ich habe mir hier auch mal erlaubt, über mehrere Seiten auch Trauriges und Unerfreuliches passieren zu lassen. Und es hat sich gezeigt, dass die Leute mir da folgten, ich bekam sehr viel Zuspruch. Seitdem kann ich mit meinen Knollennasen alles erzählen, ich kann sie sogar sterben lassen.
Sie hatten bei der Geschichte Ihre damalige Hauptfigur Paul zum Opfer gemacht.
Ja, denn es sollte weh tun. Ich dachte, wenn ich jetzt irgendeine Nebenfigur nehme und sie positiv getestet wird, hat das nicht denselben Effekt. Es sollte schon eine Figur erwischen, die viele Leute wirklich kennen und mögen, denn der Tod erwischt nun mal auch Leute, die man kennt und mag. Allerdings wurde ich danach auch oft gefragt, was denn jetzt mit Paul sei? Viele Leute haben es mir übel genommen, dass im Buch «Sie dürfen sich jetzt küssen», das ich nach «Superparadise» gemacht habe, Pauls HIV-Infektion überhaupt nicht mehr vorkommt.
Warum war das so?
Das Thema Krankheit ist so gewichtig, ich habe mich wohl davor gedrückt, das nur zu erwähnen, ohne wirklich drauf einzugehen. In «Sie dürfen sich jetzt küssen» sollte es nur um die Homo-Ehe gehen, da erschien mir HIV als Spassbremse. Ist ja auch Realität: Durch die Medikamente geht es vielen HIV-Positiven gut, so sah ich das bei Paul auch. Im Nachhinein betrachtet, war das jedoch ein Fehler, ich hätte es zumindest in ein, zwei Sprechblasen wieder aufnehmen sollen. Aber ich will demnächst einen neuen «Konrad und Paul»-Band zeichnen. Nicht nur, weil die Leute wissen wollen, wie es mit den beiden weitergeht.
Und wie geht es weiter mit Paul und seinem Freund Konrad?
Hm, ich bin jetzt unglaubliche 51 Jahre alt und finde dieses Älterwerden und den körperlichen Niedergang vollkommen inakzeptabel. Aber es gibt keine Beschwerdestelle, jedenfalls in Deutschland nicht. Und so könnte es bei der nächsten Geschichte auch um das Thema gehen: Konrad und Paul kommen in die «Andropause». Ihr Frauen habt ja mit der Menopause fertig zu werden, wir Männer neuerdings mit der Andropause. Irgendeine Pause brauchen wir Männer wohl auch mal, sagt die Pharmaindustrie. Man will uns wahrscheinlich nur Hormone verkaufen, mal sehen, ob ich drauf rein falle.
Ihre Geschichten haben also sehr viel mit Ihnen persönlich zu tun?
Sicher, ich mache seit dreissig Jahren Comics und das, was mich im Leben gerade so beschäftigt, fliesst immer automatisch darin ein. Das war früher etwa Aids oder die Heiratsdiskussion unter den Schwulen, und nun eben das Älterwerden. Und so wie ich mich verändere, tun das auch meine Figuren. Ich wurde etwa mal gefragt, was denn mit Norbert Brommer, der Hauptfigur aus «Der bewegte Mann» sei, ich solle doch wieder etwas über ihn machen. Aber ich kann mich heute nur noch schlecht in einen Schwulen hineinversetzen, der sich in heterosexuelle Männer verliebt. Das ist mir damals, als ich das Buch gezeichnet hatte, aber dauernd passiert. Und auch schon vorher. Wenn man als schwuler Junge auf dem Land aufwächst, verknallt man sich natürlich erst mal in seine heterosexuellen Klassenkameraden und leidet heimlich. Der heterosexuelle Mann war so etwas wie die Kirschen in Nachbars Garten. Mir gefällt an Heteros, dass sie in der Regel nicht so eitel sind. Wenn ein schwuler Mann gut aussieht, bildet er sich schnell was drauf ein und läuft mit hocherotischen Klamotten und gezupften Augenbrauen rum, was ich schon wieder völlig ungeil finde. Ich mag lieber so eine Gelassenheit, und die haben Heteromänner eher drauf. Die gehen auch mal im Schlabberpulli und ungekämmt auf die Strasse. Aber ich weiche ab, Heteros machen mich wohl immer noch konfus…
…wir waren bei der Andropause.
