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Kritik zwischen den Sprechblasen

Von Son­ja Wenger — In seinen Geschicht­en hat der deutsche Comicze­ich­n­er Ralf König (51) noch nie ein Blatt vor den Mund genom­men. Seit dreis­sig Jahren zeich­net und schreibt König humor­volle, tre­f­fende, infor­ma­tive und explizite Comics – längst nicht mehr nur über Schwule. Ero­tis­che Phan­tasiegestal­ten und ein deftiger Nat­u­ral­is­mus sind sein Marken­ze­ichen, egal ob es um die (sex­uellen) Sor­gen und Nöte von Mann und Frau oder um Glaube und Reli­gion geht. Sein unschlag­bares Gespür fürs Absurde und Witzige paart er mit ein­er scho­nungslosen Offen­heit und ein­er schlauen Bis­sigkeit.

Umso mehr über­rascht, dass König ein enorm zurück­hal­tender, beschei­den und fast schüchtern auftre­tender Men­sch ist. Im Karo-
Hemd und mit dem Flair eines Handw­erk­ers führte er Anfang Sep­tem­ber durch die Ausstel­lung «Gottes Werk und Königs Beitrag», die noch bis Ende Okto­ber im Car­toon­mu­se­um Basel zu sehen ist. Dabei erzählte er von Ein­sicht­en: «Ich bin eigentlich ein fauler Men­sch, deshalb zeichne ich nicht gerne Hin­ter­gründe», Rück­sicht­en: «Beim Buch ‹Pro­to­typ› über Adam und Eva im Paradies war ich viel zu vor­sichtig, das ärg­ert mich», und Aus­sicht­en: «Ich will mich nicht mehr mit Reli­gion auseinan­der­set­zten, das macht schlechte Laune.»

Auch beim anschliessenden Gespräch mit Ensuite hielt er sich nicht zurück. Tabus über per­sön­liche The­men habe er nicht, sagt König. Ger­ade mit den Phan­tasien und den pein­lichen Din­gen im Leben kön­nten sich viele sein­er Leser und vor allem auch Leserin­nen iden­ti­fizieren.

Ralf König, man nen­nt Sie eine «Koryphäe», Sie seien ein Weg­bere­it­er für die gesellschaftliche Akzep­tanz der Schwulen und «Chro­nist der Schwu­len­be­we­gung»: Wie geht man mit solchen Superla­tiv­en um?

Ralf König: Na ja, das klingt so wichtig, aber ich hab das mit dem Chro­nis­ten nie angestrebt. Es ergab sich zwangsläu­fig, weil ich seit immer­hin dreis­sig Jahren zeichne. Als ich anf­ing, wollte ich nur lustige Geschicht­en erzählen für meine Fre­unde oder für linkspoli­tis­che Zeitschriften. Mir ging es nicht um Aufk­lärung oder darum, jeman­den zu belehren, das war nie mein Ding. Auch die Kri­tik an der Schwu­len­szene floss ein­fach in die Geschicht­en mit ein, weil ich die Com­mu­ni­ty immer aus einem Schritt Abstand gese­hen habe und vieles daran nervig fand. In den schwulen Medi­en herrscht eine gewisse Ober­fläch­lichkeit, der Schön­heit­skult, das Unpoli­tis­che oder dieser ewige Sex­is­mus. Da war mir immer zu viel Sch­ablone dabei: Wie man sich als Schwuler anzieht oder welche Musik man hört, näm­lich entwed­er Madon­na, Abba oder drama­tis­che Oper. Ok, heute heisst Madon­na Lady Gaga, aber son­st ändert sich nicht viel. Als ob es keine guten Bands gäbe! Ich habe nie ver­standen, wieso man etwa als Schwuler auf aufge­spritzte Div­en ste­hen soll, und ich glaube, dass diese Hal­tung ger­ade auch viele Schwule als wohltuend empfind­en, die sich im Main­stream nicht wieder find­en. Allerd­ings hab ich auch 380 Euro für Bar­bra Streisand live in Berlin berappt, so unschwul bin ich dann doch nicht.

Hat sich dieses Kri­tis­che irgend­wann verselb­ständigt?

