Von Lukas Vogelsang - Die Schweiz debattiert über ein neues Mediengesetz. Ein solches Gesetzespaket wurde vom Bundesrat im April 2020 verabschiedet und dem Parlament zugestellt. Bereits ist auch schon ein Referendum zustande gekommen, und so kommt alles am 13. Februar in die Volksabstimmung. Das ist nicht sehr sinnvoll, da das Thema viel zu komplex ist. JournalistInnen oder Verlage – denen etwas an der Demokratie liegen würde – haben sich nicht dagegengestellt. Und selbst die Gewerkschaften sind mehrheitlich dafür. Im Medienmagazin «Edito» stand im Editorial der Ausgabe 3/2021: «Aber es gibt nur dieses eine Paket, Korrekturen sind nicht möglich – nur ‹Ja› oder ‹Nein›.»
Das Mediengesetz ist so komplex, dass ein Ja oder ein Nein keine Lösung darstellt und daraus eigentlich nur ein Nein folgen kann. Es ist insofern komplexer, als Kraut und Rüben und vergammelte Schweinegrütze zu einem ungeniessbaren Salat gemischt wurden, der jetzt weder den Fleischessern noch den Vegetariern oder Veganern schmeckt. Einzig die Köche sind glücklich – sie haben etwas gemacht. Nur leider ungeniessbar. Ein Beispiel? Bei den Nutzungshäufigkeiten von Medienkategorien zu Informationszwecken werden journalistische Kanäle mit Social-Media-Inhalten verglichen. Dabei wird verkannt, dass journalistische Kanäle für redaktionelle Inhalte gebaut wurden und eine komplett andere Funktion innehaben als Social Media, die nur als Werbeplattform gebaut wurden. Wenn wir so was vergleichen wollen, dann geht es um allgemeine Attraktivität – nicht aber um die Inhalte. Oder aber wir vergleichen die journalistisch informelle Nutzung – wobei dann die Social Media mit den Katzenbildli weit abgeschlagen wären – sofern man über die Schlagzeilen hinaus prüft.
Ich habe versucht, die 56-seitige «Botschaft zum Massnahmenpaket zugunsten der Medien» und das eigentlich neue Mediengesetz durchzuarbeiten, und bin immer noch dran. Deshalb wird das eine Artikelserie zum Thema geben. Das SSM (Schweizer Syndikat Medienschaffender) hat eine 16-seitige Stellungnahme veröffentlicht (das SSM unterstützt den Vorschlag), welche die Problematik gut dokumentiert: Ein Ja wäre fatal für die Schweizer Medien, denn es gibt zu viele Fehler und eben diese lassen sich später nur durch aufwendige Gesetzeskorrektur verbessern. Anders sieht es die Gewerkschaft syndicom, deren etwas peinliche 8‑seitige Stellungnahme nur «Rettung von Arbeitsplätzen» und «mehr Geld für Medien» sehen will. Alle weiteren Punkte, etwa «unabhängige Medien», «verlässliche und kritische Informationen», sind schlicht Hirngespinste, die im neuen Mediengesetz nicht geregelt und durch viel Fantasie zugedichtet werden. Denn: Geregelt wird das Geld – nicht die Inhalte.
Kurz: Als wichtigstes Argument muss klar festgehalten werden, dass dieses Mediengesetz für grosse Verlage super ist. Sie werden davon überproportional profitieren, erhalten Geld für die auch selbst verschuldeten Werbeausfälle, ohne sich gross verändern zu müssen, ohne sich endlich mal innovativ zu zeigen oder sich eben der Digitalisierung stellen zu müssen. Nach 20 Jahren Abbau ist das eine gute Perspektive – soll die nächste Generation retten, was noch zu retten sein wird, jetzt wird die Kuh noch gemolken. Kleinere Verlage und freie JournalistInnen, der Journalismus an sich, Recherche-MitarbeiterInnen werden aber beipflichten müssen – sie werden die VerliererInnen sein. Alarmierend ist, dass der Bundesrat «rasch umsetzbare Massnahmen» vorschlägt. Schnelligkeit bei einer Gesetzesgrundlage ist nie gut. Zudem ist Tempo nicht nötig, da bereits ein Nothilfeprogramm die grossen Verlage für die nächsten Jahre sichert – die kleinen nicht, aber das interessiert niemanden.
