Januar: Skifahren eine aussterbende Kulturtechnik
Früher gehörte Skifahren zur Schweiz wie die Toblerone nach Bern. Doch die Matterhornschoggi ging zu einem US-Grosskonzern, aus der ehemaligen Fabrik wurde das „Tobler-Areal“ für die Uni. Skilager in Schweizer Schulen sind auch eine Rarität geworden, meist fallen sie dem Rotstift zu Opfer. Heute sind es Kinder mit Migrationshintergrund, die Skifahren nur als Luxussport kennen; in meiner Jugend waren es die Arbeiterkiddies. Ich erinnere mich noch gut an mein klassisch-griechisches Gymnasium. Unser Klassenlehrer fragte im Vorfeld des Skilagers von oben herab: „Übrigens. Es gäbe noch eine Kasse für Minderbemittelte, die sich die Ferien nicht leisten können. Ist einer dieser Sorte in dieser Klasse?“ Selbstverständlich hielt ich meine Hand hoch, denn meine Mutter und mein meist arbeitsloser Vater konnten weder Skiausrüstung, Skianzüge noch Ski Abos berappen. Die Demütigung ging im Skilager übergangslos weiter. Eine Professorentochter, die nie was aus ihren Bestnoten im Kirchenfeld anstellen sollte, erblickte mich im Migros Ski Anzug und rief süffisant: „Hahaha, schaut mal alle her. Die Regula ist eine Migros-Fahrerin“. Dabei sah ich im Anzug super aus und auf dem Siegerpodest stand ich in der Abfahrt auf dem dritten (!) Platz. Dies, obwohl ich mir die fünf Wochenende vorher selber das Schifahren beigebracht hatte. Seitdem weiss ich: Wenn ich will, dann will auch die Welt. Ein Winter ohne Berge ist für mich wie ein Tag ohne britischen Humor: possible but never desired.
Dolomiten in Polaroidlook von laStaempfli. Jajaja, Fotografen, not good. Aber mir egal: Lieber ein Polaroid statt Perfekt.…
.
.
Februar: Nackt. Die Kunst der Blösse
Der wohlgeformte Hintern glänzte überall: Von München nach Zürich bis zu seinem Ausstellungsort Basel. Das Antikenmuseum Basel und die Sammlung Ludwig besuchte ich nicht zuletzt wegen der überaus gelungenen Werbung für die Ausstellung „Nackt“. Die „Aphrodite Kallipygos“, mein Alter-Ego sozusagen, respektive „die mit dem schönen Hintern“, ist über 2100 Jahre alt und war zu Gast in diesem tollen Museum, das den Charme einer Welt von Gestern perfekt versprüht. Schade nur, dass das Museum viel zuwenig Veranstaltungen mit zeitgenössischen Kultur- und Politikwissenschaftlerinnen offeriert: Was hätten wir doch Spannendes zu erzählen! Allein über die österreichische „Venus von Willendorf“ würden neun Abende kaum reichen, soviel gäbe es über matriarchale Netzwerke und Modernität avant la lettre und jenseits des Machofeuilletons zu berichten. Die nackte Göttin war zu Beginn der Menschheit Verheissung von Fruchtbarkeit und Transformation. Doch schon bei den Schriftgelehrten in Ägypten bedeutete die Nacktheit Sklaverei. Mit der Schrift kam die Kleidung und damit fast ewige Hierarchie. Seitdem wird die Blösse von männlicher Macht dazu benutzt, Opfer zu kreieren: Opfer des Voyeurismus, Opfer der Schutzlosigkeit, Opfer sexueller Gewalt in unzähligen Bildern. Künstler sind leider oft erkennbar als willige Vollstrecker ikonographischer Dominanz: Von der Lust bis zum Tod.
Die Ausstellung war wirklich einzigartig und das „Antikenmuseum Basel und die Sammlung Ludwig“ verdienen jede Werbung. Und wer weiss: Vielleicht kommen die Verantwortlichen ja wirklich noch auf die Idee, die zeitgenössischen Denkerinnen zu einem neuen Reigen in die Räume voller göttlicher, antiker und nackter Botinnen der Inspiration zu laden. Ich wäre jedenfalls sofort dabei.
Fruchtbarkeitsgöttinnen: Gross, breit, weiblich schön.
.
.