Genau. Das verdräng ich wohl gern. Da ist man körperlich plötzlich über dem Zenith und verliert ganz schleichend die Lust auf Sex und Drugs und Rock‘n Roll. Und wenn man doch mal auf die Kacke haut, hat man drei Tage Kopfschmerzen. Ich spüre das Älterwerden daran, dass mir gewisse Leidenschaften abhanden kommen: Wenn da etwa ein kleiner hübscher Italiener vor mir herstapft, muss ich den heute nicht mehr unbedingt auf die Matratze kriegen. Diese Männer, denen die Neurosen aus den braunen Bambi-Augen blitzen, das ist mir inzwischen zu viel Stress. Früher habe ich mich zielstrebig auf qualvolle Liebesaffären eingelassen und dabei Federn gelassen. Das weicht nun ein bisschen einer altersweisen Vernunft. Oder nein, stimmt nicht. Die wollen einen als alternden Knacker einfach nicht mehr, scheiss auf Vernunft! Jedenfalls war die Arbeit an dem Buch ziemlich frustrierend, ich habs erst mal zur Seite gelegt.
Was war so frustrierend?
Ich bin nicht nur 51, sondern auch noch Hypochonder. Kaum hab ich im Internet die Liste der Symptome gelesen, also was in der Andropause mit einem passieren kann, litt ich sofort unter den entsprechenden Effekten. «Verringerung des Hodenvolumens» ist keine Kleinigkeit! Ich hatte 37 Seiten gezeichnet, danach habe ich das Buch entnervt in die Schublade gelegt. Meine Hoden sind inzwischen wieder auf Normalvolumen, danke der Nachfrage.
Dann ist das Thema vom Tisch?
Nein, ich werde das Buch machen, ich finde das Thema noch immer hochspannend, auch für meine Leser, die ja mit mir älter werden. Wir erleben schliesslich alle diese Veränderungen. Ich habe das Buch einfach nicht beim ersten Anlauf geschafft, vielleicht wäre es auch eher etwas für Kurzgeschichten. Ich wollte wieder ein seitenstarkes Epos daraus machen, das war ein Fehler. Älterwerden erträgt man nur Häppchenweise.
Woran arbeiten Sie derzeit?
An der Geschichte der Heiligen Ursula, der Schutzheiligen von Köln, und den 11’000 Jungfrauen. In Köln findet 2012 das Ursula-Jahr statt. Das Stadtmuseum macht dazu eine Ausstellung mit Reliquien und Ölgemälden und der Direktor bat mich, meine Version der Ursula-Legende dafür zu zeichnen. Das ist nicht ganz ohne. Die katholischen Mächte in Köln sind nämlich aktiv, und die werden sicher nicht nur amüsiert sein. Meine Jungfrauen haben eventuell Haare an den Waden.
Stichwort Kirche und Glaube: Nach Ihrer Trilogie «Prototyp», «Archetyp» und «Antityp» bleiben Sie also weiter beim Religiösen. Macht das so viel Spass?
Spass ist die Bedingung dabei, sonst geht gar nichts. Allerdings merke ich inzwischen, dass man auch als Agnostiker verbissen werden kann, wenn man sich zu viel mit Religion beschäftigt. Der heilige Bim Bam macht mich zeitweise übellaunig. Ich hab vierzig Jahre ohne Religion verbracht, da möchte ich den Rest auch noch ohne Weihrauch hinkriegen.
Trotzdem jetzt die Heilige Ursula?
Ist halt ein Auftrag. Im Zusammenhang damit beschäftige ich mich mit den mittelalterlichen Märtyrer- und Heiligenlegenden – und die sind teilweise unfreiwillig komisch. Sehr bizarr. Da geisseln sich die Heiligen lieber und wälzen sich nackt in Dornensträuchern, als auch nur einmal Sex zu haben. Das ist die Botschaft: Fleischliche Lust ist das Schlimmste, was einem passieren kann, es sei denn, man pflanzt sich fort, am besten freudlos. Von Paulus über die Märtyrergeschichten zum Zölibat, das zieht sich wie ein roter Faden durchs Christentum: Bloss keinen Spass am Leibe! Das ist der direkte Weg in die Verdammnis. Der katholische Moralkatechismus ist eine erhellende Lektüre, sollte man mal gelesen haben, steht alles im Internet.