Doch der Reihe nach, wir müssen einige Dinge klären und eine realere Ausgangslage kreieren: Das Mediengesetz möchte die Medien in der Schweiz stärken, damit wir in unserer Demokratie eine freie und vielfältige Meinungsbildung und Entscheidungsfindung in politischen Prozessen ermöglichen können. Für alle. Das heisst, eigentlich müsste sich im Mediengesetz alles um die Bevölkerung drehen. Sie steht im Mittelpunkt und wäre der Kern der Bemühungen. Der Bundesrat definiert dies aber umgekehrt: Er will attraktive Rahmenbedingungen schaffen für ein vielfältiges, gleichwertiges Medienangebot in allen Regionen und Sprachen. Das ist etwas anderes. Damit stärkt er nicht die Bevölkerung, sondern die AnbieterInnen. Das scheint mir etwas naiv, obschon ich verstehe, dass man versucht ist, nicht auf den Inhalt Einfluss zu nehmen. Doch warum soll sich die Moral der Verlage mit Geld verändern? Vielleicht erkläre ich es besser so: Wenn wir zu viele Waren haben, die nicht mehr gekauft werden, so müssen wir nicht noch mehr Waren in die Regale stellen. Der einzige Effekt daraus wäre, dass wir schlussendlich alles unter dem Warenwert verkaufen und dabei herbe Verluste machen, vielleicht sogar den Laden schliessen müssen. Und damit das auch gleich klar ist: Der Markt wird das Problem nicht von selbst richten. So einfach ist es auch nicht.
Im Verlagswesen gilt: Ein Drittel Einnahmen über Abos und zwei Drittel Werbeeinnahmen gelten als gesund – auch bezüglich der Einflüsse. In dieser Form ist eine gewisse inhaltliche «Neutralität» gegeben, zumindest eine erkennbare politische Konstanz – und das ist wichtig. Diese Regel für eine funktionierende Medien-Demokratie wurde in den letzten 20 Jahren ebenso von den AbonnentInnen ignoriert, welche ihre Abos kündeten. Hier klafft eine Erkenntnislücke, die sich nicht durch eine Verlagsförderung korrigieren lässt: Wenn Medien nicht mehr abonniert werden, fehlt die wichtigste Grundlage für eine Redaktion, und dies nicht nur aus finanzieller Sicht. Oder andersrum: Wenn wir Medien subventionieren und finanziell komplett von Abos und Märkten entkoppeln, dann werden diese fast sinnlos. Man könnte sagen, die Medien würden dann «l’art pour l’art» produzieren. Auch hier gibt es also «Pflichten» für die Bevölkerung. Eine Medien-Demokratie ist kein Geschenk, sondern Arbeit an der Gesellschaft.
Kontaktpreise sinken mit weniger AbonnentInnen, die Attraktivität einer Zeitung sinkt mit weniger Reichweite – die Werbeattraktivität sinkt und damit die grossen Einnahmen. Ebenso unklug war es von den Verlagen, die Kleinanzeigenteile ins Internet abwandern zu lassen, ohne diese Lücken durch neue Ideen zu füllen. Selbst die Layouts der Zeitungen sind noch immer auf einem Retro-Level, das in den 80er-Jahren entworfen wurde. In der Zwischenzeit hat man die Farben geändert, ein paar Linien und das Schriftbild – aber die meisten Zeitungen geben kein ästhetisches Überzeugungsbild ab. Ich habe in Russland ein Buch über modernes Zeitungsdesign gefunden, welches schon vor 15 Jahren modernere Versionen von Papierzeitungen vorstellte, die wir bei uns in 10 Jahren nicht sehen werden. Bei unseren Tageszeitungen sind Innovationen unsichtbar oder finden nicht statt. Kolumnen sind nicht innovativ. Selbst die Websites der Tageszeitungen sind erschreckend rückständig. Haben Sie mal versucht, Artikel zu suchen? Es ist fürchterlich.
Je weniger Menschen zum Beispiel eine Zeitung lesen, umso weniger breit braucht sich die Redaktion themenmässig aufzustellen. Es entsteht eine Abwärtsspirale: Durch Sparmassnahmen nimmt die thematische Breite ab und damit verliert eine Redaktion an Relevanz und damit die AbonnentInnen. Die TX Group (Tamedia) hat mit den Grossstadt-Kopfblattzeitungen und einigen strategisch schlechten Entscheidungen diesen Trend unterstützt. Das ist damit zu vergleichen, wie früher im Interdiscount ein TV angeboten wurde und das gleiche Modell bei Melectronic unter einer anderen Marke ca. 300 Franken teurer zu kaufen war. Bei vielen Tageszeitungen läuft das heute gleich: Internationales und Nationales gibt’s überall von den gleichen Quellen, den Lokalteil übernehmen noch eine Handvoll RedaktorInnen vor Ort. Entpersonalisiert, ohne Fachkompetenz und Dossierkenntnisse, nur plakativ und unterhaltend, kontrovers, um Stimmung zu machen: Seit 20 Jahren kämpfen die Tageszeitungen darum, ihre Relevanz zurückzugewinnen, und machen sich genau dadurch entbehrlich. Die Corona-Krise hat das jetzt überdeutlich gezeigt.
