Von Jarom Radzik — Die Suche nach guter Kunst im Geld: Jeder weiss, mit Kunst lässt sich gut Geld verdienen. Angebot und Nachfrage verteilen Kunst besser als jeder Weihnachtsmann. Nicht zuletzt, weil Kunst neben Autos, Häusern und leichten Mädchen als wirtschaftliches Statussymbol fungiert, wird es in seiner Qualität in erster Linie nach seinem Preis bemessen. Aber kann anhand des Preises tatsächlich abgelesen werden, ob Kunst gut ist? Entgegen den gegen ihn herrschenden Vorurteilen zeigt der Schweizer Kunstmäzen, Willy Michel, mit einem Kunstkauf, dass sich Kunst mehr als an wirtschaftlichen Kriterien messen lässt.
Seit dem Spätsommer 2009 steht im Schlosspark des Kunstmäzens Willy Michel ein Kunstwerk von Christian Bolt. Die dreiteilige Bronzeskulptur trägt den Werktitel «Trapasso». Mit ihren zweieinhalb Metern Höhe ist die Skulptur am Eingang des Parks auch kaum zu übersehen. Grosse Skulpturen sind aufwändig: «Trapasso» zu konzipieren und umzusetzen dauerte fast ein Jahr. Was ist so besonders daran, dass ein Mann wie Willy Michel ein grosses Kunstwerk von Christian Bolt kauft? Der Künstler wurde bisher noch von keiner namhaften Galerie vertreten und auch noch auf keiner einschlägigen Kunstmesse ausgestellt. Das ist besonders, denn der Kunstmäzen hat «Trapasso» nicht einfach wegen des Künstlers gekauft, sondern wegen seiner Formsprache, seiner Ausdruckskraft und seiner Inhalte. Ein Antibeispiel für die Kunstwelt sozusagen. Was «Trapasso» für Willy Michel übrigens so besonders macht, ist sein Inhalt. In diesem Werk ist nichts Geringeres als die Lebensgeschichte des Sammlers verarbeitet.
Kriterien guter Kunst «Trapasso», ein Werk à la Werkvertrag, ein übliches Rechtsgeschäft, aber unüblich für die Kunstbranche. Auftragskunst ist heute eher selten, das sagt auch das allwissende Wikipedia und verbannt diese Art des Verkaufs deshalb gerne ins Mittelalter. Richtig, über die Qualität sagt dies freilich noch nicht viel aus. Immerhin gab es bei «Trapasso» weder in Bezug auf das Material, die Ausführung oder den Inhalt etwas zu beanstanden. Das ist im Zeitalter der Discounter gar nicht so selbstverständlich. Im Gegenteil, die Erwartungen des Sammlers wurden sogar noch übertroffen. Logisch, ist ja auch echte Schweizer Handarbeit. Wenn es nach ihm und dem Künstler Christian Bolt geht, ist mit «Trapasso» ein exzellentes Kunstwerk entstanden. Nach Massstäben der Branche stehen die beiden mit ihrer Meinung aber ziemlich alleine da. Die Qualität misst Kunst nämlich anhand ganz anderer Kriterien. Kriterien beispielsweise von einer Zürcher Galeristin, vorgetragen während einer Veranstaltung an der Kunstmesse Kunst Zürich 2009. Auch viele andere hätten ihr in etwa zugestimmt. Die Kriterien guter Kunst sind Preis und Preisentwicklung, Neuheit im Lichte der Kunstgeschichte, Authentizität von Kunstwerk und Künstler und Bauchgefühl. Klingt logisch. Aber machen wir doch die Probe aufs Exempel und schauen wir, ob diese gut klingenden Kriterien tatsächlich etwas taugen.
Preis Für gute Kunst gibt es eine Nachfrage. Deshalb liegen die Preise für gute Kunst höher. Zudem besitzt gute Kunst eine Preisstabilität mit einer kontinuierlichen Tendenz zur Preissteigerung. «Trapasso» ist neu. Eine Preisentwicklung gibt es nicht, das Werk wurde direkt vom Sammler erworben. Den Preis haben Willy Michel und Christian Bolt vor allem auf Herstellungskosten abgestellt. Der Marktwert des Künstlers ist schwierig zu bestimmen, weil die Werke Christian Bolts bisher nicht in grösserem Umfang gehandelt, sondern einmal verkauft wurden. Verkauft hat der Künstler bisher immer gut – was also ist sein Marktwert und welcher Preis ist für «Trapasso» angemessen?
