Von Karl Schüpbach - Der Schweizer Kammerchor ist der einzige professionelle Chor in unserem Land. Sein Mit-Gründer und Leiter, Fritz Näf, kämpft verzweifelt um das finanzielle Überleben dieser wertvollen kulturellen Institution.
Gleich zu Beginn meiner Arbeit als Geiger im Berner Symphonieorchester (1964) sprachen bedeutende Dirigenten wie Paul Klecki, Charles Dutoit, Günter Wand und Eliahu Inbal, den Wunsch nach einem schweizerischen, professionellen Chor aus. Es sollten noch mehr als 30 Jahre vergehen, bis die Gründung des Schweizer Kammerchors (SKC) Tatsache wurde. Was hat Sie damals bewogen, die Initiative zu diesem Schritt zu ergreifen?
Fritz Näf: Zu Beginn des Jahres 1997 haben sich der Präsident, der Chefdirigent und der Intendant der Tonhalle-Gesellschaft Zürich mit mir zu einem Gespräch betreffend Grün-dung eines professionellen Chors getroffen. Wir beschlossen, den «Schweizer Kammerchor» ins Leben zu rufen. Schon lange war ich der Ansicht, dass den professionellen Orchestern der Schweiz ein professioneller Chor zur Verfügung stehen sollte. Als Rektor einer Musikhochschule fand ich es zudem auch sehr wichtig, den jungen Sängerinnen und Sängern eine bescheidene Arbeitsmöglichkeit zu geben.
Die oben erwähnten Dirigenten haben nie von einem Gründungsort Bern gesprochen, sie stellten sich diese professionelle Chorgemeinschaft immer gesamtschweizerisch abgestützt vor. Wenn es gelingt, den Chor zu retten, wäre für die Zukunft nicht eine solche vom ganzen Land getragene Organisationsform in Betracht zu ziehen?
Von Anfang weg war der Plan da, einen nationalen Chor zu gründen. Deshalb wurde auch der Name «Schweizer Kammerchor» gewählt. Wir haben in den vergangenen Jahren verschiedentlich und mit grossem Einsatz versucht, die Finanzierung des Ensembles über Zürich hinauszutragen. Sämtliche Kantone und der Bund wurden aufgerufen, unsere Arbeit zu unterstützen. Leider absolut ohne Erfolg.
Ich weiss aus Erfahrung, dass die Subventionsbehörden von kulturellen Institutionen stets Anstrengungen fordern, die von ihnen gesprochene Unterstützung durch privates Sponsoring zu ergänzen. Sie gelten als sehr erfolgreich, wenn es darum geht, private Geldquellen zu erschliessen. Warum in aller Welt wurden Ihre diesbezüglichen Anstrengungen und Erfolge von den Zürcher Behörden nicht entsprechend gewürdigt?
Der Eigenfinanzierungsgrad beträgt zurzeit über 80%. Diese Gelder setzen sich zusammen aus den Honoraren der Engagements, aus Bei-trägen von Stiftungen und aus den Erträgen von Konzerteinnahmen.
Die Stadt Zürich erwartete von uns, dass auch andere Städte, andere Kantone und der Bund unsere Aufwendungen mittragen würden. Diese Forderung konnten wir trotz grosser Anstrengungen nicht erfüllen. Als Folge davon wird uns der bisher zugestandene Subventionsbeitrag ab Mitte 2010 auch noch gestrichen.
Wenn von Rettung die Rede ist, können Sie etwas über Ihre Bemühungen, der Schweiz, ein kostbares Kulturgut zu erhalten, aussagen? Wie schätzen Sie die Aussichten auf Erfolg ein?
Zurzeit versuchen wir auf den verschiedensten Wegen, den Schweizer Kammerchor zu retten. Neue Stiftungen werden kontaktiert, eine grossangelegte Sponsoringaktion wurde gestartet, im Kantonsrat wurde ein Postulat eingereicht, das vom Grossteil der Ratsmitglieder als dringlich erklärt wurde, und wir versuchen neue Gönnerinnen und Gönner zu finden.
Ich hoffe natürlich, dass die Aktionen erfolgreich sein werden. Allerdings ist mein Optimismus nicht besonders gross.
Die Schweizer Sinfonieorchester sind ver-pflichtet, mit den ortsansässigen Laien-Chören zusammenzuarbeiten. Dies ist gesellschaftlich und politisch wichtig und auch richtig. Naturgemäss stossen aber diese Chöre an Grenzen, wenn es gilt, heutigen Qualitätsansprüchen gerecht zu werden, da drängt sich die Zusammenarbeit mit einem professionellen Chor auf. Welches ist Ihre Einstellung in dieser doch
recht heiklen Frage?