Sie erwähnten die katholischen Mächte in Köln: Wie reagiert denn die Kirche generell auf Ihre Werke?
Zu meiner Trilogie der Bibel-Geschichten habe ich überraschend viel Zuspruch von theologischer Seite her bekommen. Das sind zwar oft Evangelen, aber auch sonst wurde niemand je so richtig böse, wie man das etwa in Internet-Kommentaren lesen muss – was ich mir abgewöhnt habe, das macht nur schlechte Laune. Ich hatte spannende Gespräche mit Priestern, die sich sehr amüsiert haben, auch wenn sie dabei offenbar einen Spagat machen zwischen dem, was sie glauben und dem, was ich in den Comics daraus mache.
Was meinen Sie mit Spagat?
Dass man etwas glaubt, was nicht zu glauben ist. Es ist nun mal nicht wahrscheinlich, dass vor 2000 Jahren einer wandelte, umgebracht wurde, drei Tage lang tot war, also nicht scheintot oder so, sondern tot im Sinne von tot, und dann aufstand und zum Himmel entwich. Ich finde, es ist eine wirklich schöne Geschichte, dass ein Gott seinen Sohn schickt, und die Menschen sind so blöd und töten den – sehr schöner Plot, aber dadurch wird die Geschichte ja nicht wahrer.
Als ich das Buch «Antityp» machte, bei dem es um den Apostel Paulus geht, habe ich in Köln oft mit einem schwulen katholischen Theologen diskutiert. Da sass mir also dieser eigentlich aufgeklärte Mann gegenüber, der sein Schwulsein mit Freude auslebt und der mit dem Papst eher ein Problem hat. Aber als ich ihn dann fragte, ob er das mit der Auferstehung wirklich, wirklich glaube, fing er kurz an, nervös auf dem Stuhl herumzurutschen, bevor er «Ja» sagte – denn das ist echt ein Spagat zwischen dem weltlichen, dem kritischen Denken und der Religion. Mir fehlen zum Glauben die Gehirnsynapsen, Gottseidank.
Welche Antwort erhalten Sie auf Ihre Frage?
Dass der Zweifel zwar stets präsent, aber im Glaubensgebäude eingebunden ist, denn Paulus schrieb ja, das mit der Auferstehung sei eben gerade deshalb zu glauben, weil es unglaubhaft sei. Und diese Antwort erschreckt mich. Denn wenn der Zweifel im Glaube integriert ist, dann hat er ja keine Chance. No Way out! Das ist Gehirnwäsche. Gruselig.
Nun hat ja fast jeder Glaube diesen Wahrheitsanspruch und auch oft etwas Missionarisches an sich.
Ja. Die Leute, die meinen, sie würden in Gottes Sinne handeln und reden, neigen natürlich zu Überheblichkeit und dem alleinigen Besitz der Wahrheit. Ich meine, dass die Aufklärung die grösste Leistung ist, die die Menschen auf die Beine gekriegt haben, da ist die Mondlandung ein Furz dagegen; dass wir gemerkt haben, dass wir Politik und Religion trennen müssen, sonst wird das hier nichts mehr. Man darf auch nicht ausser Acht lassen, dass wir hier auf einer kleinen, säkularen Insel leben. Wenn man schaut, was global los ist im Zusammenhang mit Religion … schon in Polen gehen die Uhren echt anders. Es macht mir Angst, dass die Kirche immer mehr Einfluss hat auf die Politiker, auch in unseren Breiten.
Ein Beispiel?
Ich finde es ungeheuerlich, dass der Papst Mitte September bei seinem Besuch in Deutschland auch vor dem Parlament predigen soll – und dass ihn einige Politiker wahrscheinlich mit «Heiliger Vater» ansprechen. [Das Gespräch wurde Anfang September geführt, d. Red.] Dass da ein Kleriker reden kann, der berechtigt stark in der Kritik steht und der in so vielem so weltfremd und gefährlich denkt. Ich finde vor allem unerträglich, dass bisher kaum jemand von den Grünen im Bundestag aufschreit und sagt, dass da etwas faul ist. Wo bleibt die spontane Empörung und die Gegenwehr? Alle werden den Papst willkommen heissen.