Neuheit Manche, die Christian Bolt kennen, nennen ihn den Michelangelo des 21. Jahrhunderts. Seine Formsprache bedient sich genauso der Figuration wie der Abstraktion. Er besitzt ausgezeichnete Kenntnisse der Anatomie und beherrscht alte wie neue Bildhauertechniken. Chritstian Bolt arbeitet mit der Masse des Körpers. Das zentrale Motiv, der menschliche Körper, macht es für den Betrachter einfach, Parallelen zur Geschichte zu ziehen. Da mag die Formsprache neu und eigenständig sein, der menschliche Körper ist der gleiche geblieben. Auch die Arbeitsweise des Künstlers: Überhosen und Spitzeisen erinnern eher an vergangene Zeiten als an die Moderne. Selbst das Medium, Skulpturen und Bilder sind traditionell. Schliesslich ist der Künstler der Meinung, dass Kunst die Geschichte fortführen sollte. In Anbetracht all dieser Umstände wird die Kunst von Christian Bolt rasch als alt abgetan.
Authentizität Ein Werk ist Ausdruck seines Erschaffers. Wenn Kunst tatsächlich ein Teil des Lebens des Künstlers ist, entspricht es dem, was der Künstler sagt, denkt und lebt. Christian Bolt ist freischaffender Künstler, ganz der Kunst verpflichtet. Wer ihn persönlich kennt, weiss, dass das, was er tut, mit dem übereinstimmt, was er sagt. Rein äusserlich entspricht Christian Bolt allerdings nicht dem Stereotyp eines Künstlers. Die Haare sind kurz geschnitten, das Gesicht frisch rasiert, die Kleider ordentlich. Er trinkt nicht, raucht nicht und ist obendrein auch noch stubenrein. Kann das, diese langweilig gewöhnliche Figur, ein authentischer Künstler sein?
Bauchgefühl Nun, mir gefällt «Trapasso». Das ist mein Bauchgefühl. Ich finde «Trapasso» auch nach zehnmaligem Betrachten noch spannend. Zufrieden? Nein? Aber so ist mein Bauchgefühl nun mal. Jemand, der sich zum Beispiel der Neuheit verpflichtet hat und menschliche Körper nicht ausstehen kann, würde mir in diesem Punkt aber nicht beipflichten.
Bilanz Soweit anhand der vier Kriterien allgemeingültige Aussagen gemacht werden können, entspricht «Trapasso» nicht dem, was man unter guter Kunst verstehen würde. Für das Kunstwerk selbst gibt es noch keine Preisentwicklung. Und weil die Kunstwerke des Künstlers noch nicht auf dem Kunstmarkt gehandelt werden, hat der Künstler noch keinen Marktwert. In diesem Sinne spricht der Preis gegen die Güte von «Trapasso». Neu ist das Werk im Lichte der Kunstgeschichte nur für den, der Kunstwerke als Weiterführung der Kunstgeschichte versteht. Die anderen beiden Kriterien, Authentizität und Bauchgefühl, sind subjektiv. Sie färben die Meinung über das Kunstwerk je nach Eindruck und Geschmack.
Schlussfolgerungen In diesem Sinne kann der Preis als sicheres Kriterium angesehen werden. Das Kriterium Preis heisst konkret, dass Kunst erst dann gut sein kann, wenn sie verkauft werden kann. Erst ein gewisser Erfahrungswert im Verkauf lässt zu, dass auch tatsächlich ein Urteil abgegeben werden kann. Neuheit kann zwar fachlich begründet werden, hängt aber immer von den persönlichen Ansichten des Interpreten ab. Neue Kunst ist gute Kunst. Und Kunst ist heute genial, wenn sie an nichts erinnert, was vorher gewesen ist. Wird dieses Kriterium gedanklich aber konsequent durchgespielt, darf Kunst eigentlich keine Farbe, keine Form und keinen Geruch mehr besitzen. Selbst die Idee an sich darf in keinster Weise mehr an irgendetwas in der uns umgebenden Wirklichkeit erinnern. Denn jedes Element, egal welcher Beschaffenheit, das in der gemeinsamen Wirklichkeit der Menschen vorkommt, provoziert Erinnerungen an bereits gemachte Erfahrungen und damit an Geschichte. Neu ist aber per Definition etwas, was bisher noch nicht existiert hat. Alles, was aus bereits Bestehendem herausgearbeitet wird, ist also per Definition alt. Neue Kunst darf deshalb nachweislich keinen Bezug zu etwas Bestehendem haben. Aber haben Sie schon einmal Kunst gesehen, die dieses Kriterium erfüllt? Wenn ja, dann ist sie leider bereits nicht mehr neu, denn sie können sich ja daran erinnern. Das Kriterium der Neuheit ist also untauglich.