An die digitale Zeitung glaubten die Verlage lange nicht, und als das Internet richtig wach wurde, boten die Zeitungen die Inhalte gratis an, jahrelang. Ich selbst habe die letzten 20 Jahre in Bern die Zeitungen gratis gelesen – das war nie eine Frage einer Bereitschaft, sondern es war gratis. Ebenso wurden die Gratis-Pendlerzeitungen in der Schweiz «erfunden», die gleich massenhaft um die Gunst der LeserInnen buhlten. Jeder vernünftige Mensch prognostizierte damals, dass dies der Untergang des seriösen Journalismus, der Tageszeitungen, der AbonnentInnen sei. Das wurde vehement bestritten. Etwas später: Eine Gratiszeitung nach der anderen musste den Betrieb einstellen, weil die Kriegskassen leer waren. Genau: Kriegskassen. Denn viele diese Gratisblätter sind nur gemacht worden, um die Konkurrenz auszuschalten. Zum Beispiel produzierte die Tamedia gleich mehrere Titel – nur damit Ringier, CH-Media oder gar «Neue» hier nicht Fuss fassen konnten. Oder man kaufte sich gegenseitig auf – wie in Bern. Ironischerweise hat unterdessen auch «20 Minuten», als letzter Gratis-Überlebender Mühe, mit diesem Format zu existieren. Gratis wird etwas kaum profitabel.
Also, wohlverstanden: Wir sprechen beim neuen Mediengesetz über ein Hilfspaket für angeschlagene Medienbetriebe, welche in den letzten rund 35 Jahren, während der wirtschaftlich sehr guten Jahre, mit faulem Prestige und arroganter Eitelkeit und einem gegenseitigen Konkurrenzkrieg beschäftigt waren und nicht für die eigene Zukunft Medien entwickelten, sondern sich die eigenen Taschen und Bäuche füllten. So haben die Verlage gearbeitet – und wir erwarten wirklich, dass sich dies in Zukunft mit mehr Geld ändert? Wo bleibt die Demut?
Die Redaktionen wiederum haben sich in dieser Zeit «angepasst» und «Newsrooms» erfunden, die hauptsächlich auf Schlagzeilen, Top-Suchbegriffen und Klicks aufgebaut sind. In fast jeder Redaktion findet man heute Screens, auf denen die meistgelesenen Themen und Begriffe, Schlagwörter publiziert werden. Wer als JournalistIn gut sein will, muss hier punkten. Multimedia wurde zum Schlagwort, und das Pressebild, etwas vom Wichtigsten im Zeitungsjournalismus, überliess man dem Fotozufall der Knipsbilder von eh schon überforderten JournalistInnen. Damit werden Zeitungen sicher nicht attraktiver. Der Leistungsdruck für die Redaktor-Innen ist gross, neben zusätzlichen administrativen Dingen (Sekretariate wurden wegrationalisiert) müssen sie in viel weniger Zeit mehr Themen abhandeln, für Recherche bleibt kaum noch Luft. Viele Artikel hat man unterbezahlten Freien abgegeben – das entspannt den Redaktionsalltag – und hält die Kosten im Rahmen. In Konkurrenz zu den Online-Medien hat der Print-Journalismus insofern schon verloren, als der Print kuratiert wird und ein gemeinsames redaktionelles Zusammenspiel bedingt – während im Internet nur der Hype zählt: Hauptsache, schnell veröffentlichen, Hauptsache, Klicks – egal ob alle Fakten geprüft sind. Und es ist pervers: Noch immer bezahlt der Print die Online-Redaktion. Zumindest in den meisten Fällen – die anderen befinden sich im Start-up-Modus und werden noch von InvestorInnen getragen. Aber sind das diese Zeitungen, die die LeserInnen abonnieren wollen? Nein.
Neu ist, dass sich Stiftungen und Fonds in den redaktionellen Alltag einbringen: Gerade im Kulturjournalismus steht öfter, dass ein Artikel über die Finanzierung einer Stiftung zustande gekommen ist. Diese Tendenz ist gefährlich: Verlage lassen sich ihre Produkteinhalte sponsern und kassieren die «demokratischen Fördermittel» aus einem Mediengesetz für nichts. Aus der Sicht der Verleger ist das ein Superdeal.
