Von Heike Gerling — Seit Menschen sich mit Booten oder Schiffen aufs Meer hinauswagen, stellt sich das Problem der Orientierung auf See. Die Kunst der Navigation («Steuermannskunst») besteht darin, die eigene geographische Position exakt zu bestimmen, um von dort aus die beste Fahrtroute zu ermitteln und das Schiff sicher ans Ziel zu steuern.
In frühen Zeiten der Schiffahrt orientierte man sich zunächst anhand der Erinnerung und sichtbarer natürlicher Anhaltspunkte: Markante Landschaftselemente wie Felsformationen oder Baumgruppen waren die ersten Navigationshilfen.
Wo natürliche Orientierungspunkte fehlten, wurden im Lauf der Schiffahrtsgeschichte auf wichtigen Routen Seezeichen gesetzt und künstliche Landmarken errichtet, die den Seeleuten die Navigation in fremden Gewässern erleichterten.
Wichtige nautische Informationen wie charakteristische Landmarken und Häfen einer Küstenlinie, Entfernungsangaben, gefährliche Strömungen, unter dem Wasser verborgene Hindernisse wie Sandbänke oder Riffs, die bei der Navigation zu berücksichtigen sind, aber auch künstliche Seezeichen wie zum Beispiel Seetürme wurden schon zur Zeit der Antike schriftlich in Seewegbeschreibungen oder Segelanweisungen festgehalten, die als «Periplus», «periploi» oder «limenes» bezeichnet wurden. Solche schriftllichen Navigationshilfen wurden spätestens im Mittelalter durch kartographische Darstellungen ergänzt, die man als «Portolane» oder «Portolankarten» bezeichnete.
Leuchtfeuer sind vermutlich schon zu sehr frühen Zeiten an gut sichtbaren Stellen in Ufernähe entfacht worden, um Fischern bei Dunkelheit oder schlechter Sicht die Rückkehr ans Ufer zu erleichtern; es soll sich dabei um offene Holz- oder Kohlefeuer gehandelt haben, die ohne übergeordnete Kontrolle betrieben wurden und daher in überlieferten Schriften kaum erwähnt werden. Die Anfänge der Geschichte der Seezeichen, Leuchttürme und Leuchtfeuer verliert sich damit buchstäblich im Dunklen. Aber schon zur Zeit der Antike soll es Leuchtfeuer gegeben haben. Die Griechen sollen die ersten Betreiber von Leuchtfeuern gewesen sein.
Jahrhunderte vor Christi Geburt fand im Mittelmeerraum zwischen Morgen- und Abendland bereits ein reger Seehandel statt. Einer der ersten Leuchttürme soll der um 300 v. Chr. von den Ägyptern gebaute Pharos von Alexandria gewesen sein, der bis zu seiner Zerstörung im 14. Jahrhundert auf einer dem Nildelta vorgelagerten Insel stand.
Zur Zeit des römischen Reiches wurden erst im Mittelmeerraum, später auch an westeuropäischen Küsten viele Seetürme errichtet, mit deren Hilfe die römische Handels- und Kriegsflotte navigierte. Mindestens 50 dieser Türme sollen bereits Leuchttürme gewesen sein: An ihrer Spitze brannten offene Feuer, die vom Wachpersonal meist mit harzigem oder in Pech getränktem Holz unterhalten wurden. Die antiken Türme von Dover (Dubra) und La Coruña (Julio Briga) existieren noch heute.
Sowohl der Bau als auch der Unterhalt von Leuchttürmen war mit enormem Aufwand verbunden. Dies galt umso mehr für den Betrieb eines Leuchtturms auf hoher See. Nur eine starke Macht war zu solchen Leistungen und Investitionen imstande. Voraussetzung für solche Anstrengungen waren ausgeprägte wirtschaftliche und militärische Interessen. Der Bau eines Leuchtturms konnte somit nicht nur nautischen Zwecken dienen, sondern auch territoriale Hoheitsansprüche repräsentieren und politische, militärische und wirtschaftliche Macht demonstrieren.
Nach dem Zerfall des römischen Reiches gegen 500 n. Chr. wurden im Bereich der westeuropäischen Küsten jahrhundertelang keine Leuchttürme mehr gebaut; es gab keine übergeordnete Macht mehr, die die Schiffahrt organisiert und kontrolliert hätte. Die Küstenorte hatten Plünderungen und Brandschatzungen durch Seeräuber zu fürchten und hüteten sich davor, durch Leuchtfeuer auf sich aufmerksam zu machen.