Besser als Neuheit wäre ein Begriff wie Weiterentwicklung, denn Innovation in der Technik, im Recht oder in der Literatur baut immer auf der Geschichte auf. Nur die Kunst darf, wenn sie gemäss den Kunstexperten gut sein soll, keine Geschichte haben. In der Kunstgeschichte hat dies dazu geführt, dass Künstler sich davor hüten, selbst explizite Bezüge zur Kunstgeschichte zu machen. Natürlich baut jede Kunst auf Vorangehendem auf, nur darf man nichts verraten, sonst ist sie ja nicht mehr eigenständig.
Authentizität ist da zwar als Kriterium realistischer, allerdings stellt sich die Frage, wie lange man einen Menschen kennen muss, bis man wirklich sagen kann, er sei in seinem Sein und Schaffen authentisch. Auch für dieses Kriterium gibt es keine allgemeine Regelung, deshalb ist sie genauso eine Leerformel wie das Kriterium der Neuheit. Oder glauben sie ernsthaft, ein Experte ziehe jeweils in eine Wohngemeinschaft mit Künstlern, damit er sie nach Jahren des Zusammenlebens auch wirklich in ihrer Authentizität beurteilen kann?
Bleibt noch das berühmte und beliebte Bauchgefühl. Das Tolle am Bauchgefühl ist, dass es garantiert immer rein subjektiv ist. Als allgemeinverbindliches Kriterium ist es also völlig unnütz. Bauchgefühl meint einen emotionellen Rapport. Ein Gefühl, das sich einstellt, weil ich, der Betrachter, mit dem Wahrgenommenen irgendeine Erinnerung verbinde. Das würde das Kriterium der Neuheit zwar ausschliessen, wurde bisher aber noch nicht in Frage gestellt. Das liegt wohl daran, dass das Bauchgefühl ein so wunderbar einfaches Kriterium ist. Spricht das Kunstwerk mein Inneres an. Ja oder nein? Fertig. Der Wahrnehmende muss nicht einmal hinterfragen, was denn das Wahrgenommene eigentlich anspricht, Hauptsache es spricht an. Zudem ist mit dem Bauchgefühl implizit immer auch das Gefallen verbunden. Natürlich nur implizit, weil gefallen muss Kunst ja nicht.
Mit Geld und Gefühl zu guter Kunst Schlimm daran ist aber nicht, dass es gleichgültig ist, ob sich ein zustimmendes oder ablehnendes Bauchgefühl einstellt, schlimm ist, wozu dieses Bauchgefühl eingesetzt wird. So wird mit dem Bauchgefühl und alleine mit dem Bauchgefühl darüber entschieden, was überhaupt als Kunst wahrgenommen werden soll und was nicht. Galeristen und Kuratoren vertrauen bei der Auswahl von Kunst auf ihr Bauchgefühl, zumindest bei Newcomers und No Names. Bei Stars und Cash Cows vertrauen sie hingegen wie manch ein Banker oder Auktionator auf das Prinzip des kleinsten Risikos. Dort spricht das sichere Kriterium des Preises für sich. Ach ja, und wenn wir gerade bei Risiko und Bauchgefühl sind. Damit könnte auch die Tendenz erklärt werden, warum viele Entscheidungsträger Newcomer unter den Bildhauern meiden wie der Teufel das Weihwasser. Hohe Herstellungs- und Transportkosten, die Versicherungskosten schon gar nicht zu erwähnen. Nein, da würde sich doch jedem der Bauch umdrehen. Ob Bildhauer oder nicht, Newcomer unter den Kunstschaffenden sind für alle im Markt, die nicht selbst Kunst machen oder kaufen wollen, ein finanzielles Risiko. Das Prädikat «gut» erhält also nur jene Kunst, die sich auch gut verkaufen lässt. Laut dieser Logik war Van Gogh sein Leben lang ein miserabler Künstler. Die genau gleiche Kunst nach seinem Tod aber genial.
