Von Konrad Pauli — Die knapp Zweijährige scheint sich irgendwo eine tiefe Abneigung, ja Angst vor Vogelfedern eingefangen zu haben. Greift man unterwegs nach einer Feder, will man sie ihr geben, gerät die Kleine geradezu in Panik, ihr sträuben sich buchstäblich die Haare. Eines Sonntags sind Grossmama und Grosspapa mit ihr unterwegs — und unterm Baum liegt eine in vielerlei Farben schimmernde Vogelfeder. Grosspapa hebt sie auf, führt zunächst ein begeistertes Selbstgespräch über das Fundstück, was zumindest die Aufmerksamkeit des Mädchens weckt. Sobald sie sieht, worum es geht, wendet sie sich entsetzt ab, will ganz und gar nicht mit der Zartheit der Federchen in Verbindung gebracht werden. Grosspapa spricht mit der Feder, streicht mit den Fingern über sie, führt sie nun über die Hände, die Arme, die Stirn und den Nacken. Aus sicherem Abstand, stets zur Flucht bereit, schaut die Kleine zu. Respekt und Neugierde halten sich die Waage, lassen sie einen Schritt nach vorn, und sofort wieder zurück tun. Grosspapa, dem Anschein nach selbstvergessen mit der Feder beschäftigt, vermag das Mädchen nun doch zu fesseln; vorsichtig kommt es näher, auf spitzem Fuss und mit vorgestrecktem Hals, will, ohne sich zu verstricken, dem Geheimnis der Feder auf die Spur kommen — wenn Grosspapa ihr mit der Feder freilich entgegenkommt, sie die feinen Härchen spüren lassen will, treibt er das Mädchen mit kleinster Geste geradezu in die Flucht. Grosspapas Strategie weitet sich insofern aus, als er Grossmama in die Liebkosung einbezieht — und Grossmama äussert, absichtlich übertrieben, Zeichen des Entzückens, was die Kleine zumindest von weiteren Fluchtgedanken abhält. Man geht weiter, tut so, als sei die Feder vergessen, doch bald wird das spielerische Ritual fortgesetzt. Und endlich gelingt es Grosspapa, das Federchen über des Mädchens Hand streichen zu lassen. Die Kleine steht wie versteinert, starrt auf das Ungeheuerliche, lässt’s aber geschehen. Später nimmt das Mädchen die Feder, streichelt sich, dann auch Grossmamas und Grosspapas Haut. Mit grösster Behutsamkeit, als könnte etwas zerbrechen. Schliesslich findet sie gar ein weiteres Federchen, ein kleines zwar, aber die Angst ist weg und hat dem Vertrauen Platz gemacht.
Foto: zVg.
ensuite, September 2010