Von Sonja Wenger - «Das Kapital eroberte sich den Erdball», hiess es einmal über das Hauptwerk von Karl Marx. Nie war der Spruch wahrer als heute, jedoch nicht im Sinne von Marx. Die seit Jahren wütende Weltwirtschaftskrise dominiert heute die meisten politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen und fast scheint es, dass die dafür verantwortlichen Banken, Finanzinstitute und Spekulanten um so mehr dafür belohnt werden, je rücksichtsloser und gieriger sie sich verhalten. Eine Abzockerinitiative löst in diesen Kreisen wohl kaum mehr als ein müdes Lächeln aus.
Überfällig war es deshalb längst, dass sich auch Filmschaffende in ihrer Funktion als Chronisten, als Aufklärer und als Mahner für die Geschehnisse in der Gesellschaft mit dem Thema Finanzstrukturen auseinandersetzen. Doch die (wenigen) Versuche blieben bisher eher zaghaft, zu sehr dem Unterhaltungsprinzip verhaftet, gut in den Ansätzen, aber wirkungslos. Das mag der Komplexität der Materie geschuldet sein – wer versteht schon wirklich den Finanzjargon? – oder ihrer scheinbaren Trockenheit. Denn seit Michael Douglas 1987 den Finanzhai Gordon Gekko in «Wall Street» verkörperte blieb wohl kein Film-Banker mehr im kollektiven Gedächtnis hängen.
Das könnte sich nun ändern. Aus der Küche des griechisch-französischen Meisterregisseurs und Drehbuchautors Costa-Gavras kommt nun «Le Capital» ins Kino, der seit langem bissigste und entlarvendste Film über die Machenschaften und Strukturen hinter den so oft verschlossenen Türen der Grossbanken. Sein Protagonist Marc Tourneuil wird gespielt vom marokkanisch-französisch-kanadischen Schauspieler Gad Elmaleh, einem Multitalent, das in Frankreich auch als Musiker, Sänger und Tänzer bekannt ist. Der junge Tourneuil wird zum CEO der französischen Bank Phénix ernannt, nachdem sein Chef auf dem Golfplatz zusammenbricht, denn der Firmenvorstand glaubt, mit Tourneuil ein leichtes Spiel zu haben und ihn schnell wieder loswerden zu können, wenn ein würdigerer Nachfolger gefunden ist.
Schnell merken sie, welchem Irrtum sie aufgesessen sind, doch da ist es bereits zu spät. Tourneuil erweist sich als faszinierender Januskopf: Auf der einen Seite ist er ein skrupelloser Taktiker mit dem einzigen Ziel, so viel Geld wie möglich anzuhäufen, denn «wer Geld hat, wird respektiert»; mit seinem anderen Gesicht vermag er die Herzen der Menschen anzusprechen und bringt so erst einmal die vielen, weltweit verstreuten Angestellten auf seine Seite – bevor er zwanzig Prozent von ihnen entlässt, da die Bankinvestoren mehr Rendite verlangen. Blitzgescheit, intellektuell gewieft und mit der verstörenden Fähigkeit, Skrupellosigkeit oder Moral je nach Bedarf einzusetzen, laviert sich Tourneuil durch die Intrigen seines Vorstands, und schmettert dabei auch noch den Versuch einer heimlichen Übernahme durch seine US-amerikanischen Investoren, angeführt von Dittmar Rigule (Gabriel Byrne) ab.
Elmaleh spielt dabei die implodierte Ambivalenz und brodelnde Emotionalität hinter Tourneuils eiskalter und kontrollierter Fassade mit beängstigender Brillanz. Leichtfüssig bewegt er sich zwischen den Welten, in denen er gleichzeitig hofiert und attackiert wird, jettet im schickem Privatflugzeug um die Welt und jongliert mit den Bedürfnissen der Reichen, Mächtigen und Schönen genauso wie mit den Fragen nach Moral und Ethik von Seiten seiner Familie.
All dies macht «Le Capital» nicht nur zu einem doppelbödigen und entlarvenden Finanzthriller mit perfektem Timing und messerscharfen Dialogen, sondern auch zu einer Charakterstudie der Spezies Banker. Während der Film teilweise etwas schwächelt wenn es um Tourneuils persönliche Gefühle und Begehrlichkeiten geht, entblösst Costa-Gavras souverän das Denken, das hinter den Entscheidungen der Hochfinanz steht, und zeigt, welche Folgen es hat: Für die einen mag es dabei um ein unterhaltsames Spiel um Macht und Reichtum gehen, für die anderen bedeutet es zu oft den Verlust ihrer Arbeitsplätze, Ersparnisse und sozialen Sicherheit.
Ändern wird sich daran wohl noch länger nichts, ist die Quintessenz von «Le Capital». Zu gross ist die Gier der Beteiligten, und zu einfach wird ihnen das Spiel gemacht. Ein Spiel, laut Tourneuils Worten, von grossen Kindern die sich amüsieren wollen, und schliesslich gebe es «in jedem Spiel Gewinner und Verlierer.» In diesem Spiel könnten diejenigen, die gewinnen, auch Mal verlieren, und die Verlierer durchaus gewinnen. «Fahren wir also fort, den Armen zu nehmen um es den Reichen zu geben.»
«Le Capital», Frankreich 2012. Regie: Costa-Gavras. Länge: 114 Minuten.
Foto: zVg.
ensuite, Mai 2013