Das war 1987 mit dem Erfolg von «Der bewegte Mann», da hat­te ich schla­gar­tig ein anderes Pub­likum. Bei der Geschichte ver­suchte ich zu erzählen, wie ein het­ero­sex­ueller Mann eher unfrei­willig in die Schwu­len­szene gerät, und ihn die Ein­drücke über­rumpeln. Das war natür­lich Kalkül: Ich wollte einen Charak­ter zeich­nen, mit dem sich viele het­ero­sex­uelle Leser, die bis dahin nichts mit Schwulen zu tun hat­ten, iden­ti­fizieren kon­nten. Trotz­dem ist in diesem Comi­cro­man der Schwule die Haupt­fig­ur. Was übri­gens später bei der Ver­fil­mung anders gemacht wurde, zu meinem Frust. Da spielte Till Schweiger als Het­ero Axel die Haup­trol­le, und die Schwulen sind eher so die komis­chen Nudeln neben­bei.

Ich bin zur Zeit von «Der bewegte Mann» aber bere­its zwei­gleisig gefahren im Sinne, dass ich die qua­si unge­filterten Insid­ergeschicht­en für kleinere schwule Ver­lage gemacht habe. Für den grossen Pub­likumsver­lag Rowohlt dachte ich erst, ich müsste ein biss­chen all­ge­mein ver­ständlich­er wer­den, habe dann aber fest­gestellt, dass alle, die meine Comics mögen, auch alles lesen – egal, bei welchem Ver­lag ich ein Buch her­aus­bringe. Es gibt kaum Tren­nung zwis­chen schwul und nicht-schwul. Aber belehren wollte ich nie – auch wenn ich natür­lich zwis­chen den Sprech­blasen immer wieder mal etwas unauf­fäl­lig einge­bracht habe von dem ich dachte, das muss jet­zt mal verkün­det wer­den.

Das Buch «Super­par­adise», bei dem es um die The­matik HIV und Aids geht, ist ein Parade­beispiel für Ihre Art des Erzäh­lens, bei der Sie Kri­tik und Infor­ma­tion witzig ver­pack­en. Wie kamen Sie zu diesem The­ma?

Ja, «Super­par­adise» halte ich für mein wichtig­stes Buch, auch weil es sehr per­sön­lich ist. Ein Fre­und von mir, Dieter, war damals an Aids gestor­ben, und ich war sehr nah dran, monate­lang täglich im Kranken­haus und so. Es war für mich die erste Begeg­nung mit so etwas läh­mend Fürchter­lichem. Zuvor hat­te ich mich mit den Comics an das The­ma Aids nicht herange­traut. In den Jahren damals star­ben die Jungs wie die Fliegen. Ich wusste nicht, wie ich mit Humor dieses The­ma hätte ange­hen sollen, denn ich wollte nie­man­den ver­let­zen oder etwas banal­isieren.

Aber als Dieter gestor­ben war, hat­te ich das Gefühl, aus Erfahrung mitre­den zu kön­nen und habe in ein­er Art Befreiungss­chlag «Super­par­adise» geze­ich­net. Das Buch hält die Waage zwis­chen lustig und ernst – und Tragikomik ist ja der beste Humor. Natür­lich erwarten die Leser, dass meine Geschicht­en spas­sig sind, aber ich habe mir hier auch mal erlaubt, über mehrere Seit­en auch Trau­riges und Uner­freulich­es passieren zu lassen. Und es hat sich gezeigt, dass die Leute mir da fol­gten, ich bekam sehr viel Zus­pruch. Seit­dem kann ich mit meinen Knol­len­nasen alles erzählen, ich kann sie sog­ar ster­ben lassen.

Sie hat­ten bei der Geschichte Ihre dama­lige Haupt­fig­ur Paul zum Opfer gemacht.

Ja, denn es sollte weh tun. Ich dachte, wenn ich jet­zt irgen­deine Neben­fig­ur nehme und sie pos­i­tiv getestet wird, hat das nicht densel­ben Effekt. Es sollte schon eine Fig­ur erwis­chen, die viele Leute wirk­lich ken­nen und mögen, denn der Tod erwis­cht nun mal auch Leute, die man ken­nt und mag. Allerd­ings wurde ich danach auch oft gefragt, was denn jet­zt mit Paul sei? Viele Leute haben es mir übel genom­men, dass im Buch «Sie dür­fen sich jet­zt küssen», das ich nach «Super­par­adise» gemacht habe, Pauls HIV-Infek­tion über­haupt nicht mehr vorkommt.

Warum war das so?

Das The­ma Krankheit ist so gewichtig, ich habe mich wohl davor gedrückt, das nur zu erwäh­nen, ohne wirk­lich drauf einzuge­hen. In «Sie dür­fen sich jet­zt küssen» sollte es nur um die Homo-Ehe gehen, da erschien mir HIV als Spass­bremse. Ist ja auch Real­ität: Durch die Medika­mente geht es vie­len HIV-Pos­i­tiv­en gut, so sah ich das bei Paul auch. Im Nach­hinein betra­chtet, war das jedoch ein Fehler, ich hätte es zumin­d­est in ein, zwei Sprech­blasen wieder aufnehmen sollen. Aber ich will dem­nächst einen neuen «Kon­rad und Paul»-Band zeich­nen. Nicht nur, weil die Leute wis­sen wollen, wie es mit den bei­den weit­erge­ht.

