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Leukerbad: Ich suche ein Literatur-Festival

Von Lukas Vogel­sang — Was ist ein Lit­er­atur-Fes­ti­val? Oder vielle­icht anders rum: Stellen Sie sich vor, sie gehen an ein Musik­fes­ti­val, und die Musik­er spie­len jew­eils nur 1 Minute von dem neusten Stück – und ver­weisen zum Schluss auf die neue CD, die man beim Aus­gang kaufen kann. Ist das mod­erne Lit­er­atur­wahrnehmung? Ist das sexy?

Mit dieser Frage habe ich mich aufgemacht, in den hin­ter­sten «Chrachen» hin­ter der Leuk, in einem fel­sumzin­gel­ten Alpenge­fäng­nis, Lit­er­atur zu suchen. Zugegeben, Leuker­bad hat wohl bessere Zeit­en gese­hen. Ver­waist, herun­tergekom­men, wirkt es im Juni see­len­los. Das Dorf­bild ist ein Ter­ro­rat­ten­tat der wal­lis­erischen Architek­turselb­sthil­fe­gruppe. Wenn die Ther­malquellen nicht wären, wäre hier, auss­er ein paar Übungs­granat­en, nichts. Sog­ar die Ten­nis­plätze des dor­feige­nen Clubs gle­ichen einem Schrottplatz, und die Gemein­de­v­er­wal­tung, welche gle­ichzeit­ig auch das Schul­haus sein muss, wirkt wie ein Mau­soleum eines Majors. Hier spielt nie­mand mehr. Hier badet man nur noch. Vielle­icht auch im Selb­st­mitleid.

Aus­gerech­net in diesem Loch find­et seit 15 Jahren das inter­na­tionale Lit­er­atur­fes­ti­val statt. Bei der Hin­fahrt wirkt die Land­schaft gle­ich ein­er Karl May-Szener­ie – immer­hin, finde ich, ein Ansatz für ein Buch wäre vorhan­den. Meine Fahrt führt durch 34 Grad Hitze, ein Brasilien-Hol­land-WM-Spiel, den Lötschbergtun­nel, der immer noch keine Fuss­ball-Liveüberta­gung erlaubt, und eine zu enge Alpen­strasse, wo ich unsich­er bin, ob mich in der näch­sten Kurve nicht ein wilder Ein­heimis­ch­er über den Haufen fährt. Leuker­bad holt mich schockar­tig mit einem tragis­chen Parkhaus aus mein­er Träumerei, und ich finde mein Hotel. Es ist das erste Mal, dass mein Auto vom Hotelper­son­al in die Garage wegge­fahren wird. Eige­nar­tiges Gefühl. Eben­so die Hotel­gäste, die mit weis­sen Bademän­teln und lächer­lichen Schlarpen über­all herumwatscheln.

Ich suche ein Lit­er­atur­fes­ti­val. Bis hier habe ich davon noch gar nichts gese­hen. Wed­er ein Plakat, noch ein Buch. Nach 15 Minuten finde ich hin­ter ein­er nicht angeschrieben Türe ein Fes­ti­val­büro. Immer­hin. Angekom­men.

Das Fes­ti­val ist viel klein­er, als ich mir das vorgestellt habe. Eigentlich ist alles anders, als man sich das vorstellt, auch die Dorf­plat­zlater­ne. Auf diesem Platz wird ger­ade der Aben­dapèro serviert, es ste­hen unge­fähr 30 Per­so­n­en unter einem Zelt. Ein umfunk­tion­iertes Zim­mer vom Hotel dient als eine Art Buch­hand­lung. Der Fes­ti­valführer ist schön gemacht, aber ohne Zei­tangaben, und die kopierte Tagesablau­fliste ver­weist auf ein anderes Tage­spro­gramm. Es ist bere­its Fre­itagabend, im alten, wun­der­schön deko­ri­erten Bad nehme ich an einem ersten, spär­lich besucht­en Lese­block teil – doch zieht es mich bald wieder in die Hotel­lob­by zurück zur WM. So sitze ich mit ein paar Autoren und Autorin­nen an einem Lit­er­atur­fes­ti­val und wir hören andächtig dem Dani Kern und den Vuvuze­las zu. Ghana ver­liert.

