Von Luca D’Alessandro — Die Berner Jazzwerkstatt ist ein alljährliches Stelldichein der zeitgenössischen Jazzszene. Im Zentrum stehen der Austausch und das Ausprobieren in neuen Formationen. «Eine reichhaltige Palette an innovativen, bisher noch nicht dagewesenen Projekten», sagt Saxofonist Benedikt Reising gegenüber ensuite-kulturmagazin. Gemeinsam mit seinem Berufskollegen Marc Stucki und Sänger Andreas Schaerer organisiert er seit sieben Jahren das von der Fachpresse hochgelobte Festival, welches dieses Jahr vom 12. bis 16. Februar in der Turnhalle des Berner Progr stattfindet.
Ein Gespräch mit Reising über einen Anlass, der sich trotz seiner nicht kommerziellen Ausrichtung auf den Beinen halten kann und punkto Qualität keine Kompromisse machen muss.
Benedikt Reising, die Idee der Jazzwerkstatt ist ja nicht neu. In Wien gab es einen ähnlichen Event bereits vor Bern.
Das stimmt. Wir haben uns sozusagen das Konzept im Sinne der Wiener Urväter geliehen, nämlich neue Projekte zu lancieren und gleichzeitig das eigene Musikernetzwerk zu pflegen.
Beim Begriff Werkstatt denke ich intuitiv Tüftelei und Bastelei. Ist dem so?
Nein. Die Bands sind absolut bühnenreif, wenn sie hier eintreffen. Da lassen wir nichts anbrennen. Qualität ist höchstes Gebot.
Seit sieben Jahren gibt es die Jazzwerkstatt Bern schon. Inwiefern hat sich in dieser Zeit etwas geändert? Gab es zum Beispiel in den ersten Jahren mehr Platz für Spontaneität?
Früher gab es noch mehr Projekte, in denen erst am Nachmittag vor dem Konzert die Noten ausgeteilt wurden. Daraufhin wurde bis kurz vor Konzertbeginn geprobt. Das gibt es bei uns fast nicht mehr, die Noten – falls es welche gibt – werden meist schon im Vorfeld an die Musiker verschickt. Jeder soll sich die Zeit nehmen können, sich gedanklich ein Bild vom Projekt zu machen und eigene Vorstellungen zu entwickeln.
Macht das ad hoc Spielen nicht den Reiz einer Werkstatt aus?
Hinter solch spontanen Performances steckt häufig ein sportlicher Gedanke. Dieser interessiert uns aber nicht. Es geht uns nicht primär darum, etwas innert kurzer Zeit auf die Beine zu stellen, sondern etwas auf die Beine zu stellen, was sonst nicht auf die Beine gestellt würde. Trotzdem gibt es aber nach wie vor Musiker, die sich zum ersten Mal am Nachmittag vor ihrem gemeinsamen Abendkonzert sehen.
Obwohl die Jazzwerkstatt ein lokaler Event ist, stehen diverse ausländische Bands auf dem Programm, etwa die Ploctones aus Holland. Wo treffen sich internationale Ensembles für die Proben?
Bislang war das kein Thema. Die Ploctones reisen als eigenständige Formation an und werden ein Gastkonzert hier in Bern geben. Sie sind also unabhängig, in sich geschlossen. Trotzdem: Vom Spirit her passen sie hervorragend in unsere Werkstatt.
Wie sind Sie auf diese Holländische Band gekommen?
Andreas Schaerer, der dritte im Bunde, hat vor Jahren am Grahamstown Festival South Africa den Gitarristen von den Ploctones kennengelernt, und ihn in der Folge an die Jazzwerkstatt nach Bern auf ein Duo eingeladen. Später wiederum hat der Gitarrist den Andreas als Gastmusiker bei den Ploctones eingeladen. Andreas ist begeistert von den Ploctones, weshalb sie nun bei uns auf der Bühne stehen. Ja, die Jazzwerkstatt ist nicht nur Austausch, sie soll auch die Plattform für musikalische Freundschaften sein. Es ist eine Art Familientreffen.
Eine Grossfamilie, die Sie vermutlich vor logistische Herausforderungen stellt. Können Sie es sich leisten, dass jeder Musiker mit seinem Tross nach Bern kommt?
Achtung, gerade das ist es, was bei uns nicht passiert. Es kommt kaum jemand mit seiner Band, vielmehr sind es Projektleiter, die hier in Bern weitere Musiker antreffen um mit ihnen zu spielen. Ein Beispiel: Der Schlagzeuger und Komponist Mike Pride aus New York ist an uns herangetreten, ob er für seine Idee, sechs Schlagzeuger, einen Bassisten und zwei weitere Sänger aus unseren Reihen haben könnte. Sängerin Marissa Perel und Gitarristen Chris Welcome aus den USA sowie Sänger Fritz Welch aus Schottland bringt er mit. Die anderen Musiker haben wir für ihn zusammengetrommelt. Nun sind wir gespannt, was er auf die Bühne zaubern wird. Sie werden nur während zwei Tagen am Festival proben können. Für mich ist das Schöne, zuzuschauen wie solche Dinge entstehen. Es ist sehr erfrischend und inspirierend. Schliesslich hast du als Musiker immer mehr Ideen, als du auch tatsächlich umsetzen kannst … ja, du kannst nun mal leider nicht unbegrenzt viele Projekte am Laufen halten. An der Werkstatt können wir uns austoben und uns gegenseitig mit Ideen bereichern.