Und wie geht es weit­er mit Paul und seinem Fre­und Kon­rad?

Hm, ich bin jet­zt unglaubliche 51 Jahre alt und finde dieses Älter­w­er­den und den kör­per­lichen Nieder­gang vol­lkom­men inakzept­abel. Aber es gibt keine Beschw­erdestelle, jeden­falls in Deutsch­land nicht. Und so kön­nte es bei der näch­sten Geschichte auch um das The­ma gehen: Kon­rad und Paul kom­men in die «Andropause». Ihr Frauen habt ja mit der Menopause fer­tig zu wer­den, wir Män­ner neuerd­ings mit der Andropause. Irgen­deine Pause brauchen wir Män­ner wohl auch mal, sagt die Phar­main­dus­trie. Man will uns wahrschein­lich nur Hor­mone verkaufen, mal sehen, ob ich drauf rein falle.

Ihre Geschicht­en haben also sehr viel mit Ihnen per­sön­lich zu tun? 

Sich­er, ich mache seit dreis­sig Jahren Comics und das, was mich im Leben ger­ade so beschäftigt, fliesst immer automa­tisch darin ein. Das war früher etwa Aids oder die Heirats­diskus­sion unter den Schwulen, und nun eben das Älter­w­er­den. Und so wie ich mich verän­dere, tun das auch meine Fig­uren. Ich wurde etwa mal gefragt, was denn mit Nor­bert Brom­mer, der Haupt­fig­ur aus «Der bewegte Mann» sei, ich solle doch wieder etwas über ihn machen. Aber ich kann mich heute nur noch schlecht in einen Schwulen hinein­ver­set­zen, der sich in het­ero­sex­uelle Män­ner ver­liebt. Das ist mir damals, als ich das Buch geze­ich­net hat­te, aber dauernd passiert. Und auch schon vorher. Wenn man als schwuler Junge auf dem Land aufwächst, verk­nallt man sich natür­lich erst mal in seine het­ero­sex­uellen Klassenkam­er­aden und lei­det heim­lich. Der het­ero­sex­uelle Mann war so etwas wie die Kirschen in Nach­bars Garten. Mir gefällt an Het­eros, dass sie in der Regel nicht so eit­el sind. Wenn ein schwuler Mann gut aussieht, bildet er sich schnell was drauf ein und läuft mit hochero­tis­chen Klam­ot­ten und gezupften Augen­brauen rum, was ich schon wieder völ­lig ungeil finde. Ich mag lieber so eine Gelassen­heit, und die haben Het­eromän­ner eher drauf. Die gehen auch mal im Schlab­ber­pul­li und ungekämmt auf die Strasse. Aber ich weiche ab, Het­eros machen mich wohl immer noch kon­fus…

…wir waren bei der Andropause.

Genau. Das ver­dräng ich wohl gern. Da ist man kör­per­lich plöt­zlich über dem Zenith und ver­liert ganz schle­ichend die Lust auf Sex und Drugs und Rock‘n Roll. Und wenn man doch mal auf die Kacke haut, hat man drei Tage Kopf­schmerzen. Ich spüre das Älter­w­er­den daran, dass mir gewisse Lei­den­schaften abhan­den kom­men: Wenn da etwa ein klein­er hüb­sch­er Ital­iener vor mir her­stapft, muss ich den heute nicht mehr unbe­d­ingt auf die Matratze kriegen. Diese Män­ner, denen die Neu­rosen aus den braunen Bam­bi-Augen blitzen, das ist mir inzwis­chen zu viel Stress. Früher habe ich mich ziel­stre­big auf qualvolle Liebe­saf­fären ein­ge­lassen und dabei Fed­ern gelassen. Das weicht nun ein biss­chen ein­er alter­sweisen Ver­nun­ft. Oder nein, stimmt nicht. Die wollen einen als altern­den Knack­er ein­fach nicht mehr, scheiss auf Ver­nun­ft! Jeden­falls war die Arbeit an dem Buch ziem­lich frus­tri­erend, ich habs erst mal zur Seite gelegt.

Was war so frus­tri­erend?