Um Mit­ter­nacht fol­gt ein erstes High­light: Alpen­le­sung im Bergrestau­rant der Gem­mi, mit der Gondel­bahn im Dunkel hoch, Pedro Lenz und Raphael Urwei­der lesen, wir mit Glüh­wein und im Kerzen­licht. Irgend­wann, nach vie­len inter­es­san­ten und lusti­gen Begeg­nun­gen, lande ich um 3:00 Uhr im Hotel­bett. Lit­er­atur, denke ich, bringt einen fast wie zu Hause beim Nachtle­sen um den Schlaf.

Sam­stag wird nicht aus­geschlafen. Um 9:30 Uhr het­zen wir auf einen Spazier­gang. Natür­lich begleit­et durch einen pro­fes­sionellen Spaziergänger: Christoph Simon, der uns zusam­men mit Her­rn Zbinden ein Stück Freiluftlit­er­atur schenkt. Wir krax­eln durch die Dalaschlucht und sind beein­druckt – von Christoph Simon, von Her­rn Zbinden, und vom üppi­gen Alpen-Apéro, der so schnell weg war, dass ich mich fragte, ob Lit­er­atur unter­ernährend wirkt.

Auf diesem Spazier­gang habe ich das erste Mal das Fes­ti­val wahrgenom­men. Flüchtig und ein­dringlich. Einige Begeg­nun­gen und einige Worte haben Spuren hin­ter­lassen.

Am Nach­mit­tag habe ich der Worte genug gehört und set­ze mich für eine Weile in eine Ther­malquelle. Mile­na Moser und ein paar weit­ere aus­ge­le­sene Lit­er­atIn­nen hän­gen im sel­ben Bad. Ich kön­nte etwas Fra­gen, kön­nte mich in Diskus­sio­nen ver­strick­en, doch ich lass mich lieber weit­er aufwe­ichen. Es ist zum ersten Mal ein Fes­ti­val für mich, welch­es durch Stille und Fein­heit über­rascht. Ich habe während diesen Stun­den viel ver­passt, wie zum Beispiel die Pub­likums­diskus­sion zur Ver­lags- und Lit­er­atur­förderung in der Schweiz. Aber gle­ichzeit­ig habe ich etwas gefun­den: Mein eigenes Lit­er­atur­fes­ti­val.

Das Abend­pro­gramm find­et erst nach dem WM-Match statt: Deutsch­land-Argen­tinien. Danach trifft man sich im alten Bad wieder, etwas ver­wirrt vom Spiel. Doch der Abend wird lustig. Das Bad — oder die Bade­wanne, wie man hier lieblich sagt — ist das erste Mal richtig vollgestopft. Drei Blöcke, Lesen im 15-Minu­ten­takt. Das ist unter­halt­sam, oft lustig, manch­mal unver­ständlich, manch­mal unpässlich, manch­mal ein­fach per­fekt. Und klar, wie ein­gangs in Frage gestellt: Zum Schluss will man diese Büch­er lesen. Ich finde das als Konzept dieser Lesun­gen trotz­dem immer noch nicht überzeu­gend.

Irgend­wann trifft man sich in der Hotel­lob­by, Tanzen wäre ange­sagt. Ich kapit­uliere und tanze nur noch mit dem Bett.

Son­ntag um 11:00 Uhr wäre eine Lesung im Römisch-Irischen Bad ange­sagt. Das ist wohl eige­nar­tig schön, doch werde ich das Bild vom Swinger-Club nicht los. Ein Fes­ti­val und alle sitzen in Bade­ho­sen und Biki­ni in einem heis­sen Bad? Mir graut, und zeitlich kreuzt sich das dankbar mit der Hotelz­im­mer­ab­gabe. Ich lande den­noch in der Galerie St. Lau­rent, wo Kristof Mag­nus­son aus seinem Buch «Das war ich nicht.» vor­li­est. Er kön­nte es gle­ich zu Ende lesen. Seine Vor­leseart ist erfrischend, und er sig­niert zum Schluss ein­er begeis­terten Frauen­schar die Büch­er. Ich würde ja auch, aber dazu müsste ich das Buch kaufen, und irgend­wie… Ich füh­le mich ertappt.

Auf der Heim­reise geht mir vieles durch den Kopf: So schwierig dieses Fes­ti­val ist, ich habe ver­sucht, mich darin einzufind­en. Es war chao­tisch, aber auch famil­iär. Ich habe etwas erlebt, das in mein­er Erin­nerung hän­gen bleibt. Und ich werde jet­zt noch ein paar Büch­er lesen müssen.

Foto: zVg.
ensuite, August 2010

 

Artikel online veröffentlicht: 10. November 2018