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«Kubrick war in seinem täglichen Leben ein grosser Optimist.»

Von Sarah Stäh­li - Ein Gespräch mit Jan Har­lan, Stan­ley Kubricks Pro­duzent seit 1975, anlässlich der Ausstel­lungseröff­nung von «Stan­ley Kubrick — Inside the Mind of a Vision­ary Film­mak­er» in Zürich.

Kubrick ver­suchte sich in sehr unter­schiedlichen Gen­res.

Man hört ja immer, er habe ganz ver­schiedene Filme gemacht, sich nie wieder­holt, das stimmt alles, aber es stimmt nur in der Form, nicht in der Sub­stanz. In der Sub­stanz war das ein Mann, immer der­selbe. Er war ein biss­chen wie ein Maler, der ein­mal Son­nen­blu­men malt und das näch­ste Mal ein Interieur und trotz­dem bleibt seine Hand­schrift erkennbar.

Wie wür­den Sie denn seine Hand­schrift beschreiben?

Er behan­delt in all seinen Fil­men diesel­ben The­men. Es ging ihm darum, unsere Schwächen zu zeigen. Was ihn inter­essiert hat, war die Eit­elkeit und Dummheit der Men­schheit. Während er in seinem täglichen Leben ein gross­er Opti­mist war, war er sehr pes­simistisch in Bezug auf unsere Zukun­ft. Bei «Paths of Glo­ry» geht es um die Eit­elkeit der Mil­itärs, die in sich gefan­gen sind; dieser Zwang zieht sich durch all seine Filme.

Für ihn war sein wichtig­ster Film «Eyes Wide Shut», wahrschein­lich weil es der aller­schwierig­ste über­haupt war. Jed­er im Pub­likum ist ein Experte im Gebi­et der sex­uellen Fan­tasie, der Eifer­sucht; da gibt es keine Laien. Der Film geht manchen zu nahe. Deshalb hat er das Pub­likum geteilt und viele Kri­tik­er waren sehr ratio­nal in ihrer Reak­tion. Das ist auch ein The­ma, das sich durch alle Kubrick-Filme zieht: Unsere Bil­dung, unser Ver­stand, unsere Intel­li­genz, unsere Fähigkeit ana­lytisch zu denken, all das ver­schwindet, sobald sich die Emo­tion bemerk­bar macht. Alle kün­st­lerischen Leis­tun­gen entste­hen so, alle Pas­sion.

Musik scheint bei Kubrick sehr wichtig zu sein, man assozi­iert viele sein­er Filme mit einem bes­timmten Musik­stück.

Ligetis Musik wurde in «2001: A Space Odyssey» zu ein­er drama­tis­chen Per­son, die sich mit dem Mono­lithen iden­ti­fiziert, mit dem Unver­ständlichen, mit dem, was wir alle nicht begreifen. Das war übri­gens eine mein­er Rollen, Kubrick Musik vorzuschla­gen. Aber ich habe nichts entsch­ieden. Nichts, was sie auf der Lein­wand sehen, hat jemand anderes entsch­ieden als Kubrick selb­st. Kein Komi­tee hat je einen grossen Film gemacht. Entschei­dend ist let­ztlich eine Per­son, das ist bei Lars von Tri­er so, bei Ing­mar Bergman und Char­lie Chap­lin, bei allen grossen Filmemach­ern.

«A Space Odyssey ist Kubricks Vernei­gung vor dem Unbe­grei­flichen»

Kubricks Fig­uren sind keine typ­is­chen Iden­ti­fika­tions­fig­uren, oft sind sie überze­ich­net.

Film ist let­zen Endes gefilmtes The­ater und The­ater erlaubt die Überze­ich­nung. Wir sind ja als Pub­likum in der Lage, aus dem Über­höht­en eines Kunst­werks das her­auszuziehen, was uns bet­rifft, ob das ein Bild, ein Roman oder ein Film ist. Eines mein­er Lieblings­beispiele ist Shake­spear­es «Romeo und Julia». Total unre­al­is­tisch — völ­lig real. In der Essenz real. Es spielt keine Rolle, dass die sich nur drei Mal sehen und am näch­sten Tag heirat­en sie. Kubrick hat­te nicht den Anspruch, möglichst leben­sna­he Fig­uren zu zeich­nen. Sein Anspruch war, dass sie für das Pub­likum eine Gültigkeit hat­ten.

