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Langsam wird es Zeit für die Krone

Von Iri­na Mahlstein — Langsam wird es Zeit für die Kro­ne: Ich habe drei Tage hin­tere­inan­der in meinen Com­put­er im Bau ges­tar­rt und in ein­er 64x128-Matrix sämtliche Län­der der Welt einge­tra­gen. Dabei bin ich vol­lkom­men sys­tem­a­tisch vorge­gan­gen, zuerst alle Län­der, die mit dem Buch­staben A begin­nen, dann jene mit B, danach die mit C usw.. Wussten Sie, dass es unglaublich viele Län­der gibt, die mit den Buch­staben «Ma» begin­nen (auf Englisch)? Malawi, Malaysia, Mali, Mau­re­ta­nia, nur ein paar Beispiele. Oder wussten Sie, dass die Demokratis­che Repub­lik von Kon­go früher Zaire hiess? Lustig, welch­es Wis­sen man sich (unge­wollt) aneignet während ein­er Dok­torar­beit. Eigentlich sollte ich den Dok­tor­ti­tel in Geo­gra­phie bekom­men. Immer­hin weiss ich nun ganz genau, wo jedes Land der Erde in einem spek­tralen Git­ter mit Auflö­sung T42 liegt. Auch solche Leis­tun­gen soll­ten geehrt wer­den. Aber wie ein asi­atis­ches Sprich­wort besagt: Ein richtiger Kämpfer will für seine Sache beschei­den ster­ben. Nach drei Tagen Ges­tarre in meine Matrix wusste ich wirk­lich nicht mehr ganz, ob ich mich nach wie vor zu den leben­den Men­schen zählen kon­nte. Selb­st im Traum schwirrten mir ständig Län­der­na­men und Matrixzahlen durch den Kopf. Hof­fentlich will meine zukün­ftige Chefin nicht diesel­ben Resul­tate auf einem T85-Git­ter. Anson­sten müsste ich wohl einen Monat lang das Git­ter­raster anstar­ren.

Würde ich mir nicht erhof­fen, dank dieser (hof­fentlich entste­hen­den) extrem neuar­ti­gen und spek­takulären Resul­tate einen sagen­haften Abschluss mein­er Dok­torar­beit zu erlan­gen, hätte ich die Mühen natür­lich nicht auf mich genom­men. Ich hab es wahrschein­lich in dieser Kolumne noch nicht erwäh­nt, aber es dauert nur noch vier Monate, bis ich meine Arbeit abgeben muss. Es beste­hen fol­glich nur noch wenige Möglichkeit­en, mein­er Arbeit noch ein Krönchen aufzuset­zen. Also hü!

Langsam häufen sich auch Fra­gen ander­er Mitar­beit­er wie: «Bist Du schon fleis­sig am Schreiben?» Und ich jew­eils: «Ne, ich bin immer noch am rech­nen …» Ich habe noch keinen Tag darüber nachgedacht, wann ich denn eigentlich begin­nen sollte, meine Resul­tate in einen Text zu ver­wan­deln. Klar hab’ ich zwei Pub­lika­tio­nen geschrieben, die ich ein­fach bei­le­gen kann. Aber ich muss das ja in irgen­deinen vernün­fti­gen Ablauf brin­gen. Ich hab’ mir immer gedacht, dass ich dies dann in den let­zten Monat­en machen werde. ABER ICH BIN JA SCHON IN DEN LETZTEN MONATEN! Dabei bin ich erst damit beschäftigt, die Resul­tate für meine dritte Pub­lika­tion zu gener­ieren. Und dies bein­hal­tet ja, wie oben schon bemerkt, Län­der in ein Git­ter einzuze­ich­nen. Auf stu­pide Art und Weise. Vielle­icht sollte ich mir tat­säch­lich langsam einen Plan zurechtle­gen, wann ich denn meine Dok­torar­beit tat­säch­lich schreiben werde. Bis Ende Mai muss näm­lich noch eine dritte Pub­lika­tion entste­hen, ein Pro­pos­al, welch­es gut genug ist damit mir mein Post­doc-Lohn bezahlt wird und wie gesagt: Ich muss das ver­dammte Ding noch schreiben. Das Ding, welch­es mir die erwün­scht­en Türen öff­nen kann. Das Ding, was mich zum ehren­haften Dok­tor­ti­tel brin­gen wird.

Ich sollte mir nach offiziellem Erlan­gen des Titels Briefkästen und Klin­gelschild anpassen lassen. Nur für eine gewisse Zeit natür­lich. Aber ein­fach als Genug­tu­ung für die ver­flosse­nen Schweissperlen. Oder auch nur aus Jux, um zu sehen, wie die Leute reagieren. Und wenn ich dann den Titel habe, und der Tiger und ich — eventuell, wer weiss, man kann ja nicht wis­sen, aber vielle­icht wäre es ja mal möglich – heirat­en, dann ist er wohl Dok­tor Tiger? So lief das doch früher, der Ehep­art­ner wird eben­falls mit dem Titel ange­sprochen. Kein schlechter Deal, eigentlich. Vielle­icht ist es keine schlechte Idee, wenn ich mir Gedanken darüber mache, was der Tiger mir als gebührende Gegen­leis­tung erbringe kön­nte …!

Foto: Bar­bara Ine­ichen
ensuite, Feb­ru­ar 2009