März: Sagmeister&Walsh „On Beauty“
Stefan Sagmeister traf ich an einer Preisverleihung in Köln 2006. Ich unterrichtete damals auf Einladung der grossen Professorin Dr. Uta Brandes und ihrem ebenso grossen Gefährten Professor Dr. Michael Erlhoff „Design und Demokratie“. Stefan Sagmeister ist einer der bekanntesten Grafikdesigner weltweit. Mit seiner eigenen Agentur gestaltete er unvergleichlich und unvergessene Poster. So auch für uns, d.h. das Internationale Forum für Design in Ulm IFG, für welches ich von 2005 bis 2013 tätig war bis die Stiftung ihr Geld für die aufwendige Neukonzeption von Gebäude und Restauration aufwenden musste.
2012 tat sich der mittlerweile 50 jährige Sagmeister mit der 24 Jahre jüngeren Grafikdesignerin Jessica Walsh zusammen; beide posierten nackt in ihrem Atelier „Sagmeister & Walsh“.„Beauty“ von Sagmeister&Walsh am MAK in Wien war ein eindrückliches Plädoyer für das Schöne, Wahre, Weise und für die politische Dringlichkeit ästhetischer Gestaltung. Architektur, Stadtplanung, Schriftzeichen wurden mit allen menschlichen Sinnen verbunden. Faszinierende Alltagsbeispiele aus Millionenstädten wie Sao Paulo manifestierten, dass selbst minimale Schönheits-Interventionen im öffentlichen Raum die Kriminalitätsrate vor Ort senken und Gemeinschaft fördern.
Schönheit ist im gegenwärtigen Diskurs extrem negativ besetzt bleibt. Nicht zuletzt weil Schönheit definiert wird durch alte Machomänner, die nicht die Ästhetik, sondern die pornographisch fixierte Schönheit meist an jugendlicher Frauen als einzig „schön“ propagieren, um diese auch in allen anderen Bereichen regelrecht zu pornografisieren.
Aus „Schönheit“ by Sagmeister&Walsh in Wien.
.
.
April: “Von der Verrückung der Wirklichkeit”
2019 war mein erfolgreichstes Österreichjahr so far. Mein Buch : “Trumpism. Ein Phänomen verändert die Welt“ eroberte den europäischen Alpenstaat mit Glanz und Gloria. Ich war auf Tournee in Wien, Innsbruck, Graz, Linz. Nur Salzburg fehlte in der Liste der Buchtournee, doch am 9. Jänner 2020 war es soweit: Servus TV lud mich zur Expertenrunde „türkis-grün“ ein. Der Philosoph Alexander Tschernek und der Radiomacher Manuel Schmale konzipierten ein Hörspiel entlang meines „Trumpism“ in ihrer ORF-Sendereihe „Philosophie Pur“ für den österreichischen Nationalfeiertag vom 26.10.2019. Höher kann eine Sachbuchautorin wohl nicht steigen, was für eine grosse Anerkennung ich im Ausland erfahren durfte!
“Eine Revolution ist im Gange, die von vielen Intellektuellen viel zu wenig auf den Punkt gebracht wird. Es ist eine Revolution, bei der es darum geht, uns die Welt und die Wirklichkeit, so wie wir sie kennen, aus der Realität zu rechnen.“
Diese Sätze waren auch meine Begleiterinnen bei meiner Hannah Arendt Vorlesung an der Universität St. Gallen. Über 140 Personen fanden sich über Wochen hinweg im Hörsaal für jeweils zwei Stunden „Vita Activa: Mit Hannah Arendt durch den Alltag“ ein. Ich redete frei, war im Flow und ärgerte mich nur später, dass ich meine streng eingeübten und druckreifen Vorlesungenblöcke nicht aufgenommen habe. Meine Parforce-Leistung hatte indessen Vorteile: Die Zuhörenden blieben gefesselt, in messerscharfer Aufmerksamkeit mitdenkend.