Es war ihm also wichtig, was das Pub­likum und die Kri­tik­er von seinen Fil­men hiel­ten?

Sehr wichtig. Die berühmte New York­er Filmkri­tik­erin Pauline Kael fand «A Space Odyssey» den lang­weilig­sten Film, den sie je gese­hen hat­te. Das schmerzte ihn sehr. Denn Kael war ja eine kluge Frau, sie hat den Film ein­fach nicht ver­standen. Viele Leute über vierzig hat­ten übri­gens damals Mühe mit dem Film. Zum Glück gab es die Teenag­er, die ihn richtig ver­standen haben, näm­lich als eine Vernei­gung vor dem, was wir selb­st nicht wis­sen, vor dem vol­lkom­men Unbe­grei­flichen.

Wollte er vielle­icht gar nicht, dass man seine Filme ver­ste­ht?

Er hat immer gesagt: «Nev­er explain what you don’t under­stand your­self.» Das war sein Leit­faden. Er deutet etwas an, stellt etwas hin und dann soll das Pub­likum entschei­den.

Wie ein­fach war die Zusam­me­nar­beit mit einem Regis­seur, der immer aus dem Vollen geschöpft hat?

Das war nicht immer ein­fach. Aber er war ein sehr vor­sichtiger Mann im Umgang mit Geld. Wir haben sehr spar­tanisch gear­beit­et, wir hat­ten ein Min­i­mum von Büros. 

Die Filme wirken gar nicht spar­tanisch.

Wir haben das ganze Geld in die Zeit gesteckt. Wir haben für einen Film in ein­er Woche gle­ich viel Geld aus­gegeben wie andere an einem Tag. Deshalb haben wir auch fünf Mal so lange gebraucht. So gle­icht sich das aus. Kubrick war ein sehr guter Treuhän­der.

Man hört immer, kein­er habe so viele Frei­heit­en bekom­men, aber das hat er sich ver­di­ent! Er hat etwas abgeliefert und seine Filme waren erfol­gre­ich. Kubrick war sehr beschei­den.

Wie sah er sich sel­ber? Als Kün­stler oder als tech­nisch ver­siert­er «Handw­erk­er»?

Er emp­fand es gar nicht als eine Notwendigkeit, Filme zu machen, es gab sein­er Mei­n­ung nach bere­its genug davon. Wenn er einen Film machte, wollte er unbe­d­ingt, dass es einen Sinn hat­te, dass die Leute ein Bil­let kauften, einen Babysit­ter engagierten und da hingin­gen. Er wollte, dass das Pub­likum bere­ichert wurde. Gle­ichzeit­ig war er kein Predi­ger, wollte aber immer wieder her­vorheben, dass wir als Men­schen ver­let­zlich sind, und er wollte aufzeigen, dass unsere Ver­wund­barkeit, unsere Abhängigkeit von der Emo­tion auch unsere Stärke sein kann.

«Kubrick war ein poli­tis­ches Biest»

Wie viel Ein­fluss hat­te er auf «Arti­fi­cial Intel­li­gence: AI» (Steven Spiel­bergs Film nach ein­er Idee Kubricks)?

Steven Spiel­berg hat sich stark an Kubricks Konzept gehal­ten. Natür­lich musste es ein Spiel­berg-Film wer­den, das ging ja gar nicht anders. Die Kri­tik­er wussten natür­lich ganz genau, dass Kubrick das bess­er gemacht hätte. Bei ihm wäre der Film etwas schwärz­er gewor­den, dieser Gigo­lo Joe war ursprünglich eine sehr dun­kle Per­son, die musste aufge­hellt wer­den, son­st hät­ten wir Ärg­er mit der Zen­sur bekom­men.