Ich bin nicht nur 51, son­dern auch noch Hypochon­der. Kaum hab ich im Inter­net die Liste der Symp­tome gele­sen, also was in der Andropause mit einem passieren kann, litt ich sofort unter den entsprechen­den Effek­ten. «Ver­ringerung des Hoden­vol­u­mens» ist keine Kleinigkeit! Ich hat­te 37 Seit­en geze­ich­net, danach habe ich das Buch ent­nervt in die Schublade gelegt. Meine Hoden sind inzwis­chen wieder auf Nor­malvol­u­men, danke der Nach­frage.

Dann ist das The­ma vom Tisch?

Nein, ich werde das Buch machen, ich finde das The­ma noch immer hochspan­nend, auch für meine Leser, die ja mit mir älter wer­den. Wir erleben schliesslich alle diese Verän­derun­gen. Ich habe das Buch ein­fach nicht beim ersten Anlauf geschafft, vielle­icht wäre es auch eher etwas für Kurzgeschicht­en. Ich wollte wieder ein seit­en­starkes Epos daraus machen, das war ein Fehler. Älter­w­er­den erträgt man nur Häp­pchen­weise.

Woran arbeit­en Sie derzeit?

An der Geschichte der Heili­gen Ursu­la, der Schutzheili­gen von Köln, und den 11’000 Jungfrauen. In Köln find­et 2012 das Ursu­la-Jahr statt. Das Stadt­mu­se­um macht dazu eine Ausstel­lung mit Reliquien und Ölgemälden und der Direk­tor bat mich, meine Ver­sion der Ursu­la-Leg­ende dafür zu zeich­nen. Das ist nicht ganz ohne. Die katholis­chen Mächte in Köln sind näm­lich aktiv, und die wer­den sich­er nicht nur amüsiert sein. Meine Jungfrauen haben eventuell Haare an den Waden.

Stich­wort Kirche und Glaube: Nach Ihrer Trilo­gie «Pro­to­typ», «Arche­typ» und «Anti­typ» bleiben Sie also weit­er beim Religiösen. Macht das so viel Spass?

Spass ist die Bedin­gung dabei, son­st geht gar nichts. Allerd­ings merke ich inzwis­chen, dass man auch als Agnos­tik­er ver­bis­sen wer­den kann, wenn man sich zu viel mit Reli­gion beschäftigt. Der heilige Bim Bam macht mich zeitweise übel­lau­nig. Ich hab vierzig Jahre ohne Reli­gion ver­bracht, da möchte ich den Rest auch noch ohne Weihrauch hinkriegen.

Trotz­dem jet­zt die Heilige Ursu­la?

Ist halt ein Auf­trag. Im Zusam­men­hang damit beschäftige ich mich mit den mit­te­lal­ter­lichen Mär­tyr­er- und Heili­gen­le­gen­den – und die sind teil­weise unfrei­willig komisch. Sehr bizarr. Da geis­seln sich die Heili­gen lieber und wälzen sich nackt in Dor­nen­sträuch­ern, als auch nur ein­mal Sex zu haben. Das ist die Botschaft: Fleis­chliche Lust ist das Schlimm­ste, was einem passieren kann, es sei denn, man pflanzt sich fort, am besten freud­los. Von Paulus über die Mär­tyr­ergeschicht­en zum Zöli­bat, das zieht sich wie ein rot­er Faden durchs Chris­ten­tum: Bloss keinen Spass am Leibe! Das ist der direk­te Weg in die Ver­damm­nis. Der katholis­che Moralkat­e­chis­mus ist eine erhel­lende Lek­türe, sollte man mal gele­sen haben, ste­ht alles im Inter­net.

Sie erwäh­n­ten die katholis­chen Mächte in Köln: Wie reagiert denn die Kirche generell auf Ihre Werke?

Zu mein­er Trilo­gie der Bibel-Geschicht­en habe ich über­raschend viel Zus­pruch von the­ol­o­gis­ch­er Seite her bekom­men. Das sind zwar oft Evan­ge­len, aber auch son­st wurde nie­mand je so richtig böse, wie man das etwa in Inter­net-Kom­mentaren lesen muss – was ich mir abgewöh­nt habe, das macht nur schlechte Laune. Ich hat­te span­nende Gespräche mit Priestern, die sich sehr amüsiert haben, auch wenn sie dabei offen­bar einen Spa­gat machen zwis­chen dem, was sie glauben und dem, was ich in den Comics daraus mache.

Was meinen Sie mit Spa­gat?