Es ist unbestritten, dass sich der Werbemarkt ins Internet verlagert hat. Auch in der bundesrätlichen Botschaft steht: «Die Online-Werbeeinnahmen steigen, davon profitieren aber nicht die einheimischen Online-Medien. Die Zahlungsbereitschaft für Online-Medienangebote ist tief.» Ein Abo einer Schweizer Tageszeitung lohnt sich für mich nicht – zu schlecht ist die Qualität der Beiträge und zu wenig werde ich lokal informiert. Ich mag keine Artikel, die mir die 10 besten Tipps für meine Steuererklärung, die Highlights eines IT-Konzerns oder die treffsichersten Fussballer erklären wollen … Und ich habe kaum noch eine Ahnung, was in meiner eigenen Stadt vorgeht. Berufsbedingt ist mein redaktioneller E‑Mail-Eingangsordner mehr Tageszeitung mit sogar höherer Glaubwürdigkeit, weil sich mir die Quellen offenlegen. Und selbst im Vergleich zum deutschen Fernsehen und auch den deutschen Zeitungen, wo ich über politische Fehlfunktionen tagtäglich informiert werde, erfahre ich in der Schweiz kaum etwas von unserem Land. Die redaktionellen Inhalte sind in den Schweizer Zeitungen in den letzten 20 Jahren banalisiert worden, in der irrigen Meinung, dass man durch mehr Infotainment die LeserInnen unterhalten und gewinnen kann – das Gegenteil ist Tatsache. Als LeserIn kann ich heute aber wählen, global – und das hat viele AbonnentInnen auf viele Medien verteilt. Ich habe deutsche Zeitungen abonniert und lese damit eine Woche früher, was danach in der Schweiz abgeschrieben wird.
Wenn wir also ein neues Mediengesetz verabschieden wollen, dann müsste dies an Qualitätsstandards gebunden sein, an Themenkategorien und an arbeitstechnische Regeln. Von den 8,6 Millionen BürgerInnen in diesem Land müssten mindestens 3,9 Millionen (Anzahl Haushalte) ein Abonnement einer Schweizer Zeitung haben. Und es ist ein Unterschied, ob wir von Reichweite oder AbonnentInnen sprechen. Die Auflagen haben sich in 10 Jahren fast halbiert: Nur noch 4,7 Millionen Exemplare werden von 249 Titeln verbreitet – zuvor gab es eigentlich eine Überproduktion mit 8,1 Millionen bei 313 Titeln. Allerdings zählen wir insgesamt 1429 Medienunternehmen in der Schweiz mit 29 058 Beschäftigten – und es gibt noch ein paar mehr, die nicht erfasst wurden. Was genau fehlt jetzt noch?
Vielleicht reden wir mal weniger über Medienvielfalt, dafür über Inhalte – denn da liegt das eigentliche Problem. Nur: Das Mediengesetz regelt eben nicht die Inhalte. Es wäre zum Beispiel bereits eine grosse Medienunterstützung, ohne dass es direkt einen Rappen kostet, wenn ein Gesetz für «den rechtlichen Schutz für Whistleblower» erlassen würde. Das könnte den Medien elementar weiterhelfen und Stoff liefern, doch das Parlament will das partout nicht annehmen. So was wäre das Red Bull für alle Redaktionen – egal ob national, regional oder lokal. Ich vermute aber, die Politik möchte lieber die Kontrolle behalten. Es ist ja bezeichnend, dass investigativ.ch, das Recherche-Netzwerk Schweiz für JournalistInnen, diesem neuen Mediengesetz auch nicht gut gesinnt ist. Und es ist bezeichnend, dass wir heute «Bürgermedien» aufbauen, welche ganz unabhängig von Interessengruppen bezahlt werden. Die Politik will sich der wirklichen demokratischen Kontrolle entziehen. So viel zur Medienfreiheit bei Staatssubventionen. Selbst das ensuite hatte mal vom Amt für Kultur Bern wegen einer medienpolitischen Intervention eine 50-%-Subventionskürzung angedroht erhalten (in den ersten Jahren). Wer glaubt, dass die Politik und die Behörden ein Interesse daran haben, dass ihnen die Medien unter den Teppich schauen, täuscht sich. Wer zahlt, befiehlt – wenn wir es aber genau nehmen würden, so zahlt die Bevölkerung mit den Steuern die in einem Mediengesetz vorgeschriebenen Subventionen. Die Politik muss also handeln und mal die Hosen lockern.
Mit anderen Worten: Das jetzt diskutierte Mediengesetz unterstützt und belohnt die Misswirtschaft der Verlage der letzten 35 Jahre, schützt die PolitikerInnen und Ämter und bestraft die Bevölkerung. Es ginge alles so weiter wie bisher – weil das ungefährlich ist. In der nächsten Folge werde ich etwas konstruktiver und zeigen, was im Mediengesetz eingebaut werden müsste, damit es nachhaltig wird. Es ist nicht alles schlecht, was in dieser neuen Gesetzesversion geplant und gedacht wurde, aber im Jahr 2021 könnten wir es besser. Jetzt, in dieser Form, wie es daherkommt, müssen wir das Gesetz ablehnen, denn es bindet uns an falsche Freunde und weckt falsche Hoffnungen.