Von Belinda Meier — Interview mit Livia Anne Richard: Seit Ende Oktober gibt es in Bern ein neues Theater: das Theater Matte. Hier zeigen die MacherInnen des Theater Gurten Stücke, die berühren und aus dem Leben gegriffen sind. Das Besondere: allesamt sind es Mundart- und Dialektstücke. ensuite Kulturmagazin hat mit Livia Anne Richard, der künstlerischen Leiterin, gesprochen.
Am 23. Oktober 2010 hat das Theater Matte seine Türen geöffnet. Wie beurteilst du den Start?
Das Ganze ist ein riesengrosser Erfolg. Wir sind bis zu 80 Prozent ausgelastet. Der Ort dieses neuen Theaters und die Thematik und Umsetzung unseres ersten Stücks kommt bei Besuchern sehr gut an. Scheinbar entspricht die Art, wie wir Theater machen, einem Bedürfnis. Unser Konzept von Mundartstücken interessiert die Leute. Das konnten wir vorher nicht wirklich wissen. Der Andrang an Besuchern zeigt es nun aber deutlich.
Euer primäres Ziel ist es also, Mundart- und Dialekt-Stücke aufzuführen?
Richtig.
Das ist es demnach auch, was du hervorheben würdest, müsstest du dein Theater jemandem vorstellen?
Nicht nur. Wir wollen auch Schweizer Autorinnen und Autoren berücksichtigen. Zudem ist es unser Anliegen, berührende und aktualitätsbezogene Stücke zu inszenieren. Von Schenkelklopfer-Inszenierungen distanzieren wir uns. Im Stück «Der Panther» ist es beispielsweise die Demenz, die behandelt wird. Im nächsten Stück «Das speziell Weibliche» geht es um Verirrungen und Verwirrungen in einer post-feministischen Zeit, und um Rollenverteilungen. Ich suche im Grunde Themen, die die Gesellschaft bewegen. Die stillen Momente sind dabei die Spezialität.
Was verstehst du darunter?
In meinen Inszenierungen setze ich gezielt stille Momente oder lasse sie setzen. Das sind Momente, die still sind, aber grosse Ausdruckskraft haben und zum Nachdenken anregen. Ich sage diesen Momenten auch «magische Momente». Der Zuschauer hält inne, reflektiert, identifi-ziert sich und wird schliesslich berührt. In meinen Stücken arbeite ich weniger mit Identifikationsfiguren, als vielmehr mit Identifikationsmomenten. Und die ereignen sich dann, wenn sich eben gar nichts mehr auf der Bühne tut. Ich glaube, diese stillen Momente machen das Spezielle unseres Theaters aus.
Bei «Der Panther» hast du selbst den Text in die Mundart umgeschrieben. Wird das auch zukünftig der Fall sein?
Ja. Das nächste Stück «Das speziell Weibliche» von Johanna Murray Smith wird sogar die deutsche Erstaufführung werden. Ich schreibe das englische Stück auf Berndeutsch um. Durch den Dialekt einerseits, und den Einsatz von AmateurschauspielerInnen, können wir einen sehr hohen Grad an Authentizität erreichen.
Wie kam es überhaupt zu diesem Theater?
Ich war im Grunde einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Eines Abends war ich im Bronco Keller in der Matte. Ich hörte, wie mehrmals mein Name an einem benachbarten Tisch fiel. Ich stand auf, ging zum Tisch hin und sagte: «Ich wäre sonst auch hier. Ihr könnt auch direkt mit mir sprechen. Worum geht es denn?» Mir wurde daraufhin erklärt, dass das Kirchgemeindehaus freistehe und man gerade davon gesprochen hätte, dass ein Theater gut hineinpassen würde. Zehn Minuten später stand ich in den entsprechenden Räumlichkeiten. Dann ging alles sehr schnell. Wir haben uns auf einen Mietpreis geeinigt, Formalitäten wurden geregelt und schon hatte ich mein eigenes Theater. Nie hätte ich gewagt, davon zu träumen. Jetzt ist es Realität. Ein glücklicher Zufall.
Wie fühlt es sich an, ein eigenes Theater zu führen?
Die Freiheit ist vorbei (lacht). Man kann es mit einer Geburt vergleichen. Wenn man ein Kind kriegt, ist man gebunden, bleibt zuhause, stillt und ist rund um die Uhr für das Kind da. Mit dem neuen Theater Matte geht es mir sehr ähnlich. Rund um die Uhr bin ich damit beschäftigt.
Hast du eine Vorstellung, was für ein Publikum ins Theater Matte kommen sollte?
Wir spielen für ein intelligentes Publikum, nicht für ein intellektuelles. Man muss nicht gebildet sein, um meine Stücke zu verstehen. Die emotionale Intelligenz sollte man aber besitzen, um sich berühren zu lassen. Ich mag ein empathisches Publikum. Demographische Vorstellungen habe ich keine. Bereits jetzt sehen wir, dass unser Publikum von überall herkommt und alle Altersklassen abdeckt.
Welche Position nimmt das Theater Matte in der Reihe der Berner Theater ein?
Wir sind ein Nischenprodukt. Wir inszenieren in Mundart, dies aber auf einem professionellen Niveau. Es ist eine Ergänzung zu den anderen Berner Theatern.
Bis jetzt war dein Hauptprojekt das Theater Gurten. Wie geht es damit weiter?
Das Theater Gurten wird es auch in Zukunft geben. Wie bisher findet es in einem Zweijahresrhythmus statt. Das nächste Mal also 2012, dann, wenn es auch sein 10-jähriges Jubiläum feiert. Ich werde zu dieser Zeit im Theater Matte kürzer treten, indem ich eine externe Regisseurin bzw. einen externen Regisseur beiziehe.
Das Team vom Theater Matte ist identisch mit jenem des Theater Gurten, richtig?
Genau. Markus Maria Enggist ist technischer Leiter, Hank Shizzoe musikalischer Leiter, und wird im Bereich Musik auch Veranstaltungen im Theater Matte durchführen. Annemarie Morgenegg ist administrative Leiterin, Fredi Stettler Bühnenbildner, und ich künstlerische Leiterin.
Wie muss man sich das musikalische Programm im Theater Matte denn vorstellen?
Hank Shizzoe macht Werkstattgespräche mit bekannten nationalen wie internationalen Musikern. Das Ziel sind keine Konzerte im herkömmlichen Sinn. Wir stellen uns das so vor: Wir laden einen Musiker ein, und Hank moderiert durch den Abend. Es soll ein interaktiver Abend werden, bei dem das Publikum Fragen stellt und mehr über die Schaffensweise des Künstlers erfährt. Das Ganze findet unplugged statt. Am ersten musikalischen Abend vom 8. Dezember wird sich Hank mit der Berner Rapperin und Beatboxerin Steff la Cheffe unterhalten.
Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für die Zukunft!
Infos: www.theatermatte.ch
Foto: zVg.
ensuite, Dezember 2010