Dass man etwas glaubt, was nicht zu glauben ist. Es ist nun mal nicht wahrschein­lich, dass vor 2000 Jahren ein­er wan­delte, umge­bracht wurde, drei Tage lang tot war, also nicht schein­tot oder so, son­dern tot im Sinne von tot, und dann auf­s­tand und zum Him­mel entwich. Ich finde, es ist eine wirk­lich schöne Geschichte, dass ein Gott seinen Sohn schickt, und die Men­schen sind so blöd und töten den – sehr schön­er Plot, aber dadurch wird die Geschichte ja nicht wahrer.

Als ich das Buch «Anti­typ» machte, bei dem es um den Apos­tel Paulus geht, habe ich in Köln oft mit einem schwulen katholis­chen The­olo­gen disku­tiert. Da sass mir also dieser eigentlich aufgek­lärte Mann gegenüber, der sein Schwul­sein mit Freude auslebt und der mit dem Papst eher ein Prob­lem hat. Aber als ich ihn dann fragte, ob er das mit der Aufer­ste­hung wirk­lich, wirk­lich glaube, fing er kurz an, nervös auf dem Stuhl herumzu­rutschen, bevor er «Ja» sagte – denn das ist echt ein Spa­gat zwis­chen dem weltlichen, dem kri­tis­chen Denken und der Reli­gion. Mir fehlen zum Glauben die Gehirn­sy­napsen, Gott­sei­dank.

Welche Antwort erhal­ten Sie auf Ihre Frage?

Dass der Zweifel zwar stets präsent, aber im Glaubens­ge­bäude einge­bun­den ist, denn Paulus schrieb ja, das mit der Aufer­ste­hung sei eben ger­ade deshalb zu glauben, weil es unglaub­haft sei. Und diese Antwort erschreckt mich. Denn wenn der Zweifel im Glaube inte­gri­ert ist, dann hat er ja keine Chance. No Way out! Das ist Gehirn­wäsche. Gruselig.

Nun hat ja fast jed­er Glaube diesen Wahrheit­sanspruch und auch oft etwas Mis­sion­ar­isches an sich. 

Ja. Die Leute, die meinen, sie wür­den in Gottes Sinne han­deln und reden, neigen natür­lich zu Über­he­blichkeit und dem alleini­gen Besitz der Wahrheit. Ich meine, dass die Aufk­lärung die grösste Leis­tung ist, die die Men­schen auf die Beine gekriegt haben, da ist die Mond­lan­dung ein Furz dage­gen; dass wir gemerkt haben, dass wir Poli­tik und Reli­gion tren­nen müssen, son­st wird das hier nichts mehr. Man darf auch nicht auss­er Acht lassen, dass wir hier auf ein­er kleinen, säku­laren Insel leben. Wenn man schaut, was glob­al los ist im Zusam­men­hang mit Reli­gion … schon in Polen gehen die Uhren echt anders. Es macht mir Angst, dass die Kirche immer mehr Ein­fluss hat auf die Poli­tik­er, auch in unseren Bre­it­en.

Ein Beispiel?

Ich finde es unge­heuer­lich, dass der Papst Mitte Sep­tem­ber bei seinem Besuch in Deutsch­land auch vor dem Par­la­ment predi­gen soll – und dass ihn einige Poli­tik­er wahrschein­lich mit «Heiliger Vater» ansprechen. [Das Gespräch wurde Anfang Sep­tem­ber geführt, d. Red.] Dass da ein Klerik­er reden kann, der berechtigt stark in der Kri­tik ste­ht und der in so vielem so welt­fremd und gefährlich denkt. Ich finde vor allem unerträglich, dass bish­er kaum jemand von den Grü­nen im Bun­destag auf­schre­it und sagt, dass da etwas faul ist. Wo bleibt die spon­tane Empörung und die Gegen­wehr? Alle wer­den den Papst willkom­men heis­sen.

Ihre Kri­tik gilt ja nicht nur der katholis­chen Kirche. Sie haben sich auch mit bis­si­gen Zeich­nun­gen für die Mei­n­ungs- und Presse­frei­heit engagiert, als 2005 in Däne­mark der soge­nan­nte Karika­turen­stre­it um die Darstel­lung von Mohammed aus­ge­brochen ist und von vie­len Seit­en her gesagt wurde, dass man ja nicht alles sagen muss, was man sagen kön­nte.

Ja. Ich war damals sehr wütend. Wenn es mit­ten in Europa plöt­zlich The­men gibt, zu denen man sich nicht mehr äussern darf, ohne gekillt zu wer­den, ist das ein sehr drama­tis­ch­er Ein­schnitt. Allerd­ings habe ich auch keine Mohammed-Karikatur geze­ich­net. Ich habe keine Lust unter­tauchen zu müssen oder ein Leben in Bedro­hung zu führen.