Hier ein paar Zückerchen: „Falsch erzählt, ist die Demokratie schnell gekreuzigt“, „Im politischen Diskurs regiert Nihilismus bei gleichzeitig vergoldeten Innenleben“, „Kreuzdumme Biopolitik, kombiniert mit finanzpolitischen Dystopien, gefordert von Selfie-Elementarteilchen mit Smartphones.“ „Das Leben als Kreditkarte behindert die Ausübung der Demokratie.“ „Die Streuwaffe Sexismus im global verbreiteten Frauenhass wird gerne via Hyperlink markttauglich gemacht.“ „Die Kombination alte Männer-Medien-Seilschaften und junge Newcomerinnen ist als Infotainment-Combi kaum zu schlagen.“ „Trumpism ist ein System von Selbstbezogenheit, Datengläubigkeit und medialer Inszenierung.“ „Der Begriff ´Styleguide´für Branding-Strategien von Staaten stammt aus der Pornoindustrie.“ „Corporate Design gehört zu TRUMPISMUS wie der Senf zur Wurst.“„Demokratien garantieren öffentlichen Zugang zu Bildung und sind nicht dazu da, mit Steuergeldern Listenplätze auf dem fiktiven Shanghai-Rating zu vergeben.“ (Copyright Regula Stämpfli, da einige Schweizer Männer dazu neigen, mich ständig zu bestehlen… Insidergruss)
Lesung in der „DenkBar“ St. Gallen als Auftakt zur Vorlesung „Politische Philosophie“. Dieses Jahr war sie zu „Vita Activa: Mit Hannah Arendt durch den Alltag.“
.
.
Mai: Alles neu macht MARY QUANT
Es war ein Sonntag. Seit meiner Erziehungshaft im Gymnasium Kirchenfeld in Bern, als ich dachte, ich hätte meine unbändige Gier an Wissen, Kultur und Welt für immer verloren, ist für mich jeder Museumsbesuch ein Segen und unbeschreibliches Glück. Wüssten doch all die Museen, durch die ich mit klopfenden Herzen, offenen Augen und dem schönsten Lächeln in meinem Gesicht, wie überlebenswahr sie mir sind!
Das V&A Museum gehört zu den besten Kunst- und Designmuseen der Welt und: der Besuch ist gratis. Die Sonderausstellungen wie DIOR oder MARY QUANT, die ich beide gesehen habe, kosten, es gibt lange Warteschlangen, doch die normale Sammlung gehört der Öffentlichkeit. Alle dürfen im Park, eingerahmt in den einfachsten Gold, Grün, Blau und Rot, Kaffee und Garten geniessen. Zauberhaft.
In meiner Kindheit waren Museen Tempel für Reiche. Selbst im Gymnasium wurde streng darauf geachtet, dass nur Auserwählte der Altgriechen Kunst kommentieren oder, bewahre, selber versuchen durften. Doch seit dem ersten Tag meiner Befreiung an der Universität gehört ein monatlicher, meist ein wöchentlicher Besuch einer Ausstellung zu meinem Leben. „Merci Pierre Bourdieu!“ kann ich da nur rufen. Denn es war nicht zuletzt sein Werk: „Wie die Kultur zum Bauern kommt“, die mich befreit hat. „Streitbar“ wurde Bourdieu ständig in der Presse beschimpft, dabei hatte er – wie vertraut dies doch klingt – noch gar nicht richtig zu streiten begonnen.
MARY QUANT, das Bild stammt aus der gleichnamigen Ausstellung, war mir – im Unterschied zu DIOR im selben Haus – zu wenig politisch, historisch, erklärend, sondern sehr oberflächlich Upper-Class goes Streetwear-Slang. Minirock, Regenmäntel und Bubikragen erscheinen im Rückblick weniger rebellisch als dies die Presse gern hervorhebt. Mary Quant war trotzdem die Vorreiterin demokratischer Designerstücke: Sie liess alle, die wollten, ihre Schnittmuster verwenden. Der Snobismus sei aus der Mode gekommen, erklärte Mary Quant: „In unserem Laden rangeln sich Herzoginnen mit Büromädchen um dasselbe Kleid“.
Mary Quant im V&A 2019
.
.
Juni: Welt aus, OBS an
Das Glück zu leben geht im Juni weiter: Laut Rolling Stone Magazin findet „Das beste kleine Open Air Festival der Welt“ jedes Jahr um Pfingsten in Beverungen, in der Nähe von Kassel, Deutschland, statt. Das „Orange Blossom Special“, Abkürzung OBS, ist das Musikereignis des Glitterhouse-Tonträgerlabels. Drei Tage Konzerte auf dem höchsten Niveau, mit den zauberhaftesten Menschen, die frau im grossen Kanton im Norden finden kann. Drei Tage wird durchgetanzt, es gibt verführerisches Essen, tolle Buden mit nachhaltigen, ökologischen Produkten und das OBS sammelt Tausende von Euros für einen guten Zweck: Letztes Jahr war es für Sea-Watch, die Seenothilfe für Flüchtlinge. Und es gibt: Musik, Musik, Musik, Musik, Musik, Musik…
Das OBS ist friedlich, verbindet Unbekannte und Popstars, Independents und grosse Namen. OBS-Neulinge machen meist riesige Karrieren, so AnnenMayKantereit, die 2014 noch auf der Pausenbühne spielten und mittlerweile die grossen Arenen füllen.
