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Seit jeher unterwegs: Literarische Fragmente 10

Von Kon­drad Pauli — In The­aterbe­suchen hat­te die junge Frau, die allem Lär­mi­gen und Betrieb­samen gerne aus dem Wege ging, endlich eine Schutz-Zone, ein Refugium gefun­den, wohin sie aus den Zumu­tun­gen des Tages flücht­en kon­nte. Während sie sich solcher­art mehr und mehr abschirmte, sich aus manchem her­aushielt, freute es sie, all die Ein­drücke und Anre­gun­gen vom Spiel auf der Bühne und hin­ter Vorhän­gen ent­ge­gen­zunehmen und aufzube­wahren. Gele­gentlich liess sie sich auch verza­ubern, sei es von der Musik, vom Haupt­darsteller, von den Kostü­men, vom Büh­nen­bild. Gestärkt ging sie jew­eils nach Hause, trug Gedanken und Klänge mit sich fort in die Nacht, in den All­t­ag – und hat­te schon den näch­sten The­aterbe­such geplant. So lebte sie gle­icher­weise von der Erin­nerung und der Vor­freude. Allem Übel, das täglich auf der Welt geschah und ihr in den Medi­en ent­ge­gen­schrie, wich sie nach Möglichkeit und immer geschick­ter aus. Sie hörte und schaute weg, schaute und hörte umso aufmerk­samer hin, was auf der Bühne geschah.

Ein­mal war Aufruhr in der Stadt. Sie hat­te, auf dem Weg ins The­ater, von ein­er geplanten Demon­stra­tion gehört, hat­te sich, ohne zu fra­gen, woge­gen oder wofür denn demon­stri­ert werde, eilig davongemacht, sich früh ins The­aterge­bäude geflüchtet, wo sie, auf einem Stuhl sitzend, im Pro­grammheft las und sich ein­stimmte in den Abend. Müh­e­los gelang es ihr, die Aussen­welt zu vergessen. Der Augen­blick, in dem die Lichter gelöscht wur­den, auf der Bühne dafür ein gedämpftes, dann strahlen­des Licht sich aus­bre­it­ete, nahm sie gefan­gen. Wenn sie zu bes­tim­men gehabt hätte, sie würde auf die Pause verzichtet haben. Was auf der Bühne auch immer geschehen mochte — ihr war feier­lich zumute. War die Vorstel­lung zu Ende, tröstete sie einzig die Aus­sicht auf den näch­sten Besuch.

In der Pause, erfüllt von Ein­drück­en, belebt von Botschaften, blieb sie, abseits von anderen, in ein­er Ecke ste­hen; alles um sie herum war zu laut, ihr schien, die Leute hät­ten sich schon abge­wandt von dem, was in ihr nachk­lang, was sie hüten wollte wie einen Schatz. Viele standen bei Getränken, und die Gläs­er klir­rten. Auf ein­mal hörte man einen entset­zlichen Lärm. Geschrei. Die bei­den mächti­gen Haupt­türen wur­den aufgeris­sen, und Ver­mummte stürmten die Halle, schoben weg, was im Wege war, eil­ten zum Getränke­stand, wis­cht­en die Gläs­er auf den Boden, war­fen Flaschen an die Wände, trafen gezielt auch den Leuchter. So rasch sie gekom­men, so rasch waren sie wieder weg. Die Pause war das Ende der Vorstel­lung. Kein­er hätte sich eine Fort­set­zung gewün­scht. Endlich ging auch die junge Frau hin­aus, machte sich, nach­dem die Trä­nen­gass­chwaden sich ver­zo­gen hat­ten, trau­rig auf den Heimweg. An Schlaf war nicht zu denken.

Foto: zVg.
ensuite, Okto­ber 2010