Ihre Kritik gilt ja nicht nur der katholischen Kirche. Sie haben sich auch mit bissigen Zeichnungen für die Meinungs- und Pressefreiheit engagiert, als 2005 in Dänemark der sogenannte Karikaturenstreit um die Darstellung von Mohammed ausgebrochen ist und von vielen Seiten her gesagt wurde, dass man ja nicht alles sagen muss, was man sagen könnte.
Ja. Ich war damals sehr wütend. Wenn es mitten in Europa plötzlich Themen gibt, zu denen man sich nicht mehr äussern darf, ohne gekillt zu werden, ist das ein sehr dramatischer Einschnitt. Allerdings habe ich auch keine Mohammed-Karikatur gezeichnet. Ich habe keine Lust untertauchen zu müssen oder ein Leben in Bedrohung zu führen.
Ist das eine unbewusste Schere im Kopf?
Wenn ich eine Geschichte hätte, die wirklich erzählenswert wäre und ich sie dann aber nicht zeichne, dann wäre das Selbstzensur. Aber weshalb sollte ich einfach so, nur um jemanden zu provozieren, einen Propheten zeichnen? Ich möchte so etwas schon in einer Aussage oder in einer Geschichte aufgehoben sehen, die Sinn ergibt und die vergnüglich ist. Ich bin ein grosser «South Park»-Fan. Die hauen religiös richtig in die Kacke, die nehmen keine Gefangenen, grossartig. Aber mein Humor ist wohl etwas feinfühliger. Was kein Vorteil sein muss.
Gibt es etwas, das Sie nicht zeichnen würden? Etwas, das Ihnen noch peinlich ist?
(Überlegt lange) Im persönlichen Bereich habe ich keine Tabus, an die ich nicht herangehen würde – im Gegenteil. Ich neigte immer zum Exhibitionismus. Gerade das Peinliche, Liebeskummer oder Sexsucht, alles, was im Leben und in Beziehungen schief läuft, ist interessant. Ich werde das Andropausen-Buch machen, und die Arbeit wird sehr peinlich werden. Aber ich habe kein Problem damit, denn es gibt viele Leute, die sich damit identifizieren können. Ich bin nie alleine mit meinen Ängsten oder Phantasien. In meinen Comics war schon immer eine gewisse Hemmungslosigkeit. Besonders im Frühwerk: Ich habs einfach so gezeichnet, wie’s mir kam. Im wahrsten Sinne. Sozusagen.
Sie schonen sich aber auch selbst nicht. Im Buch «…und das mit links!» haben sie ein Interview mit sich selbst gezeichnet. Darin gibt es eine Szene aus Ihrer Kindheit, in der Sie sich den Penis Ihres schlafenden Vaters nicht nur ansehen.
(Lacht schallend) Ja. Oh, Scheisse! Aber ich kann frank und frei sagen, dass ich als Pubertierender meinen Vater tatsächlich geil fand, ein sogenannter negativer Ödipus-Komplex. Heterojungs stehen ja in der Pubertät gelegentlich auf ihre Mütter, bei Schwulen ist es naturgemäss andersrum. Mein Vater war ein stämmiger, sehr attraktiver Mann, und er lag also nach einem Familienfest sturzbetrunken nebenan und schnarchte, und ich bin mit Herzklopfen und der Taschenlampe unter seine Decke gekrochen, um mir das alles mal aus der Nähe anzugucken. Na ja, ich war zehn oder elf, Jugend forscht, so was kommt in den besten Familien vor. Mein Vater ist ja nicht etwa mit der Taschenlampe unter m e i n e Decke gekrochen, da läge der Fall wohl anders. Aber ich hab das dann gezeichnet, ohne zu ahnen, dass man mich noch vierzig Jahre später in Basel daraufhin verhört.
Ja, so kanns kommen! Aber Themenwechsel. In den Büchern «Wie die Karnickel» und noch stärker in «Hempels Sofa» stehen erstmals je ein heterosexueller Mann und eine heterosexuelle Frau im Mittelpunkt der Geschichte. Wieso diese Wende?
