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Liebe, die

Gast­beitrag von Ralf Wet­zel - Lexikon der erk­lärungs­bedürfti­gen All­t­agsphänomene (XII): Man mag von Zeus hal­ten was man will, ob er sein­erzeit nur per­ma­nent not­geil war oder lediglich die hochin­no­v­a­tive (und nie übertrof­fene) Sch­ablone des späteren männlichen Machis­mo verkör­perte. Eines zumin­d­est kon­nte er recht geschickt verbinden. Er regelte das Man­age­ment eines der weni­gen arbeit­steili­gen tran­szen­den­ten Heilssys­teme der Vor­mod­erne mit zwei Din­gen: mit seinem Unter­leib und geschärfter Selb­stironie. Das haben nur wenige Göt­ter fer­tigge­bracht, lei­der, möchte man sagen (oder zum Glück), schliesslich hat er dabei eine Rei­he von Kol­lat­er­alschä­den bil­li­gend in Kauf genom­men, in denen manch­er, egal ob Nicht‑, Halb‑, oder Voll-Gott im Anschluss seines Leben nicht mehr froh wurde. Heute sieht die Lage anders, aber keineswegs über­sichtlich­er aus. Man­age­ment by «Bun­ga Bun­ga» (MBB, nicht zu ver­wech­seln mit dem immer noch missver­stande­nen «Desk-Man­age­ment» resp. der «affaire du bureau») ist frag­würdig gewor­den und offiziell aus der Mode gekom­men, ins­beson­dere pen­sion­sna­he selb­staffir­mierte Hal­bgöt­ter machen sich mit­tler­weile ein­fach nur noch lächer­lich, vor allem, weil aus­ge­beulte Sub­gürtel­zo­nen allein über den ekla­tan­ten Man­gel an Selb­stironie denn doch nicht hin­wegtäuschen kön­nen. Ironie scheint generell auf der Flucht zu sein, angesichts ein­er andauernd strik­ten For­mal­isierung der Organ­i­sa­tion, in der wir alle unauswe­ich­lich fest­steck­en, die den Kör­p­er zum Ver­schwinden gebracht hat, ihn wegsper­rt in die Merk­würdigkeit­en von Büros und Aufzü­gen sowie ein­for­matiert in schema­tis­che Klei­dung. Kaum bess­er sieht es in der nicht weniger for­mal­isierten Organ­i­sa­tion von Pri­vat- und Intim­bere­ichen aus, die einzelne Räume dem Kör­per­ausweis zuord­net und ausser­halb dessen nur abgedeck­te Spezial­zo­nen für erk­lärungs­bedürftige Son­der­mo­mente zulässt. Damals wie heute scheint es um den Kör­p­er zu gehen und nicht um das Medi­um der Liebe, dem sich Zeus eben­so geschickt entziehen kon­nte wie jene im Halb­schat­ten des Informellen operieren­den Bun­ga-Man­ag­er. Jedoch ste­ht zunehmend die Frage, ob Liebe inzwis­chen als Medi­um selb­st mit unter Druck ger­at­en ist, unter den Bedin­gun­gen prekär gewor­den­er Ver­sorgung­sprinzip­i­en von Organ­i­sa­tion und Intim­ität. Angesichts der «Trock­en­heit» und Kon­flik­t­nähe sowohl in organ­isiert­er wie in intimer Kom­mu­nika­tion bleibt offen, was dort geschieht. Sie scheint sich aus der Ver­sorgung der Organ­i­sa­tion mit notwendi­ger Lebenswelt eben­so zurück­zuziehen wie aus der erforder­lichen Kom­plettver­sorgung von Part­nern in mul­ti­op­tionalen, ent­gren­zten oder lokal hochverdichteten Beziehun­gen. Sie fehlt dort zunehmend, wo sie ersat­z­los gebraucht wird. Ist sie auf der Flucht und der Kör­p­er lediglich die halb-soziale Tar­nung ein­er ent­stande­nen Leer­stelle? Wo wäre sie denn statt dessen? Fall­en denn heute noch die drei Buch­staben ver­bun­den mit den drei Worten und erre­ichen sie tat­säch­lich jeman­den, dann bleibt die Mod­erne wohl für den Moment eines iro­nis­chen Augen­zwinkerns über­rascht ste­hen und die The­o­rie schweigt. Notwendi­ger­weise, endlich, zum Glück. Auch wenn wed­er Zeus noch irgen­dein Man­ag­er dies reg­istri­eren. Ce n’est pas impor­tant. Toi, je t’aime. Welch Wun­der. Immer noch und immer wieder.

Ralf Wet­zel, Vler­ick Leu­ven Gent Man­age­ment School, Bel­gium; ralf.wetzel@vlerick.com

Foto: zVg.
ensuite, Jan­u­ar 2012

 

Artikel online veröffentlicht: 11. März 2019