Ist das eine unbe­wusste Schere im Kopf?

Wenn ich eine Geschichte hätte, die wirk­lich erzäh­lenswert wäre und ich sie dann aber nicht zeichne, dann wäre das Selb­stzen­sur. Aber weshalb sollte ich ein­fach so, nur um jeman­den zu provozieren, einen Propheten zeich­nen? Ich möchte so etwas schon in ein­er Aus­sage oder in ein­er Geschichte aufge­hoben sehen, die Sinn ergibt und die vergnüglich ist. Ich bin ein gross­er «South Park»-Fan. Die hauen religiös richtig in die Kacke, die nehmen keine Gefan­genen, grossar­tig. Aber mein Humor ist wohl etwas fein­füh­liger. Was kein Vorteil sein muss.
Gibt es etwas, das Sie nicht zeich­nen wür­den? Etwas, das Ihnen noch pein­lich ist?
(Über­legt lange)  Im per­sön­lichen Bere­ich habe ich keine Tabus, an die ich nicht herange­hen würde – im Gegen­teil. Ich neigte immer zum Exhi­bi­tion­is­mus. Ger­ade das Pein­liche, Liebeskum­mer oder Sex­sucht, alles, was im Leben und in Beziehun­gen schief läuft, ist inter­es­sant. Ich werde das Andropausen-Buch machen, und die Arbeit wird sehr pein­lich wer­den. Aber ich habe kein Prob­lem damit, denn es gibt viele Leute, die sich damit iden­ti­fizieren kön­nen. Ich bin nie alleine mit meinen Äng­sten oder Phan­tasien. In meinen Comics war schon immer eine gewisse Hem­mungslosigkeit. Beson­ders im Früh­w­erk: Ich habs ein­fach so geze­ich­net, wie’s mir kam. Im wahrsten Sinne. Sozusagen.

Sie scho­nen sich aber auch selb­st nicht. Im Buch «…und das mit links!» haben sie ein Inter­view mit sich selb­st geze­ich­net. Darin gibt es eine Szene aus Ihrer Kind­heit, in der Sie sich den Penis Ihres schlafend­en Vaters nicht nur anse­hen.

(Lacht schal­lend) Ja. Oh, Scheisse! Aber ich kann frank und frei sagen, dass ich als Pubertieren­der meinen Vater tat­säch­lich geil fand, ein soge­nan­nter neg­a­tiv­er Ödi­pus-Kom­plex. Het­ero­jungs ste­hen ja in der Pubertät gele­gentlich auf ihre Müt­ter, bei Schwulen ist es naturgemäss ander­srum. Mein Vater war ein stäm­miger, sehr attrak­tiv­er Mann, und er lag also nach einem Fam­i­lien­fest sturz­be­trunk­en nebe­nan und schnar­chte, und ich bin mit Herzk­lopfen und der Taschen­lampe unter seine Decke gekrochen, um mir das alles mal aus der Nähe anzuguck­en. Na ja, ich war zehn oder elf, Jugend forscht, so was kommt in den besten Fam­i­lien vor. Mein Vater ist ja nicht etwa mit der Taschen­lampe unter m e i n e Decke gekrochen, da läge der Fall wohl anders. Aber ich hab das dann geze­ich­net, ohne zu ahnen, dass man mich noch vierzig Jahre später in Basel daraufhin ver­hört.

Ja, so kanns kom­men! Aber The­men­wech­sel. In den Büch­ern «Wie die Kar­nick­el» und noch stärk­er in «Hempels Sofa» ste­hen erst­mals je ein het­ero­sex­ueller Mann und eine het­ero­sex­uelle Frau im Mit­telpunkt der Geschichte. Wieso diese Wende?

Ich hat­te mich 25 Jahre lang nur mit schwulen Män­nern und schwulen Zusam­men­hän­gen beschäftigt – ich fing an, mich zu lang­weilen. Ausser­dem lebe ich auf kein­er schwulen Insel. Ich habe het­ero­sex­uelle Fre­unde und Fre­undin­nen, und ich finde es span­nend, wenn die mir von ihren Beziehungskämpfen erzählen. Eige­narten und Missver­ständ­nisse zwis­chen den Geschlechtern, die bei Schwulen ein­fach weg­fall­en – Män­ner wis­sen sex­uell meis­tens, was sie vom anderen Mann wollen, da wird nicht gle­ich langfristige Fam­i­lien­pla­nung betrieben. Zwis­chen Mann und Frau herrschen andere Regeln und Empfind­lichkeit­en. So ist etwa die sex­uelle Treue zwis­chen Frau und Mann ein ewiger Kon­flik­t­punkt, bei Schwulen ist das sel­tener The­ma, jeden­falls in meinem Umfeld. Da ist etwa Chris­t­ian eher nei­disch, dass Erik den geilen Türken abgekriegt hat, aber sie lieben sich ohne wenn und aber.

