Von Konrad Pauli — Eine Stunde weit war er in eine andere Stadt gefahren, erwartungslos, vorgewarnt, wenn nicht geläutert durch Erfahrung; fuhr also hin im vollbesetzten Zug, sass neben einem Hündchen, das seinen Kopf aus der Tasche einer älteren Dame streckte und aufmerksam eine in ihre Arbeit vertiefte junge Frau fixierte, eine Person, die Gedrucktes mit einem gelben Leuchtstift traktierte und verunstaltete, dabei eine Verbissenheit an den Tag legte, die auch das nicht unschöne Gesicht verzerrte und Falten grub. Am andern Ort wollte er bloss herumgehen, sich umschauen, die Häuser, die Geschäfte und ihre Auslagen. In jüngeren Jahren gierte er so nach dem Spektakulären, dem Ereignis, das er, der Schriftsteller, gleichsam als Beute mitnehmen, als Ernte einzufahren hoffte. Mittlerweile hatte er gelernt, dass dies weder hier noch dort, weder abseits noch in der Weltstadt wie auf Knopfdruck funktionierte. Es war, als hielte sich das Ereignis versteckt, nicht bereit, ihm den Gefallen zu tun. Solcherart eingeübt ging er herum, bog auch in wenig belebte Gassen und Gässchen ein – war nun überrascht, dass ein Passant ihn grüsste. Während er noch von der Freude zehrte, die dieses Zeichen ausgelöst hatte, fuhr, in einem offenen Zug auf Gummirädern, eine Schulklasse nah an ihm vorbei. Und die etwa Neunjährigen winkten ihm zu und grüssten allesamt. Keines der Kinder erlaubte sich eine Übertreibung – ihr Grüssen kam aus der Freude, fensterlos so herumfahren zu dürfen auf ihrem Ausflug, ihrer Stadtrundfahrt – und endlich einen Empfänger dafür gefunden zu haben.
ensuite, März 2009