Ihre Formulierung entspricht ganz genau meinen Vorstellungen. Ich bin überzeugt davon und spreche das bei allen möglichen Gelegenheiten aus, dass die Zusammenarbeit mit den Laienchören eine ausserordentlich wichtige Aufgabe ist und auf keinen Fall vernachlässigt werden darf. Aber nur ein professioneller Chor ist in der Lage, extrem schwierige Werke und vor allem auch zeitgenössische Stücke auf dem Niveau unserer professionellen Orchester aufzuführen. Die professionelle Chorarbeit ergänzt in verschiedener Hinsicht auch die Arbeit der Laienchöre. Profichöre können auch Vorbildfunktionen übernehmen und die Laienchöre zu guten Leistungen anspornen.
Welches ist der Finanzbedarf nach dem Ausfall von Subventionen und abgesagten Engagements zur Erhaltung des Status quo? Muss der Plan der Errichtung eines gewissen Stocks von festen Stellen aufgegeben werden? Diese Frage dient dazu, den Leserinnen und Lesern ein realistisches Bild der finanziellen Bedürfnisse einer kulturellen Institution von der Grösse und Wichtigkeit Ihres Chores zu vermitteln.
Bis anhin wurde der Schweizer Kammerchor durch Honorare, Konzerteinnahmen, mit Stiftungsgeldern und privaten Hilfen finanziert. Sollten in Zukunft keine Subventionen vorhanden sein, diese auch nicht durch zusätzliche Hilfen kompensiert werden können und auch aus finanziellen Gründen die Engagements durch die Orchester weiter zurückgehen, ist die Existenz des Chors ab 2011 akut gefährdet. Sollte es uns gelingen, wenigstens die bisherige Höhe der Einnahmen zu generieren, würde die Chance einer reduzierten Weiterarbeit schon etwas besser sein. Die Idee einer kontinuierlichen Arbeit mit befristeten Verpflichtungen (z.B. Festanstellungen mit Jahresverträgen einer gewissen Anzahl an Sängerinnen und Sänger) kann aber nur realisiert werden, wenn uns in Zukunft circa 1,2 Millionen Franken jährlich zur Verfügung stehen. Aber gerade diese Konsolidierung, das heisst die Mitarbeit einer möglichst stabilen SängerInnen-Gruppe ist für die Erhaltung und Steigerung des Niveaus unabdingbar.
Kein professionelles Orchester in Westeuropa kann ohne finanzielle Hilfe der öffentlichen Hand bestehen. Das Gleiche gilt längerfristig auch für den professionellen Schweizer Kammerchor.
Eine Frage vom Zorn diktiert: Was muss in unserem Land passieren, dass ein Politiker um seine Wiederwahl bangen muss, wenn er kalt-schnäuzig die Subvention für den Schweizer Kammerchor streicht?
Dieses Szenario ist in unserem Lande undenkbar. Oftmals habe ich das Gefühl, dass es gerade umgekehrt ist: Politikerinnen und Politiker, die kulturelle Institutionen in die Schranken weisen, haben mehr Erfolg auf eine Wiederwahl. Ich weiss, das ist eine traurige und beschämende Schlussfolgerung. Kultur zu haben ist keine Lebensnotwendigkeit, sondern eben nur: «nice to have».
Dem Schweizer Kammerchor – jeweils von Ihnen vorbereitet – verdanke ich viele unvergessliche Konzerteindrücke. Grossartige Dirigenten, wie Claudio Abbado, Simon Rattle oder Charles Dutoit, um nur eine kleine Auswahl zu nennen, sollen also in Zukunft nicht mehr mit dem Schweizer Kammerchor zusammenarbeiten. Ohne in Boulevard-Journalismus abzugleiten, stelle ich Ihnen doch die Frage: Was geht in Ihnen vor, wenn man «Ihr Kind» so mit (Spar-)Füssen tritt?
Das ist eine sehr persönliche Frage. Diese zu beantworten fällt mir nicht leicht.
Ich versuch’s trotzdem: Ich bin masslos enttäuscht und auch wütend, dass die reiche
Schweiz keine Möglichkeit findet, diesen Chor zu finanzieren. Der kleingliedrige, zum Teil engstirnige Föderalismus verhindert in den verschiedensten Bereichen hervorragende Leistungen, die auch das Image unseres Landes bereichern würden.
Es ist schon so, wie ich einmal an einem Kultursymposium gehört habe: Die Schweiz ist wie ein gut gepflegter Rasen. Jedes Gräschen, das besonders gut wächst, und vielleicht andere überragt, wird möglichst umgehend abgemäht.
Mit dem Schweizer Kammerchor ist 1997 auf Anregung von Fritz Näf und dem Tonhalle-Orchester Zürich ein professioneller Konzertchor aufgebaut worden, der sich besonders der chorsinfonischen Musik, aber auch der A‑cappella-Musik des 17. bis 21. Jahrhunderts widmet.
Foto: zVg.
ensuite, April 2010