Beson­ders die Fig­ur der Psy­chother­a­peutin Silke Hempel und ihre sehr nachvol­lziehbaren Prob­leme sind aus­nehmend gut getrof­fen. Woher kommt dieses Wis­sen?

Ich hab eine Fre­undin, die spricht ganz offen über ihre Gedanken, Äng­ste und Prob­leme. Sie ist für mich ein biss­chen diese Hempel gewor­den, eine Frau, die Lust hat auf sex­uelle Erfahrun­gen, die auch mal was Schnelles, Unkom­pliziertes erleben möchte, aber die sich nicht traut oder es sich nicht zugeste­ht, weil exper­i­men­tier­freudi­ge Frauen ja das Prob­lem haben, ganz schnell als Schlampe abgestem­pelt zu wer­den. Ich hör mir das an und drehe es durch den All­ge­mein­wolf, so dass sich nicht unbe­d­ingt diese Fre­undin, son­dern viele Leserin­nen damit iden­ti­fizieren kön­nen. Ich habe auch einen Het­erofre­und, der mir hin und wieder seine Frauengeschicht­en erzählt. Und so weit weg ist das alles nicht von schwulem Erleben, die Akzente sind nur leicht ver­schoben. Und ger­ade das machts span­nend und komisch.

Ein Drit­tel Ihrer Leser­schaft sind Frauen.

Ja, obwohl mir ja gele­gentlich Frauen­feindlichkeit vorge­wor­fen wird, weil die Frauen bei mir oft diese vorste­hen­den Zähne hat­ten und ein biss­chen beläm­mert aus­sa­hen. Vielle­icht war das späte Rache, da ich wie gesagt als Junge aufm Dorf dauernd in meine het­ero­sex­uellen Schulkol­le­gen verk­nallt war, die aber immer irgen­deine Tus­si knutscht­en. Es gibt frauen­feindliche, sex­is­tis­che Comics, aber nicht von mir. Ausser­dem sind meine Män­nchen auch nicht ger­ade Schön­heit­en. Es sei denn, es ist der muskulöse Bauar­beit­er, der sich aufm Gerüst den Sack kratzt.

Wie ste­ht es mit het­ero­sex­uellen männlichen Lesern?

Die ste­hen eher unsich­er am Sig­nier­tisch, schieben mir cool das Buch hin und grun­zen: Mach mal «Für Natascha». Was ich wiederum unwider­stehlich sexy finde. Ich denke, das ist ein­er der Gründe für den Erfolg, den ich bei so vie­len Het­eros habe, dass sie bei mir lesen kön­nen: So kann man’s auch machen. Man kann öfter und lock­er­er Sex haben und das Ganze entspan­nt ange­hen. Wenn ich Natascha wäre, würd‘ ich vor Freude über eine echte Ralf König-Sig­natur gle­ich in die Knie gehen und ihm den Hosen­stall aufknöpfen, aber die will bes­timmt wieder nicht.

Wer weiss? Ihre Büch­er sind sehr erfol­gre­ich und dienen immer wieder als Vor­lage für Filme, bei eini­gen haben Sie selb­st das Drehbuch geschrieben. Doch mit Aus­nahme von «Der bewegte Mann» hat­ten die Filme sehr schlechte Kri­tiken. Woran lag das?

Ich bin tat­säch­lich nicht sehr glück­lich mit den Ver­fil­mungen. Die Gründe sind aber sehr unter­schiedlich. Zum einen ist es schon ein Humorver­lust, wenn meine «Knol­len­nasen» von Men­schen dargestellt wer­den – deshalb habe ich immer ver­sucht zu erre­ichen, dass die Rollen eher grotesk beset­zt wer­den. So war ich sehr zufrieden mit der Beset­zung von «Wie die Kar­nick­el» – bei dem ich den Com­ic übri­gens erst nach der Ver­fil­mung geze­ich­net habe. Und für die Sto­ry hab ich beim Comicfes­ti­val im franzö­sis­chen Angoulême sog­ar einen Preis gekriegt. Ich hat­te bei «Wie die Kar­nick­el» einen guten Draht zum Regis­seur, die Stim­mung am Set war erfreulich. Lei­der waren die Drehar­beit­en zeitlich sehr gehet­zt, man kon­nte kaum etwas nochmals proben, wenn es noch nicht auf dem Punkt war, und dann wur­den auch beim Schnitt Fehler gemacht. Der Film war aber nicht so platt, wie er dann von der Presse dargestellt wurde. Im Fernse­hen und auf DVD hat er viele Fans, und mir ist er der lieb­ste. Nun soll «Hempels Sofa» ver­filmt wer­den, man darf ges­pan­nt sein.