Riskieren Sie nicht, abgehoben zu wirken?
Nein, ich finde nicht. Im Gegenteil: Unsere Ideen bieten für alle etwas. Der Pianist Oli Kuster kommt mit einem kammermusikalischen Werk für Klarinette, Viola und Violoncello auf die Bühne. Eine völlig andere Truppe liefert unter dem Titel Beatie Bossy eine Hommage an die Beastie Boys. Stefan Rusconi wiederum bietet eine Performance mit Beate Bartel von den Einstürzenden Neubauten, Thomas Wydler – Nick Caves Bad Seeds –, und den grossartigen Musikern Sara Lunden und Tobias von Glenck. Das Programm ist extrem vielseitig. Es gibt von frei improvisierten Konzerten bis hin zu durchkomponierten Werken alles zu hören. Man muss also kein Akademiker sein, um an der Jazzwerkstatt Konzerte verfolgen und geniessen zu können. Man braucht einzig eine gute Portion Neugierde.
Sie wollen ein gemischtes Publikum ansprechen.
Durchaus. Schon allein durch die Vielseitigkeit wird für jede und jeden etwas dabei sein. Deshalb bieten wir übrigens an jedem Festivalnachmittag die öffentlichen Proben an. Die Leute können spontan hereinschneien, mithören, und vielleicht bekommen sie dann Lust auf mehr. Die Proben sollen den Zugang zur Musik erleichtern.
Die Jazzwerkstatt scheint sehr zeit- und personalintensiv zu sein. Kommerzialität ist nicht vordergründig. Trotzdem braucht es finanzielle Mittel, um das Ganze überhaupt in Schuss zu halten.
Wir sind nicht auf Rosen gebettet und haben glücklicherweise freundliche Unterstützung von Stadt, Kanton und privaten Stiftungen. Dazu kommen die Eintritte. Aber es stimmt schon: Es ist alle Jahre wieder knapp.
An eine rosige Zukunft glauben Sie also nicht?
Da wir jenseits von jeglicher wirtschaftlicher Überlegung dieses Festival lanciert haben und dieser Philosophie auch treu bleiben wollen, werden wir von Jahr zu Jahr schauen müssen, ob wir noch in der Lage sind, diesen Anlass zu organisieren. Was ich aber sagen kann: Vom inhaltlichen her ist die Jazzwerkstatt immer professioneller geworden. Wir machen das immerhin schon sieben Jahre. Ich finde, es ist inhaltlich sehr gewachsen.
Verkörpert der Markenname Jazzwerkstatt heute das, was Sie ursprünglich beabsichtigt haben?
Ja, ich finde schon. Wir machen, was wir wollen. Das ist unsere Vision und Mission. Der Schwerpunkt hat sich vielleicht ein bisschen verlagert. Anfangs ging es uns noch mehr darum, eine Plattform für Komponisten zu schaffen, heute steht der Austausch wohl etwas mehr im Vordergrund.
Wer entscheidet über die Programminhalte?
Primär sind es wir drei. Doch ein Entscheid wird nicht aufgrund eines wirtschaftlichen Arguments gefällt. Er basiert vielmehr auf unseren Begegnungen und den Inputs, die wir über das Jahr erhalten. Am Ende lassen wir uns von unserem Bauchgefühl leiten.
Was sind die Kriterien für eine Aufnahme ins Programm?
Wichtig ist uns, dass die Projekte eine gewisse Dringlichkeit haben. Ausserdem versuchen wir, Konzerte zu vermeiden, die man sonst wo hören könnte. Wir wollen auch keine Konkurrenz zu anderen Veranstaltern darstellen. Es muss schon etwas Spezielles dahinter stecken. Etwas, das aus einem inneren, experimentierfreudigen Antrieb heraus entsteht. Ob es nun einen fernöstlichen Touch hat oder urchig traditionell daherkommt – stilistisch gelten da keine Einschränkungen.
Haben Sie genug Anfragen, um ein ganzes Festival zu füllen?
In der Regel fragen wir die Musiker an. Zwar treten auch immer wieder Künstler, die das Konzept der Werkstatt kennen, mit einer Idee an uns heran, aber der grössere Teil läuft wohl umgekehrt. Und leider haben wir meist zu wenig Platz, um alle Ideen umzusetzen. Vor Austrocknung besteht also keine Gefahr.
Foto: zVg.
ensuite, Januar 2014