Von Konrad Pauli — Er hat nichts zu lachen. Grimmig-entschlossen zieht er sein Wägelchen über den Platz vor der Gedächtniskirche, hält vor den ersten Tischen des Terrassencafés, klappt den Deckel auf und packt allerhand Requisiten aus: einen zerknitterten schwarzen Schlapphut mit aufgenähtem Totenkopf, ein paar wabbelige, schweinsfarbene Plastikohren, einen Kunststoffblumentopf, dessen welke und verstaubte Blütenpracht, kaum hingestellt, sich auf Knopfdruck wundersam belebt und zu entfalten beginnt und in ein programmiertes Kopfnicken einpendelt, das zunächst, bis der Mann alles und sich selbst bereit gemacht hat, die Aufmerksamkeit der rasch sich zum Halbkreis verdichtenden Zuschauer auf sich zieht. Auf einem vielbefingerten, von manchen Wettern gegerbten Karton kleben Fotos, Grimassenbilder, die mit einiger Müdigkeit dennoch inständig behaupten, der Mann sei ein Weltmeister.
Aus dem Wägelchen klingt auf einmal Musik, Melodien aus dem Berlin der 20er-Jahre, ein bisschen heiser und bezaubernd. Und wie der Mann nun sein Gesicht, das so besonders wie gewöhnlich ist wie tausend andere, in Aktion treten lässt, die Augen rollt, die Backen aufbläst und mit den Kiefern mahlt, das Kinn spitzt und die Unterlippe an die Nasenspitze rollt, mit raschem Handgriff die Hautlappen der Wangen nach links und rechts verspannt, dass Augen, Nase und Mund ein teigförmiges Einerlei bilden, wie der Mann mit bis ins Detail eingeübten, professionellen Griffen und Gesten sein Gesicht entstellt und aus ihm eine Unzahl bestkarikierter Physiognomien hervorzaubert und, mal mit aufgesetzten Ohren und wechselnden Brillen, die Leute zum Lachen bringt und die Kinder mit offenem Mund staunend dastehen lässt, das ist atemraubend.
Ohne mit einer Wimper zu zucken, zieht er plötzlich den Hut ab, die beiden Ohrmuscheln, packt den nickenden Blumenstrauss ein und die Kasperlefigur, geht kurz, als hätte er’s beinahe vergessen, mit einem Körbchen das Geld einsammeln, klappt den Deckel des Wägelchens zu und zieht weiter, hundert Meter, um von neuem seine routinierten, wunderbar grauenhaften Grimassen auszupacken. Es ist, als sage jede dieser kauzig-beklemmenden Gesten: Da habt ihr eure Grimassen, gebt mir eine Mark, wenn’s sein muss auch weniger – und lasst mich endlich in Ruhe. Zu lachen hat er nichts.
Foto: zVg.
ensuite, Mai 2010