Wäre die Zen­sur bei Kubrick kein Prob­lem gewe­sen, hätte er sich durchge­set­zt?

Unter Umstän­den. Die Amerikan­er haben ja eine merk­würdi­ge Zen­sur­vorschrift. Jack Nichol­son hat das ein­mal bru­tal auf den Punkt gebracht: «Bei uns kann man auf der Lein­wand ein­er Frau den Busen abschnei­den, aber wehe du küsst ihn, dann gibt’s Ärg­er.»

Diese Bru­tal­ität über­all, schreck­lich, aber ein nack­tes Mäd­chen zu zeigen — von einem nack­ten Mann ganz zu schweigen, das geht zu weit.

Was spielte die Zen­sur bei Kubricks Arbeit für eine Rolle?

10’000 Pornofilme wur­den im Jahr 2003 gedreht, Kubrick wollte diese Ten­denz, die Schnit­zler bere­its 1930 sehr gut erkan­nt hat, in seinen Film ein­bauen. Er zeigt diese Super­re­ichen, die sich zu ihrer eige­nen trost­losen Befriedi­gung diese Mäd­chen engagieren. Kubrick hat das Ganze stil­isiert, kein Men­sch würde diesem schreck­lichen Klub beitreten wollen: Die Frauen sind alle gle­ich gross, haben alle die gle­iche Fig­ur und die Män­ner ste­hen da, ver­mummt, und glotzen. Es sollte wie ein Hierony­mus-Bosch-Bild sein. Die amerikanis­che Zen­surbe­hörde hat es so for­muliert: Das Prob­lem sei ‹accu­mu­lat­ed full frontal female nudi­ty›. Wir mussten den Film dig­i­tal nach­bear­beit­en, schwarze Män­tel ein­bauen, um die Nack­theit zu reduzieren. Ich wollte auf gar keinen Fall nach Kubricks Tod an seinem Film herum­schnei­den. Ich habe ihm während den Drehar­beit­en ger­at­en, zusät­zliche Auf­nah­men zu machen, da er Ärg­er mit der Zen­sur bekom­men kön­nte. Seine Antwort war typ­isch: «Du machst wohl Witze, so dumm sind die nicht.» Er kon­nte sich nicht vorstellen, dass jemand nicht ver­ste­hen kon­nte, dass das eine Attacke gegen die Gesellschaft war, vol­lkom­men unero­tisch, ein Blick in die mod­erne Hölle.

Ich hat­te grosse Prob­leme mit der soge­nan­nten Orgien-Sequenz in «Eyes Wide Shut».

War «Eyes Wide Shut» für ihn auch ein sehr per­sön­lich­er Film?

Es war insofern ein per­sön­lich­er Film, als er klar machen wollte, dass unsere Ver­nun­ft, so wun­der­bar die ist, nur eines der Werkzeuge in unserem Kas­ten ist, bes­timmt wer­den wir von etwas ganz anderem. Deshalb war das lei­der unvol­len­dete Napoleon-Pro­jekt so inter­es­sant für ihn. Ein Mann der so begabt und so erfol­gre­ich war, ging let­ztlich nur auf Grund sein­er Emo­tion zugrunde.

Auf der Höhe sein­er Macht. Er hätte alles daran geben müssen, mit Eng­land Frieden zu schliessen, aber er hat mit dem Säbel geras­selt, hat Eng­land bedro­ht, völ­lig über­flüs­sig und das hat ihn let­ztlich ruiniert. 

Was ver­mis­sen Sie am meis­ten an Ihrem Fre­und Stan­ley Kubrick?

Seine Energie, seinen scharf­sin­ni­gen Humor und die ständi­ge poli­tis­che Analyse. Ich habe mit Kubrick viel disku­tiert. Er war ein poli­tis­ches Biest, jemand, der sich sehr dafür inter­essierte, was in der Welt geschah.

Bild: zVg.
ensuite, Juni 2007

 

Artikel online veröffentlicht: 10. September 2017