Aus einer völlig anderen Welt kommend, habe ich durchs OBS Musik kennengelernt, die viel zuwenig in den Radios gespielt und in den Podcasts besprochen wird. Das OBS ist wie eine zarte, blonde, sentimentale Fee und hartgekochter, männlich-macho-hexender Witcher gleichzeitig: Es geht von einem Rausch zum nächsten: Super-Rembert Stiewe, sein Team und Dynamo-Windrad-Geist Lutz Mastmeyer sind die schönsten, genialsten, innovativsten, engagiertesten „alten weissen Männer“, die sämtliche Boomer-Beschimpfungen als stinkende Fürze fehlgeleiteter Hashtag-Tussis und Möchtegern-Mackers verdampfen lassen. Seit es das OBS gibt, weiss ich, dass Pfingsten wahrhaftig ist. Ein Wunder: Eines, das mein Leben für immer verändert hat.
Plakat OBS 2019
.
.
Juli/ August 2019: Titaninnen und Olympierinnen
Philosophen verfassen gerne „Must-Reads“ zum Angeben. Der Habitus von denkenden Männern bleibt ungebrochen schief, vor allem mit wachsenden Jahreszahlen. Philosophinnen gibt es wenige wahrhaftige. Wer schon, ausser mir, legt es sich mit ganzen Fachrichtungen punkto Denken, Weltanschauung, Logik, Weltverlust so wortmächtig und öffentlich an? Richtig. Im deutschsprachigen Raum gehöre ich zu grossen Ausnahmen meines Geschlechts. Wohl deshalb wurde ich noch nie zur „Sternstunde Philosophie“ SRF eingeladen, was in fünfzig Jahren dann mit Büchern wie „Eine Frau kommt zu früh“ bedauert werden kann. Der Feuilleton in Deutschland, Österreich und in der Schweiz, der auch im Hashtag #dichterdran in den Kakao gezogen wurde, ist derart sexistisch, dass es einem auch 2020 kotzübel wird. Die Männer, von jung bis alt, rühmen sich ihrer Fortschrittlichkeit und schmücken sich mit jungen Frauen, „neuen“ Talenten und bedienen damit ein Muster, das so alt ist wie staatliche Kulturförderung. Igitt. Nur so ist erklärbar, dass ausgerechnet ein Peter Handke den Nobelpreis für Literatur gekriegt hat. Peter Handke? Are you joking? Marlene Streeruwitz hingegen wäre die einzige und richtige Wahl gewesen, hätte es denn wieder ein deutschsprachiges Talent sein müssen. Vielleicht noch Ruth Klüger. Doch: Deutsche Frauengenies werden seit Jahrhunderten zu Lebzeiten beschimpft, verdrängt und schliesslich vergessen. Da tröstet selbst Elfriede Jelinek nicht, die eh nie trösten, sondern nur poetisieren will.
„Auch die Frau ist das für Frauen andere Geschlecht.“
„Die Frau ist als Ständer für Ständer oder frei nach Hegel: Die Frau ist für andere Frauen das andere Geschlecht“ laStaempfli über den Sommer 2019 als sie von mehr als nur einem Feuilletonisten und deren weiblichen Verbündeten ganz hinterhältig angegangen wurde…
.
.
