Von Konrad Pauli — Nein, schön waren sie seit langem nicht mehr: Mutters Geranien. Dennoch wurde das halbe Dutzend Stöcke Jahr für Jahr sorgfältig eingewintert im Keller, hervorgeholt im Frühling und auf die immer gleichen Plätze und Plätzchen verteilt. Ein paar Stöcke waren nurmehr Gerippe, dennoch strengten sie sich an, bescheidene Triebe zu mobilisieren, aus letzten Reserven hervorzuholen und sie der Sonne entgegenzustrecken. Das kümmerlichste Exemplar, altersschwach und ausgelaugt, fand stets an den bevorzugten Platz hoch über der Holztreppe zurück, so dass der Zustand, beziehungsweise die zähe Hinfälligkeit der Pflanze von weitem schon einsehbar, zu würdigen oder zu beklagen, zu bewundern oder zu belächeln war. Niemals mehr wurde die Pflanzenerde ergänzt, gar ausgetauscht; eine kräftige Moosschicht versiegelte den Topf, entzog, aufgrund des eigenen Lebens- und Wachstumstriebes, der erschöpften Erde die letzten spärlichen Energien. So war das Kränkelnde zum Dauerzustand geworden, aber die verhutzelte, auf halbverholzte Stengel und dürftige Blättchen zurückgestutzte Geranie entwickelte in ihrer Ergebenheit eine gewaltige Sturheit und Ausdauer, hatte keineswegs im Sinn, Saft und Geist aufzugeben und trotzte dem Zugriff aller Zerstörung. Regnete es, fielen ein paar Tropfen in den Topf, was wohl genug Nahrung war zum Weiterleben, beziehungsweise zum Nicht-ganz-Absterben. Saisonaler Höhepunkt war, wenn zaghaft, unter enormen Geburtswehen, ein neues grünes Blatt entstand und nebenan eine winzige Blüte sich halbwegs öffnete.
Die Schönheit des Kümmerlichen, weitgehend sich selbst Überlassenen war eine Wohltat im Vergleich zur auswechselbaren Üppigkeit, der strotzenden, mit ihrer Herrlichkeit geradezu prahlenden Gesundheit anderer Balkonpflanzen, die oft bloss dem Wettstreit und Ehrgeiz der Blumenhalter entsprangen und dem Vorzeigezwang gehorchten.
Unterdessen sind die Texte von Konrad Pauli gesammelt als Buch erschienen:
Foto: zVg.
ensuite, September 2011