Interview von Luca D’Alessandro — Der Freiburger Jazzpianist Florian Favre ist ein Jungtalent. Bereits jetzt, als Student an der Swiss JazzSchool, präsentiert er ein Album, das bezüglich Vielschichtigkeit in den Klangmotiven und Sequenzen so einiges bietet. ensuite-kulturmagazin hat sich im Februar, ein paar Wochen nach der CD-Taufe am BeJazz Winterfestival mit Favre unterhalten.
Florian Favre, Ihr Debüt trägt den Titel «T’inquiète pas, ça va aller». Beziehen Sie sich dabei auf Ihr Lampenfieber vor den Konzerten?
Nein, der Titel ist eine Art Therapie (lacht). Für mich ist es das erste Album mit mir als Bandleader. Zwar bin ich auf anderen Alben auch präsent, allerdings in der Rolle als Bandmitglied oder Co-Leader. «T’inquiète pas, ça va aller» basiert auf meinen Ideen; es spricht von mir … ja, es ist meins, es hat eine intimere Bedeutung, und ich fühle mich quasi nackt.
Wieso denn nun Therapie?
Es war jeweils nicht einfach, Entscheidungen zu treffen im Hinblick auf die Inhalte des Albums. Deshalb habe ich auch einen Titel gewählt, der mich motivieren soll, im Sinne von «Beunruhige dich nicht, es wird schon gehen. Mach es einfach.» Wenn ich zurückdenke, lief nicht alles glimpflich ab. Zum Beispiel hatten wir unsere Probleme mit den Aufnahmen. Die Harddisk war plötzlich weg, und wir mussten das ganze Material neu aufnehmen. Das erschwerte die Produktion zusätzlich. Und, ja: Es gibt inzwischen sehr viele Trios im Jazzbereich. Das macht auch ein wenig Angst am Anfang.
Angst, dass Eure CD austauschbar sein könnte?
Angst, in diesem Milieu überhaupt etwas zu machen, denn das Niveau im Jazz, besonders auch im Schweizer Jazz, ist sehr hoch. Deshalb musst du als Bandleader erst recht von deinen Ideen und Kompositionen überzeugt sein.
Und wie ist es jetzt für Sie, jetzt wo die CD auf dem Markt ist?
Es geht besser, eindeutig (lacht). Es gibt einen Punkt, an dem du sagen musst: «Hopp, nun gehen wir damit an die Öffentlichkeit. Sonst geht gar nichts.» Letztlich bin ich sehr stolz auf unser Produkt und dass ich diesen wichtigen Schritt gemacht habe. Sehr zufrieden bin ich übrigens mit der Vernissage am BeJazz Winterfestival: Da konnten wir mehr als sechzig CDs verkaufen. Das motiviert uns und zeigt, dass wir so falsch gar nicht liegen. Ich freue mich extrem, dieses Album live spielen zu gehen und diese Musik mit den Leuten zu teilen.
Apropos Bandlead: An der Vernissage sagten Sie kurz vor Schluss zum Publikum. «Nun will ich noch ein Stück spielen, das ich gewählt habe.» Es scheint fast, als hätten die anderen beiden Bandmitglieder die Playlist definiert.
Das war nur so ein Spruch, um die Leute aufzuheitern. Die Zusammenarbeit mit Manu Hagmann und Kevin Chesham ist sehr innig.
Bei Ihnen herrscht eine flache Hierarchie.
Nein, es ist schon so, dass ich den Lead innehabe. Aber es ist mir wichtig, dass sich Manu und Kevin wohl fühlen. Musik ist nicht Diktatur, alle müssen daran glauben.
Als Bandleader sehen Sie sich vermutlich weniger als Chef, vielmehr als Koordinator.
Ich bin der Chef, der die Musik bringt. Allerdings sollen die andern auch mitreden können, ob sie mit den vorgeschlagenen Stücken leben können. Es soll ein Commitment geben, finde ich. Musik soll schliesslich nicht nur eine Person widerspiegeln.
Bei der Durchsicht der Titel auf Ihrer CD hatte ich den Eindruck, einen negativ gefärbten Leitfaden zu entdecken: «Kaputt», «Tiefer und Tiefer», «Minus 20°C Blues» und «L’homme qui ne voulait pas mourir seul». Gleichzeitig scheinen Sie ein sehr verspielter Musiker zu sein – zumindest hatte ich am Konzert diesen Eindruck.
Die Bandbreite ist mir wichtig, weil sie mit dem zu tun hat was ich erlebe: Manchmal ernste und traurige Dinge, dann wieder lustige und verspielte. Grundsätzlich bin ich ein sehr positiv eingestellter Mensch. Trotzdem: Mir gefällt eine gewisse Melancholie, wobei ich es vermeide, ein Konzert nur mit solchen Stimmungen zu gestalten. Ein Konzert soll schliesslich fürs Publikum sein, und dieses liebt auch witzige Geschichten. Ein Konzert muss ansprechend sein. Und es ist interessant, dass man als Zuhörer mit verschiedenen Emotionen konfrontiert wird. Im Alltag ist es ja auch so. Je mehr man lacht, desto eher ist man dann berührt, wenn ein Thema etwas melancholischer daherkommt. Der Kontrast ist stärker. Sie haben «kaputt» erwähnt: Der Titel mag etwas negatives ausdrücken, doch der musikalische Inhalt ist sehr verspielt. Lachen gehört auch zum Jazz, finde ich.
Nuancen scheinen ein Grundpfeiler Ihrer Arbeit zu sein: «Infinity» zum Beispiel beruht auf einer schönen Steigerung, ja, einer Intensivierung …
Intensität ist mir sehr wichtig. Ich mag das. Das Spiel mit Alternativen oder anderen Elementen, die andere Farben bringen, erachte ich als sehr spannend.
Am Konzert spielten Sie die Geschichte eines besoffenen Elefanten – auf der CD übrigens im Stück «Low» zu finden.
Beim Elefanten-Stück dachte ich ursprünglich an eine Beerdigung in New Orleans. Dann hatte ich plötzlich die Idee einer Beerdigung eines Elefanten in New Orleans. Schliesslich habe ich den Titel völlig umgekrempelt.
Wie kommt man auf solche Ideen?
Ich weiss es nicht. Ich weiss nur, dass ich programmative Musik mag. Man versucht mit der Musik nicht nur Musik zu machen, sondern klare Bilder zu erzeugen. Oft kommen die Leute, die mit Jazz nichts am Hut haben, nach dem Konzert zu mir und sagen: «Die Geschichte mit dem Elefanten ist so cool. Sie macht mich glücklich.» Das freut mich, denn ich spiele Jazz für alle und nicht für eine kleine Elite. Ich versuche Geschichten mit einer gewissen Komplexität zu erzählen, dabei ist mir die Lesbarkeit aber sehr wichtig.
Info: www.florianfavre.com
Foto: zVg.
ensuite, März 2013