Von Guy Huracek — Das lesbisch-schwule Filmfestival Queersicht zeigte letzten November Filme mit pornografischem Charakter. Ein Zombiefilm mit schwulen Sexszenen sorgte für Diskussionen. Ein Rückblick.
«Das ist krank», ruft eine Frau aus der zweithintersten Reihe im Kino Kunstmuseum Bern. Andere Zuschauer schliessen die Augen, einige halten sich die Hand vor den Mund und zahlreiche schütteln den Kopf. Auf der Leinwand ist eine mit Blut überströmte männliche Leiche zu sehen. Aus ihrem Bauch ragen die Innereien, man sieht die Leber, das Herz und Gedärme, die Glieder zucken noch. Doch der Horror kommt erst. Ein muskulöser, blau und grün bemalter Zombie beugt sich über den Toten und bohrt seinen Penis in die offenen Wunden – begleitet wird dieser Akt von sinnlicher Musik. Der Film erzählt die Geschichte eines ausserirdischen Zombies, gespielt vom französischen Gay-Pornostar François Sagat, der durch die Strassen von Los Angeles zieht und den Toten zu neuem Leben verhilft. Und zwar durch Sex.
Was die Kinobesucherin als krank bezeichnet, ist für einige Festivalbesucher Kunst, und für den Regisseur Bruce LaBruce ist es, wie er sagt, eine Hommage an die Obdachlosen von Los Angeles. Ist es Kunst? Oder will man einfach provozieren? Der Verantwortliche für den Schwerpunkt abARTig, Frank Schubert, antwortet: «Wir zeigen ja nicht nur Filme mit erotischem Inhalt am Queersicht». Zudem gebe es im Rahmen des Schwerpunktes abARTig eine Podiumsdiskussion, die Gelegenheit zur Einordnung biete.
Es ist 15.06 Uhr. Die Podiumsdiskussion mit einer Kommunikationswissenschaftlerin, einem Sexualforscher und einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin am Zentrum Gender Studies sollte seit einigen Minuten im Gange sein. Doch es sind bis jetzt keine Zuhörer gekommen. Erst gegen 15.17 Uhr füllen sich spärlich die vordersten drei Reihen. Offenbar wollen die Festivalbesucher lieber Filme ansehen, als über sie diskutieren, denn bei «L.A. Zombie» war der Kinosaal überfüllt. Laura Méritt ist dennoch begeistert: «Wir haben eine intime Runde», sagt die deutsche Kommunikationswissenschaftlerin, die auch Sex-Aufklärerin, Lachforscherin, feministische Linguistin und Mitglied der Frauenbewegung ist. «Ich bin Feministin. Sexpositive Feministin», fügt Méritt an und gibt ein Handzeichen, um den Beamer anzuwerfen. Im Film ist eine Autowerkstatt zu sehen, eine Frau, die vor einem schwarzen BMW posiert, und zwei Männer in Handwerkermontur, die mit einem Lächeln auf die Blondine zu gehen. Sie haben Sex. «Aber nicht so, wie es in einem herkömmlichen Hetero-Porno zu sehen ist», hält Méritt fest. Betrachtet man die Szenen genauer, fällt auf, dass die Darstellerin beispielsweise keine High Heels trägt, und es wird, wie Méritt erklärt, nicht einfach drauflos penetriert. Die Sexualität beider Geschlechter werde berücksichtigt. Die Frau im Film wird beispielsweise zärtlich gestreichelt, ein Mechaniker küsst sie sinnlich und giesst mit dem Schwamm spielerisch Wasser über ihren Körper. Die Szene ist mit ruhiger und langsamer Musik unterlegt, schnelle Schnitte kommen kaum vor, die einzelnen Aufnahmen sind lang, dafür werden die Darsteller aus verschiedenen Perspektiven gefilmt. «Nun zeige ich ihnen einen herkömmlichen Porno». Im nächsten Film spielen wieder die gleichen Darsteller mit, doch diesmal gehen sie gleich zur Sache. Die Frau, die nun eine wasserstoffblonde Perücke und High Heels mit durchsichtigen Absätzen trägt, wird mit Gewalt auf die Motorhaube gedrückt. Die beiden Mechaniker, deren muskulöse Oberkörper diesmal mit Öl eingerieben sind, nehmen die Blondine von hinten ran, blicken zwischendurch erregt in die Kamera und die Darstellerin schreit nach jedem Klaps auf den Hintern: «Yeah Baby!». Und am Schluss bekommt sie die volle Ladung ins Gesicht. Diesmal ist der Film schnell geschnitten, es läuft harter Techno – ein typischer Männerfilm, sagt Méritt. Die Kommunikationswissenschaftlerin setzt sich für Vielfalt in Pornofilmen ein. Sie meint damit Vielfalt in jeglicher Hinsicht: verschiedene Körper, verschiedene sexuelle Praktiken, verschiedene Ethnien, verschiedene Gefühle und vielfältige Musik. Solche sogenannte feministische Pornofilme haben einen politischen Hintergrund: Es sind Filme mit fairen Arbeitsbedingungen, Safer Sex, und auch mit Frauen hinter den Kameras.
Obwohl «L.A. Zombie» kein feministischer Film von Frauen ist, findet ihn die Referentin spannend. Er lasse viel Raum für Interpretationen, sagt sie und macht ein Beispiel: «Dass der Zombie Sex mit Leichen hat und sie so zum Leben erweckt, könnte man vielleicht als Gebärmutterneid des Mannes interpretieren. Männer seien neidisch auf die Frauen, weil sie keine Kinder bekommen könnten, und würden daher ihre Aggressionen in Kriegen ausleben.»
Diese Argumentation kann Kurt Starke nicht auf sich beruhen lassen. Der deutsche Soziologe, Sexual- und Jugendforscher findet die Sichtweise von Méritt altmodisch und «ein wenig zu einfach gestrickt». Starke beurteilt den Film im Schwerpunkt abARTig folgendermassen: «Der Film erfüllt nicht das Klischee eines Pornos». Als Sexualwissenschaftler begrüs-se er, dass solche Filme gezeigt werden dürfen. Er vertritt die Annahme, dass ein Verbot von einfacher Pornografie jugendgefährdend sein könnte, da dadurch harmlose Pornografie und Sexualität dämonisiert würden, was Heranwachsende verstören könnte. Dieses Thema löst weitere Diskussionen mit dem Publikum aus. Ein Zuschauer möchte beispielsweise wissen, ob Pornos schädlich sein können. Ein anderer findet, dass Kunst in der Pornografie durchaus möglich ist. Der Film «L.A. Zombie» sei zwar «eklig», es gäbe aber verschiedene Szenen, die sehr kunstvoll gestaltet seien. Evelyn Nay, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum Gender Studies in Basel, findet dass «L.A. Zombie» verschiedene Brüche hat. Der Regisseur bezeichne sich als Feminist, dennoch zeige er im Film übermuskulöse Männer, ganz nach dem Klischee eines Pornofilms. Dennoch sei der Hintergrund von Bruce LaBruce spannend. Er sei in der Punkerszene aktiv gewesen, und als er Homophobie von seinen eigenen Leuten zu spüren bekommen hätte, sei er aktiv für die Rechte von Lesben und Schwulen eingetreten.
Ob sein neuster Film ein Kunstwerk ist oder schlicht eine Provokation, konnte an der Podiumsdiskussion nicht eindeutig geklärt werden. In einem Punkt waren sich jedoch alle einig: «L.A. Zombie» sorgt mit viel Blut und Sperma für Gesprächsstoff.
Infos: www.queersicht.ch
Foto: zVg.
ensuite, Februar 2011