September 2019: Graz
„Graz ist eine Schönheit“ twitterte ich begeistert nach meiner Lesung im Welthaus Graz. Damit meinte ich nicht nur die „Grande Ville“, sondern auch all die engagierten, wunderbaren Menschen, die ich in der Kulturhauptstadt Europa des Jahres 2003 kennenlernen durfte. Die Landeshauptstadt glänzte golden bei meiner Ankunft im September 2019: „Aufsteiern“, das grösste Volkskulturfest Österreichs war im vollen Gange. Zwar sind mir in Tracht steckende tanzende Menschenmassen mit deutscher Zunge aufgrund meiner Herkunft und Sozialisation meist sehr suspekt – ich war aus diesem Grunde auch nur einmal am Rande am Münchner Oktoberfest und trust me, das hat mir gereicht. Doch in Graz wurde ich von der Fröhlichkeit von all den schönen jungen Menschen angesteckt. Lustige Gruppen forderten mich ständig zum Mittanzen und Mittrinken auf. Die ganze Stadt war nicht einfach besoffen, sondern vor allem gut drauf. Auf dem Schlossberg sass ich dann im schönsten Restaurant im Abendrot und hätte fast zu weinen begonnen: Nie waren Herbstfarben intensiver und schöner als von diesem lauschigen Plätzchen, seufz. Die Grazer Altstadt und das Schloss Eggenberg gehören mit Fug und Recht zum UNESCO-Weltkulturerbe. Ermöglicht hat mein Besuch das schon erwähnte Welthaus von Graz, das sich gegen alle Ungerechtigkeiten einsetzt, zur Diözese Graz-Seckau gehört und von engagierten, ganz tollen Frauen und Männern geleitet wird. Sofort nach meinen drei Tagen in Graz meldete ich mich bei der Universität Graz, ohne leider bis heute eine Antwort gekriegt zu haben. Doch abwarten, denn: Jede Stadt braucht eigentlich eine Hannah Arendt-Dozentin.…
Das Steirische Wappen von Graz: Es ist ein silberner Panther, der aus dem Rachen Flammen hervorstösst. Der Panther als Wappentier der Steiermark ist seit 1160 verbürgt. Ein ziemlich ungewöhnliches, eindrückliches und vor allem uraltes Statussymbol Europas.
.
.
Oktober 2019: Babylon Berlin
Die „Innocracy“ des Progressiven Zentrums, die „Digitalkonferenz zur Demokratie“, führte mich auf Einladung von Milo Tesselaar nach Berlin.
Eine wirklich überschätzte Stadt.
Der Feuilletonist der Zwischenkriegszeit, Joseph Roth, meinte einmal, dass Berlin voller „Hungernden Billionäre“ sei. Was wie ein zynisches Paradox klingt, macht angesichts des globalen Berlin-Zeitgeist Sinn. Berlin ist nur im Kreuzberg ertragbar. Dort hört man auch nicht ständig Schweizerdeutsch. Wie zu Joseph Roths Zeiten klagen sogar die Totengräber über mangelnden Lohn während sich die von den Medien sexistisch beschimpften „Latte Macchiato“-Mütter tatsächlich über die Stadt hermachen als wären alle Strassen ausschliesslich für ihre Kinderwägen geteert. Berlin ist ein Edelmenschen-Dorf, das sich mit Vielfalt schmückt und im Kleingeist erstickt: Ich sage es ja. Viel zuviele Schweizer, nein, viel zuviele Zürcher in Berlin. Die meinen, sie seien der Kleinstadt entronnen, dabei sind sie nur auf dem Festland der Hipster gelandet. Die Blasiertheit aller Schuldvermutung gegenüber dem, der es wagt, die lächerliche Berlin-Geilheit zu kritisieren, ist ungebrochen. Ganz übel ist Tom Tykwers „Babylon“. Ein Machwerk, das alle Frauen zu Nutten, die „Roaring Twenties“ als Orgien verklärt und die Nazis in ihren schicken Kostümen und Uniformen erotisch auflädt. Übrigens eine typische Berlin-Story: Volker Kutscher hat geniale Krimis geschrieben und Tom Tykwer verkitscht sie ins Bodenlose. Tja. Berlin. Dieser Stadt gelingt es, selbst aus Kirschblüten Katzenklos zu machen.
Ludwig Windstosser, Fotografie der Nachkriegsmoderne. Im Museum für Fotografie. Der Stuttgarter Fotograf gehörte zu den führenden Industriefotografen Westdeutschlands. Ganz eindrückliche klare Bilder, die das Lebensgefühl in Berlin vor Augen führen. Ludwig Windstosser hat mich an den Tod meines guten Freundes und Industriefotografen Josef Riegger in diesem Jahr erinnert. Er und ich sind auf immer verbunden in unserem Werk: Frauen ohne Maske. Über Frauen und ihre Berufe – aus dem Jahr 2010. Wie schön es doch wäre, die Schweiz würde in nicht allzu ferner Zukunft auch dem Schweizer Industriefotografen Riegger eine Ausstellung gewähren… doch: Propheten gelten selten etwas im eigenen Land.