Erst ab dem 12. Jahrhundert wurden mit einem erneuten Aufschwung der europäischen Seefahrt im Mittelmeerraum wieder Leuchttürme gebaut. Ab dem 13. Jahrhundert entwickelte sich auch im nordeuropäischen Raum entlang der Nord- und Atlantikküste bis in den Ostseeraum ein reger Handelsverkehr. Eine Urform der heutigen Seekarten, die älteste überlieferte Portolankarte, wurde im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts gezeichnet — die «Pisaner Karte»Ungefähr zeitgleich entstand auch der Portolan «Compasso da navegare». Die frühen Portolane umfassten hauptsächlich das Mittelmeer und das Schwarze Meer.
Ausser den Leuchttürmen wurden verschiedene andere feste Seezeichen als Orientierungshilfen auf See eingesetzt, die meist aus Holz bestanden. So wurden an westeuropäischen Küsten ab dem Mittelalter kleinere Fahrwasser mit niedrigem Wasserstand durch junge Baumstämme («Pricken») oder Stangen aus Metall markiert; in tieferen Gewässern oder an Ufern ohne besondere optische Merkmale baute man hohe Gerüste aus Holz («Baken» oder «Kapen»), die durch charakteristische, einprägsame Formen unverwechselbar waren; sie wurden auch in die Seekarten eingezeichnet. Auch solche Bauten trugen manchmal an ihrer Spitze ein Leuchtfeuer.
Die Reichweite des Lichts hatte man immer wieder zu optimieren versucht, indem man die Türme oder Holzgerüste, auf denen die Feuer brannten, erhöhte. Das gravierendste Problem der Leuchtfeuer blieb allerdings jahrhundertelang bestehen: Gerade bei schlechten Wetterverhältnissen, wenn sie von den Seeleuten am Dringendsten zur Orientierung gebraucht wurden, war es besonders schwierig, die Feuer in Gang zu halten.
Erst 1782 gelang dem in Genf geborenen Physiker Aimé Argand die Erfindung der »Argandschen Hohldochtlampe«, einer Vorgängerin der späteren Petroleumlampe. Sie wurde mit Öl betrieben und konnte erstmalig ein gleichbleibend helles Licht erzeugen, das geschützt in einem Glaszylinder brannte; um 1800 wurde diese neue Lichtquelle allmählich auch bei Leuchtfeuern eingeführt. Diese konnten jetzt wesentlich günstiger betrieben werden und waren auch durch schlechte Witterungsbedingungen nicht mehr zu beeinträchtigen. Später setzten sich allmählich auch Gasglühlichter durch.
Die Leuchtfeueroptik wurde um 1820 durch eine Erfindung des französischen Ingenieurs Jean Augustin Fresnel nochmals wesentlich verbessert: Optische Linsen bündelten das aus der Lichtquelle austretende Licht parallel, so dass die Leuchtkraft und Reichweite der Leuchtfeuer wesentlich erhöht wurde.
Nach diesem technischen Fortschritt entstanden in den kommenden Jahrzehnten zahlreiche weitere Leuchtfeuer für die mit der Industrialisierung immer stärker zunehmende Schifffahrt.
Die Zeit des Leuchtturmbaus endete ungefähr zur Zeit des Ersten Weltkrieges. Seither werden bestehende Leuchttürme nur noch ersetzt oder technisch verbessert.
In den letzten Jahrzehnten wurden neue funktechnische Navigationshilfen entwickelt (GPS/DGPS, Satellitennavigation und Radar); die Leuchttürme sind aber dennoch unverzichtbar geblieben, wenn auch zumeist nur noch als Sicherungssystem: bei Ausfällen der Elektronik, der Stromversorgung oder bei Unsicherheiten der Ortung sind sie die zuverlässigste Referenz.
Viele Leuchttürme sind heute zu Touristenattraktionen geworden; sie haben ihre Aussichtsplattformen für Touristen geöffnet, und manche bieten sogar Übernachtungen an, die oft auf Monate hin ausgebucht sind.
Parallel zu dieser Entwicklung ist der Begriff des Leuchtturms in den letzten Jahren auffallend oft als Metapher in politischen Diskursen verwendet worden – immer wieder auch bezogen auf den Kulturbereich.
Was hat der Gebrauch dieser Metapher zu bedeuten, bezogen auf das kulturelle Leben einer Demokratie, in der es eigentlich ja keine staatliche ideologische Doktrin und keine «Staatskunst» geben sollte, wie etwa zur Zeit der DDR den «sozialistischen Realismus»?
Ist es nicht paradox, wenn «kulturelle Leuchttürme» gefordert werden, aber gleichzeitig die Voraussetzung für die Entstehung von Kultur, eine lebendige kulturelle Vielfalt, durch «Sparmassnahmen» und «Rationalisierungen» gefährdet oder gar zerstört wird?
Eine alte Redewendung lautet: Unter dem Leuchtturm ist es immer am dunkelsten.
Foto: zVg.
ensuite, November 2013