Von Barbara Roelli — Ist Essen ein Machtakt? Irgendwie mag die Verbindung zwischen dem notwendigen, aber auch lustbetonten Akt des Essens und dem harten Wort Macht nicht funktionieren. Doch der Schein trügt. Denn wer Macht hat, der kann über Leben und Tod entscheiden. So ist es der Fleischfresser Mensch, der entscheidet, ob ein Tier sein Leben lassen muss. Einen Menschen kann man bestrafen und gefügig machen, indem man ihm die Nahrung entzieht — denn vom täglich Brot sind wir alle abhängig. Die Ausstellung «Essen & Macht» beleuchtet das Thema von seiner dunklen, vertrauten wie überraschenden Seite. Das Mühlerama in Zürich lädt dazu ein, sich lesend, lauschend und zuschauend mit den mächtigen Seiten des Essens auseinanderzusetzen.
Fleischfresser Mensch Warum eigentlich Fleisch? Das frage ich mich als Besucherin, die gerne Fleisch isst, als ich den Text auf den Ausstellungstafeln lese: Obwohl der Mensch zum Überleben kein Fleisch braucht, entscheiden sich 99 Prozent der Menschen dazu, Tiere zu essen. Zwar gewinnt der Essende durch das Fleisch Kraft und Stärke, doch steckt hinter jedem Stück Fleisch der — vom Menschen gewollte — Tod eines Tieres.
Auch wie sich unsere Beziehung zum toten Tier geändert hat, greift die Ausstellung auf: Während es bis ins 17. Jahrhundert üblich war, das ganze Tier vor aller Augen kunstgerecht zur servieren, so ist dieses heute aus unserem Blickwinkel verschwunden. Das Schlachten findet in der Industrie statt und die Bezeichnungen wie Plätzli, Schnitzel und Wurst lassen vergessen, um was es sich eigentlich handelt: Um das Fleisch des getöteten Tieres. Ist dieses jedoch «Bio» oder stammt von «glücklichen» Tieren, so fühle man sich weniger schuldig, lese ich unter dem Kapitel «Das Unbehagen der Fleischesser». Und reflektiere sogleich das eigene Konsumverhalten: Erkaufe ich mir mit dem Bio-Label, das auf der Packung Schinken steht, nicht einfach ein gutes Gewissen?
Entscheiden über Leben und Tod Auf einem Hocker in Salami-Design sitzend lausche ich dem Interview mit einem Metzger: Alois Sennhauser, 42-jährig, Betriebsleiter Schlachthof Zürich. Mit sechs Jahren tötete er seinen ersten Hasen. Das Töten sei ein zentraler Aspekt im Beruf und notwendig: «Man schlachtet ein Tier, um Fleisch zu gewinnen», sagt Sennhauser, «Macht ist meiner Ansicht nach überhaupt kein Thema.»
In einem Video finden die beiden Welten Genuss und Lebensmittel-Produktion zueinander — und doch scheinen sie sich so fremd: Fleisch essende Personen erzählen, was sie gerade essen und warum sie Fleisch mögen. Zwischen Aussagen wie «Es schmeckt mir» und «Ich esse nur noch Naturaplan», schieben sich Szenen aus einem europäischen Schlachthof: Einem Rind, dass an den Beinen aufgehängt ist, wird maschinell die Haut abgezogen. Dann wird sein Leib in zwei Hälften gesägt.
Bekanntes vom Familientisch Ich setze mich an einen Küchentisch. Über Kopfhörer erfahre ich von Eltern, was sich im alltäglichen Theater am Familientisch abspielt. Und schmunzle, wenn Kinder erzählen, was sie am Essenstisch alles nicht tun dürfen. Was sich zeigt, ist: Auch der Machtkampf zwischen Kind und Eltern kann sich ums Essen drehen. Wer kennt nicht die Drohung «ohni Znacht is Bett» aus seiner Kindheit? Kinder werden übers Essen erzogen – es wird zur Strafe oder als Belohnung eingesetzt.
Essen hat auch mit Status und Zugehörigkeit zu tun: Veranstalteten Könige im 16. bis 18. Jahrhundert sogenannte Schauessen mit üppig bestückten Buffets, so demonstrierten sie damit Reichtum und Macht. Auch heute sagt das, was wir essen, etwas über unseren gesellschaftlichen Status aus. Als anschauliches Beispiel dazu dienen die aufgelisteten Mahlzeiten dreier Familien: Ob das monatliche Netto-Einkommen tief (weniger als 4 000 Franken), mittel (ca. 8 000 Franken) oder hoch (über 12 000 Franken) ist, spielt im Speiseplan eine massgebende Rolle.
Machtmittel Hunger Heute leiden weltweit fast eine Milliarde Menschen an Hunger. Als wesentlicher Grund dafür gelten die Machtverhältnisse bei der Nahrungsmittelproduktion. Riesenkonzerne kon-trollieren den Ablauf von der Saatgutproduktion bis zum Verkauf der Lebensmittel. Damit wir diese billig einkaufen können, werden die Produktionskosten möglichst tief gehalten. Um gegen die Hungerlöhne und schlechten Arbeitsbedingungen in den armen Ländern vorzugehen, sind wir als Konsumenten nicht machtlos: Wir können den fairen Handel unterstützen, der bei Bauern und Arbeiterinnen für existenzsichernde Preise und Löhne sorgt.
Das Thema «Nicht-Essen» ist jener Teil der Ausstellung, der sich mit Hungerkünstlern, Fastenheiligen, Magersüchtigen und Hungerstreikenden beschäftigt. Denn wer Nahrung bewusst verweigert, wer scheinbar ohne Essen leben kann, erregt Aufmerksamkeit. Hungernde haben auch Macht; dann nämlich, wenn sie die völlige Kontrolle über ihren eigenen Körper haben.
Obwohl das Essen in meiner Gedankenwelt schon länger eine wichtige Rolle spielt – welche Macht es besitzt, wurde mir durch die Ausstellung bewusst.
Foto: Dominic Büttner
ensuite, Juni/Juli 2009