.
.
November 2019: Kreativität. Macht. Realität.
Welche Beziehung besteht zwischen Design und der Realität?
Inwiefern beeinflussen Gestalter gesellschaftliche und soziale Zustände und haben dabei Macht?
Welcher Reiz besteht in der Kreation alternativer Realitäten?
Und welche Verantwortung ergibt sich daraus?
Um diese Fragen und dreht sich das 12. Forum Mediendesign, denn: Design spielt eine große Rolle im gesellschaftspolitischen Kontext und ist ein weitreichendes Instrument.
Sechs Größen der internationalen Kreativbranche hielten brillante Vorträge, geniale Roundtables, eindrücklichste Präsentationen.
An all dem durfte ich mal als Gast und nicht als Referentin teilnehmen. Und ich bin soo dankbar und werbe hiermit für die nächste Konferenz 2021 „Forum Mediendesign“. Unbedingt anmelden und auf Facebookseite, Vimeo und auf meiner Homepage könnt Ihr die wichtigsten Beiträge nachschauen.
Monika Hanfland hielt einen sehr behutsamen, eindrucksvollen Vortrag über Menschen, die mit menschenähnlichen Puppen zusammenleben. Sie schreibt: „In Zeiten der Digitalisierung, Social Media und der Suche nach Perfektion, konzentriert sich das Projekt auf die Frage, ob RealDoll Liebespuppen den menschlichen Partner ersetzen könnten. (…) Der Kontrast von technischen Prozessen und ethischen Grenzen zeigt die Explosivität des Themas (…) Werden wir eine neue Art von Beziehungen entwickeln, denen wir uns nicht mehr bemühen müssen?“ Wie gerne würde ich mit der klugen jungen Künstlerin/Designerin/Fotografin eine Ausstellung machen. Ich war im Vorfeld des Vortrages so skeptisch und bin hellauf begeistert.
.
.
Dezember: Wien/Uganda
Louise Deininger ist eine der beeindruckensten, klügsten und schönsten Menschen, die ich je kennenlernen durfte. Eine Künstlerin, based in Wien, die sich mit der „DNA des Krieges“ beschäftigt. Unermüdlich arbeitet sie mit inspirierenden Menschen, jungen, alten, vielfältigen Kreativen in Gulu, Norduganda, um Kunst und Kultur zum Heilungsprozess in einer Region zu verwandeln, die unzählige Leben bedroht, wo sie doch zum DASEIN gefeiert werden sollten. Louise Deininger durchbricht mit GYCO ACADEMY den Teufelskreis von ökonomischer Abhängigkeit und kulturellem Abstieg durch fehlendes Selbstvertrauen, Traumata und Zukunftslosigkeit. „Building an empowered youth for a more sustainable, positive and peaceful society.“
Ich habe das grösste Glück auf Erden, GYCO zu unterstützen und Louise Deininger meine Freundin zu nennen. Helft alle mit bei der GYCO ACADEMY . Da habe ich zum ersten Mal – nach sehr langer Zeit, wieder Zukunft gesehen.
https://www.gyco.eu/about-us.php
Dezembertreffen mit Louise Deininger (Mitte, links von mir), Doris Kittler, Sharon (rechts von mir) und Liama Irene für GYCO. Nicht von den Männern im Hintergrund ablenken lassen.
.
.
.
WIDMUNG KULTURJAHR laStaempfli für FRANZ SCHUBERT
„Das Glück kann man nicht suchen. Man muss von ihm gefunden werden.“ 2019 war Wien, ganz Österreich, ein Glück ohne Ende. Es geht 2020 weiter. Dies habe ich vor allem einem grossen Mann zu verdanken. Franz Schubert. Charmant, gutaussehend, witzig, eindrucksvoll, best Storyteller, gnadenlos genial vernetzt. „MEIN“ Franz Schubert, Saxophonist, Kunstförderer, Medienmagier und intellektueller Überflieger: Ihm sei mein Kulturjahr 2019 gewidmet.
MILLE FOIS MERCI!
Mein Kulturjahr 2019 für Franz Schubert. Den grossen. Genau DER Franz Schubert. DER nämlich lebt und uns alle ein Leuchten schenkt. Besuch: Café Korb. Bild von Facebookpage von Franz Schubert.