Was gute Kunst nicht ist Der Preis als sicheres Kriterium ist ja gut und recht, aber ist es nicht ein wenig tragisch, dass es eigentlich keine verbindlichen Kriterien für die Qualität von Kunst an sich gibt? In Erwägung dieser Umstände verstehe ich zumindest, warum sich viele beim Kauf von Kunst lieber den harten Fakten als dem Bauchgefühl zuwenden. Leider ist selbst diese Sicherheit trügerisch, vor allem wenn man gute Kunst sucht. Rekapitulieren wir kurz: Kuratoren und Galeristen sagen, dass gute Kunst ist, was sie bei sich ausstellen. Gute Kunst ist in erster Linie jene Kunst, die verkauft werden kann. Und Kunst muss verkauft werden, damit sie dem Preiskriterium gute Kunst entspricht. Ein Zirkelschluss, oh nein! Und zudem hat er eigentlich nichts mehr mit Kunst zu tun, denn dasselbe könnte man von jedem x‑beliebigen Gut behaupten. Wenn Galeristen behaupten, Kunst gemäss ihrer Qualität auszuwählen, Qualität aber bedeutet, dass Kunst von einem Galeristen ausgestellt und verkauft wird, bedeutet das, dass der Kunstmarkt, seit er existiert, eigentlich nie darauf geachtet hat, was gute Kunst ist, sondern nur darauf, ob das, was ausgestellt wird, auch verkauft werden kann. Das heisst, der Galerist verkauft Kunstwerke, die er vielleicht selber nicht kaufen würde, weil er weiss, dass sie sich besser verkaufen lassen. Und in diesem Dilemma stecken alle, die Kunst für die Öffentlichkeit zugänglich machen, Galeristen, Kuratoren wie auch Auktionatoren. Die Prämisse ist nicht die Liebe zur Kunst, sondern der Umsatz. Museen müssen möglichst viele Besucher anziehen, damit Einnahmen erzielt werden und die Gelder der öffentlichen Hand rechtfertigt werden können. Fixkosten wie Mieten und Löhne müssen gezahlt sein. Laufen sie in der Befolgung dieses Kriteriums nicht Gefahr, vor allem Kunst für den breiten Geschmack zu verkaufen? Und was nicht angeboten wird, kann auch nicht verkauft werden.
KunstLiebeGeld Ich bezweifle, dass gute Kunst einfach mit verkaufbarer Kunst gleichgestellt werden kann. Wenn dem so ist, kauft man sich besser eine Deko, die ist nämlich wesentlich billiger. Andererseits, wird Kunst nur noch nach dem Kriterium Geld bewertet, wird alles viel einfacher. Das Vertrauen in den Analysten bereitet relative Unbeschwertheit und grösste Befriedigung. Nicht nur punkto Preis und Performance, sondern auch in Bezug auf persönliche Zufriedenheit. Hat man doch in etwas investiert, was lange währen wird und eine breite Anerkennung einbringt. Ein Warhol, ach wie schön und stattlich im Preis.
Leider kann man nicht zwei Herren dienen. Entweder liebt man Kunst um der Kunst oder um des Geldes willen. Dumm nur, dass alle Entscheidungsträger auf Geld angewiesen sind, und ihre Entscheidungen deshalb stets auch wirtschaftlich begründet sein müssen. Dafür erklärt dies, warum Inhalt oder Fertigungsweise nicht als Kriterien für gute Kunst herangezogen werden. Vielleicht wird Kunst einst wie das Geld selbst nur noch zur fiktiven Währung. Gute Ideen ausgedrückt in den Bytes elektronischer Zahlen, und man kann sagen: «Hey, ich habe gerade mit einem Giacometti Brot gekauft, toll, nicht?» – Oder aber, man kauft Kunst, die man liebt und lässt sie zu dem Grossartigen werden, die sie tatsächlich ist.
Foto: zVg.
ensuite, Dezember 2009