Ich hatte mich 25 Jahre lang nur mit schwulen Männern und schwulen Zusammenhängen beschäftigt – ich fing an, mich zu langweilen. Ausserdem lebe ich auf keiner schwulen Insel. Ich habe heterosexuelle Freunde und Freundinnen, und ich finde es spannend, wenn die mir von ihren Beziehungskämpfen erzählen. Eigenarten und Missverständnisse zwischen den Geschlechtern, die bei Schwulen einfach wegfallen – Männer wissen sexuell meistens, was sie vom anderen Mann wollen, da wird nicht gleich langfristige Familienplanung betrieben. Zwischen Mann und Frau herrschen andere Regeln und Empfindlichkeiten. So ist etwa die sexuelle Treue zwischen Frau und Mann ein ewiger Konfliktpunkt, bei Schwulen ist das seltener Thema, jedenfalls in meinem Umfeld. Da ist etwa Christian eher neidisch, dass Erik den geilen Türken abgekriegt hat, aber sie lieben sich ohne wenn und aber.
Besonders die Figur der Psychotherapeutin Silke Hempel und ihre sehr nachvollziehbaren Probleme sind ausnehmend gut getroffen. Woher kommt dieses Wissen?
Ich hab eine Freundin, die spricht ganz offen über ihre Gedanken, Ängste und Probleme. Sie ist für mich ein bisschen diese Hempel geworden, eine Frau, die Lust hat auf sexuelle Erfahrungen, die auch mal was Schnelles, Unkompliziertes erleben möchte, aber die sich nicht traut oder es sich nicht zugesteht, weil experimentierfreudige Frauen ja das Problem haben, ganz schnell als Schlampe abgestempelt zu werden. Ich hör mir das an und drehe es durch den Allgemeinwolf, so dass sich nicht unbedingt diese Freundin, sondern viele Leserinnen damit identifizieren können. Ich habe auch einen Heterofreund, der mir hin und wieder seine Frauengeschichten erzählt. Und so weit weg ist das alles nicht von schwulem Erleben, die Akzente sind nur leicht verschoben. Und gerade das machts spannend und komisch.
Ein Drittel Ihrer Leserschaft sind Frauen.
Ja, obwohl mir ja gelegentlich Frauenfeindlichkeit vorgeworfen wird, weil die Frauen bei mir oft diese vorstehenden Zähne hatten und ein bisschen belämmert aussahen. Vielleicht war das späte Rache, da ich wie gesagt als Junge aufm Dorf dauernd in meine heterosexuellen Schulkollegen verknallt war, die aber immer irgendeine Tussi knutschten. Es gibt frauenfeindliche, sexistische Comics, aber nicht von mir. Ausserdem sind meine Männchen auch nicht gerade Schönheiten. Es sei denn, es ist der muskulöse Bauarbeiter, der sich aufm Gerüst den Sack kratzt.
Wie steht es mit heterosexuellen männlichen Lesern?
Die stehen eher unsicher am Signiertisch, schieben mir cool das Buch hin und grunzen: Mach mal «Für Natascha». Was ich wiederum unwiderstehlich sexy finde. Ich denke, das ist einer der Gründe für den Erfolg, den ich bei so vielen Heteros habe, dass sie bei mir lesen können: So kann man’s auch machen. Man kann öfter und lockerer Sex haben und das Ganze entspannt angehen. Wenn ich Natascha wäre, würd‘ ich vor Freude über eine echte Ralf König-Signatur gleich in die Knie gehen und ihm den Hosenstall aufknöpfen, aber die will bestimmt wieder nicht.
Wer weiss? Ihre Bücher sind sehr erfolgreich und dienen immer wieder als Vorlage für Filme, bei einigen haben Sie selbst das Drehbuch geschrieben. Doch mit Ausnahme von «Der bewegte Mann» hatten die Filme sehr schlechte Kritiken. Woran lag das?