Gibt es andere Pro­jek­te?

Aus «Pro­toyp» entste­ht nun ein Zeichen­trick­film, der von der UFA in Berlin gemacht wird, wahrschein­lich zusam­men mit einem dänis­chen Trick­film­stu­dio. Diese Kulisse mit dem Paradies, Adam und Eva und den Tieren im Garten Eden bietet sich ja ger­adezu dafür an. Das Drehbuch hab ich ger­ade fer­tig geschrieben, die Fig­uren wer­den allerd­ings  – bewusst – ein biss­chen anders ausse­hen als im Buch, weil die Sto­ry sich erweit­ert hat. Ich hoffe, dass das Resul­tat dann noch etwas mit meinem Strich zu tun hat. Bei all den tech­nis­chen Möglichkeit­en heute muss man den Leuten immer sagen: Bleibt klein, bleibt sim­pel im Strich und min­i­mal­is­tisch in den Bewe­gun­gen – so wie bei den alten Peanuts- oder Lori­ot-Trick­fil­men. Das kriegt man aber kaum durch, heute gibts Com­put­eran­i­ma­tion, da haut man zwangsläu­fig auf die Kacke, in 3‑D.

Sie machen seit einiger Zeit auch Lesun­gen ihrer Comics. Wie kam das?

Ich werfe die Bilder mit dem Beam­er auf die Lein­wand und lese die Dialoge. Es macht Spass und ist ein zusät­zlich­es Stand­bein, denn die Zeit­en haben sich schon geän­dert. Die Leute kaufen mein Zeug nicht mehr im gle­ichen Mass wie Mitte der neun­ziger Jahre. Ich hat­te durch mein schwules The­ma lange sehr viel Aufmerk­samkeit, aber inzwis­chen wird mein Pub­likum mit mir aufgek­lärter und älter. Viele haben 35 Büch­er von mir im Regal und brauchen nicht auch noch das 36igste. Und die Jun­gen tip­peln lieber auf ihren i‑Phones rum als Comics zu lesen. Neulich hielt ich an der Uni­ver­sität Wup­per­tal eine Lesung, weil der Pro­fes­sor anhand mein­er Comics den Stu­den­ten klar­ma­chen wollte, wie non­ver­bale Kom­mu­nika­tion funk­tion­iert, oder so. Die erste Frage ein­er Stu­dentin danach war: «Warum set­zen Sie sich denn so viel mit Homo­sex­u­al­ität auseinan­der?» Da stand ich dann wie so’n Fos­sil.

Sie haben in Ihrem Beruf fast alles erre­icht, was möglich ist. Was kommt nun?

Keine Ahnung. Ich denke immer nur ans näch­ste Buch­pro­jekt. Vielle­icht mal Sci­ence-Fic­tion, das hab ich noch nie geze­ich­net. Drei ein­same, stäm­mige Astro­naut­en in enger Raumkapsel, weit draussen im kalten Weltall. Da brauch ich nicht mal Aliens in der Luft­druckschleuse.

 


Ralf König (*1960) wuchs im west­fälis­chen West­ön­nen auf. Nach ein­er Tis­chler­lehre studierte er an der Kun­stakademie Düs­sel­dorf Freie Kun­st. 1979 veröf­fentlichte er erste Comic­sto­rys im Münch­n­er Under­ground-Mag­a­zin «Zomix» sowie der Schwu­len­zeitschrift «Rosa Flieder». 1987 wird König mit seinem Comi­cro­man «Der bewegte Mann» weit über die Schwu­len­szene hin­aus bekan­nt. Sei­ther find­en seine Geschicht­en ein immer bre­it­eres Pub­likum. Mehrere sein­er Büch­er wur­den ver­filmt. Dreimal erhielt König den renom­mierten Max-und Moritz-Preis. 1992 als bester deutschsprachiger Com­ic-Kün­stler, 2006 den Spezial­preis der Jury «für seine kün­st­lerische Stel­lung­nahme im Stre­it um die Mohammed-Karika­turen», und 2010 für den besten Com­ic-Strip für «Pro­to­typ» und «Arche­typ» in der FAZ.

www.ralf-koenig.de

 

ensuite, Okto­ber 2011