Ich bin tatsächlich nicht sehr glücklich mit den Verfilmungen. Die Gründe sind aber sehr unterschiedlich. Zum einen ist es schon ein Humorverlust, wenn meine «Knollennasen» von Menschen dargestellt werden – deshalb habe ich immer versucht zu erreichen, dass die Rollen eher grotesk besetzt werden. So war ich sehr zufrieden mit der Besetzung von «Wie die Karnickel» – bei dem ich den Comic übrigens erst nach der Verfilmung gezeichnet habe. Und für die Story hab ich beim Comicfestival im französischen Angoulême sogar einen Preis gekriegt. Ich hatte bei «Wie die Karnickel» einen guten Draht zum Regisseur, die Stimmung am Set war erfreulich. Leider waren die Dreharbeiten zeitlich sehr gehetzt, man konnte kaum etwas nochmals proben, wenn es noch nicht auf dem Punkt war, und dann wurden auch beim Schnitt Fehler gemacht. Der Film war aber nicht so platt, wie er dann von der Presse dargestellt wurde. Im Fernsehen und auf DVD hat er viele Fans, und mir ist er der liebste. Nun soll «Hempels Sofa» verfilmt werden, man darf gespannt sein.
Gibt es andere Projekte?
Aus «Protoyp» entsteht nun ein Zeichentrickfilm, der von der UFA in Berlin gemacht wird, wahrscheinlich zusammen mit einem dänischen Trickfilmstudio. Diese Kulisse mit dem Paradies, Adam und Eva und den Tieren im Garten Eden bietet sich ja geradezu dafür an. Das Drehbuch hab ich gerade fertig geschrieben, die Figuren werden allerdings – bewusst – ein bisschen anders aussehen als im Buch, weil die Story sich erweitert hat. Ich hoffe, dass das Resultat dann noch etwas mit meinem Strich zu tun hat. Bei all den technischen Möglichkeiten heute muss man den Leuten immer sagen: Bleibt klein, bleibt simpel im Strich und minimalistisch in den Bewegungen – so wie bei den alten Peanuts- oder Loriot-Trickfilmen. Das kriegt man aber kaum durch, heute gibts Computeranimation, da haut man zwangsläufig auf die Kacke, in 3‑D.
Sie machen seit einiger Zeit auch Lesungen ihrer Comics. Wie kam das?
Ich werfe die Bilder mit dem Beamer auf die Leinwand und lese die Dialoge. Es macht Spass und ist ein zusätzliches Standbein, denn die Zeiten haben sich schon geändert. Die Leute kaufen mein Zeug nicht mehr im gleichen Mass wie Mitte der neunziger Jahre. Ich hatte durch mein schwules Thema lange sehr viel Aufmerksamkeit, aber inzwischen wird mein Publikum mit mir aufgeklärter und älter. Viele haben 35 Bücher von mir im Regal und brauchen nicht auch noch das 36igste. Und die Jungen tippeln lieber auf ihren i‑Phones rum als Comics zu lesen. Neulich hielt ich an der Universität Wuppertal eine Lesung, weil der Professor anhand meiner Comics den Studenten klarmachen wollte, wie nonverbale Kommunikation funktioniert, oder so. Die erste Frage einer Studentin danach war: «Warum setzen Sie sich denn so viel mit Homosexualität auseinander?» Da stand ich dann wie so’n Fossil.
Sie haben in Ihrem Beruf fast alles erreicht, was möglich ist. Was kommt nun?
Keine Ahnung. Ich denke immer nur ans nächste Buchprojekt. Vielleicht mal Science-Fiction, das hab ich noch nie gezeichnet. Drei einsame, stämmige Astronauten in enger Raumkapsel, weit draussen im kalten Weltall. Da brauch ich nicht mal Aliens in der Luftdruckschleuse.
Ralf König (*1960) wuchs im westfälischen Westönnen auf. Nach einer Tischlerlehre studierte er an der Kunstakademie Düsseldorf Freie Kunst. 1979 veröffentlichte er erste Comicstorys im Münchner Underground-Magazin «Zomix» sowie der Schwulenzeitschrift «Rosa Flieder». 1987 wird König mit seinem Comicroman «Der bewegte Mann» weit über die Schwulenszene hinaus bekannt. Seither finden seine Geschichten ein immer breiteres Publikum. Mehrere seiner Bücher wurden verfilmt. Dreimal erhielt König den renommierten Max-und Moritz-Preis. 1992 als bester deutschsprachiger Comic-Künstler, 2006 den Spezialpreis der Jury «für seine künstlerische Stellungnahme im Streit um die Mohammed-Karikaturen», und 2010 für den besten Comic-Strip für «Prototyp» und «Archetyp» in der FAZ.
www.ralf-koenig.de
ensuite, Oktober 2011